Ich habe ja nichts gegen trans Personen, aber …
Je mehr der Diskurs auf Ausgrenzung steuert, desto nötiger der Schutz vor transphoben Übergriffen, schreibt unsere Autorin nach der Schwarzer-Lektüre
Kürzlich ist «Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?» erschienen, eine Streitschrift von Alice Schwarzer. Unsere trans Kolumnistin Anastasia Biefang hat das Buch gelesen. Hier ihre Meinung*.
Die Existenz von trans Frauen und deren Recht auf Selbstbestimmung bedroht vermeintlich die cis Frau, nimmt ihr Schutzräume und liefert diese an triebgesteuerte trans Frauen mit oder ohne Penis aus. Das Ganze wird anscheinend befördert von einer zunehmend verständnisvollen, begutachtungsfreien Gesetzgebung zum Personenstand und einer medizinischen Kaste, die gefällige Gutachten schreibt und keinen Therapiezwang mehr für trans Menschen fordert, sondern einfach – um nicht transphob zu gelten – dem selbstbestimmten Drang von einem Heer an trans Menschen nachgibt und diese selbstverständlich als Frau oder Mann in ihrem empfundenen Geschlecht anerkennt. Dem Missbrauch von cis Frauen wird hier durch die staatlichen Institutionen Vorschub geleistet. Selbstbestimmung, so Alice Schwarzer, muss einfach Grenzen haben. Und diese zieht Schwarzer ganz klar bei trans Menschen.
Bereits vor mehr als einem Jahr habe ich in meiner Kolumne «Die trans Perspektive» über die unsägliche Debatte und die verkürzten und vereinfachten Bilder darin geschrieben. Ich fühlte mich damals bereits in meiner Existenz angegriffen und nach dem Lesen des aktuellen Buches von Schwarzer erneut. Sie tritt an mit einer sogenannten Streitschrift, einem literarisch erhitzenden Aufguss, um endlich die notwendige, gesellschaftliche Debatte zu führen, was ein Mann und eine Frau ist. Um endlich all denen Gehör zu verschaffen, die in den letzten Jahren nicht gehört wurden, die durch die „Genderideologen» stumm gemacht wurden. Und das Buch erscheint dann auch noch zum Tag der Sichtbarkeit von trans Menschen, dem Transgender Day of Visibility (MANNSCHAFT berichtete).
In ihrem Buch bespricht Schwarzer eine Vielzahl von Aspekten zum Thema Trans, verbleibt inhaltlich aber an der Oberfläche und verirrt sich einseitig in ihrer Anti-trans-Argumentationskette. Ein zunehmender Hype um Transsexualität, politisch, medizinisch und medial wird ausgemacht, der dazu führt, dass unreife Jugendliche sich auf einen irreversiblen Weg der Geschlechtsangleichung begeben, dass junge Mädchen sich massenhaft als trans outen, weil diese die spezifischen sozialen Rollenerwartungen an ihr Geschlecht nicht erfüllen und in der Geschlechtsangleichung den einzigen Ausweg sehen. Und natürlich, dass das (noch immer nicht) umgesetzte Reformvorhaben zum weiterhin in Deutschland bestehenden Transsexuellengesetz (TSG), dem Selbstbestimmungsgesetz, diesem weiter Vorschub leisten wird (MANNSCHAFT berichtete) .
Einseitig, manipulierend und wenig bis gar nicht evidenzbasiert teilt sie gegen die Selbstbestimmung von trans Personen aus und kaut alte Artikel und Interviews aus der Zeitschrift Emma ohne entsprechende Einordnung wider. Die Summe der Teile soll ein wahrhaftig Ganzes ergeben. Schwarzer ist die Hüterin der Wahrheit, einer unausgesprochenen und natürlich tabuisierten Wahrheit. Eine ausgewogene Streitschrift ist es wahrlich nicht. «Ich habe ja nichts gegen trans Personen, aber …» wäre der wohl treffendere Titel dieses Buches. Und am Ende steht die Zuspitzung über die Deutungshoheit von Geschlecht und Frausein. Auf der einen Seite ausgemachte radikale und ideologisierende (trans) Aktivist*innen und auf der anderen Seite aufrechte Feminist*innen, die gegen die Unsichtbarmachung und Auslöschung der (cis) Frau mutig und gewissenhaft antreten.
Ausgangspunkt ein jeder ihrer Argumente ist der vermeintliche Schutz von Kindern und Jugendlichen im Besonderen und von (cis) Frauen im Allgemeinen. Die (cis) Frau soll im gesellschaftlichen Diskurs verschwinden und sprachlich sowie tatsächlich unsichtbar gemacht werden. An die Stelle des Patriarchats tritt nun die «Genderideologie» und dreht zurück, was feministischer Kampf über Jahrzehnte errungen hat. Die (cis) Frau wird weiter marginalisiert und in längst überholte Geschlechterrollen zurückgedrängt und sogar ihr Schutzraum vor Männern durch trans Frauen gar genommen. Anstatt zwei marginalisierte Gruppen zu stärken und die Gemeinsamkeiten im gesellschaftlichen Befreiungskampf aufzuzeigen, spielt Schwarzer diese gegeneinander aus und verkürzt den Diskurs auf den Aspekt der Sicherheit.
Nicht immer wird es einfache Lösungen geben.
Das Patriachat schaut sicherlich gelassen und amüsiert von der Seitenlinie auf dieses Spielfeld, auf dem sich cis und trans Frauen bekriegen. Damit möchte ich keinesfalls den Blick für die Sicherheit von cis Frauen trüben. Ich habe hier keinen blinden Fleck. Und ich bin mir bewusst, dass ich als trans Frau eine gänzlich andere Sozialisation und Prägung erfahren habe als eine cis Frau. Das erkenne ich jeden Tag und gerne an. Aber auch ich habe meine Erfahrungen aufgrund meines Geschlechts, der Zuschreibung von Geschlecht an meine Person und den spezifischen Rollenerwartungen an mich und mein (vermeintliches) Geschlecht gemacht. Dort wo Ängste erwachsen, muss ein Raum für Kommunikation bestehen, muss Empathie als wesentliche verständigende Leistung erbracht werden. Und nicht immer wird es einfache Lösungen geben.
Es geht darum, aneinander anzuerkennen und sich gegenseitig respektvoll zuzuhören. Weder tatsächliches noch virtuelles Niederschreien ist hier ein zielführender Ansatz, noch verkürzte und unzureichende Darstellungen der Realität. Umso mehr bin ich überzeugt davon, dass wir insgesamt die normierenden Erwartungen und Haltungen an das Konstrukt Geschlecht gesellschaftlich dekonstruieren müssen. Wir müssen den determinierenden Schleier herunter reissen und die Vielzahl geschlechtlichen Ausdrucks tatsächlich anerkennen und wertschätzen. Der gesellschaftliche reproduzierte Determinismus der geschlechtlichen Binarität muss endlich ein Ende finden. Das bedeutet aber noch lange nicht das Ende der cis-geschlechtlichen Kategorie von Mann und Frau, sondern nur der damit verbundenen Zuschreibungen und Mechanismen der einseitigen Unterdrückung und in Folge das Ende des Patriarchats.
Die gesellschaftliche Realität ist (zum Glück) bei weitem komplexer als die verkürzte Schwarzer Dystopie. Meine Lebensrealität ist bereits deutlich komplexer und vielschichtiger als die von Schwarzer beschriebene. In meiner Realität leben cis, trans und non-binär miteinander und kämpfen für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung Seite an Seite. Und nicht nur am 8. März, am Frauenkampftag, sondern an jedem einzelnen Tag. Denn an jedem dieser Tage treten wir an gegen ein weiterhin vorherrschendes patriarchales System, das versucht binäre Vorstellungen von Geschlecht weiter zu zementieren und Normvorstellungen von Mann und Frau, von Liebe und Beziehungen zu definieren und gesellschaftlich zu kodieren. Deswegen ist u.a. die Reform des TSG auch so wichtig.
Erst durch die verstärkte Sichtbarkeit von trans Personen in der Gesellschaft, durch die fortschreitende Akzeptanz von nicht-heteronormativen Lebensentwürfen und durch die Abkehr von kodierten Normvorstellungen ist das geplante Selbstbestimmungsgesetz erst möglich geworden. Es ist ein deutlicher Schritt der Befreiung. Es zementiert eben nicht die binäre Geschlechterordnung und es radiert auch cis Frauen nicht aus. Und es leistet auch keinen Vorschub für einen sogenannten «Trans Hype», der, so Schwarzer, in die unreflektierte Medikalisierung von insbesondere jungen Mädchen führe. Denn, dies blendet Schwarzer gekonnt aus, das Selbstbestimmungsgesetz ist nicht der «Freifahrtschein» in die medizinische Geschlechtsangleichung, sondern nur die Grundlage für die Änderung des Personenstandes. Ein Personenstand, der dann für alle Menschen neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht, auch den Geschlechtseintrag «divers» zulassen wird und zwar ohne medizinische Indikation einer Intersexualität. Die Vielfalt und Komplexität von Geschlecht werden hiermit anerkannt und gesetzlich festgeschrieben. Medizinische Massnahmen in Hinblick auf körperverändernde Prozeduren müssen weiterhin einen medizinisch indizierten Leidensdruck aufweisen.
Auch mit einem Selbstbestimmungsgesetz, sind für Betroffene weiterhin Kriterien im Rahmen einer qualifizierten medizinischen Diagnostik zu erfüllen. Dies ist sicherlich nicht die «Schnellstrasse in die Transsexualität» wie von Schwarzer in ihrer «Streitschrift» ausgemacht. Es ist weiterhin ein verantwortungsvoller medizinisch-psychologischer Umgang mit Betroffenen und trans Menschen, allerdings einer der (endlich) affirmativ das individuelle Leiden und den selbstbestimmten Willen des Individuums in den Mittelpunkt allen Handelns stellt und willkürlich herrschaftserhaltende Massnahmen aus dem Verkehr zieht. Und dieser Weg dorthin, hat mehr als vierzig Jahre aktiver gesellschaftspolitischer Arbeit und Kampf gebraucht, ausgetragen auf dem Rücken marginalisierter Gruppen.
Wir brauchen Schutz vor dem cis-heteronormativen Patriarchat.
Ich stehe Seite an Seite mit meinen Schwestern für Gleichberechtigung. Wir ergänzen uns in unseren Erfahrungen. Und meine Perspektive auf die Welt, insbesondere auf das Patriarchat, können den Feminismus stärken. Wir müssen uns nicht gegenseitig in Grabenkämpfen beharken, um zu klären, wer die «bessere» Frau ist oder welche Erfahrungen unser Frausein begründen, welche Erfahrungen exklusive Frauenerfahrungen sind. Aber eins ist gewiss: Je mehr der Diskurs auf Ausgrenzung steuert, je mehr trans Personen entmenschlicht dargestellt werden, desto düsterer wird es für unsere Sicherheit vor Übergriffen. Desto grösser wird unser Bedürfnis nach Schutz. Desto mehr brauchen wir Schutz vor dem cis-heteronormativen Patriarchat.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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