«Ich empfinde Rosa selbst oft als Frau mit Penis»
Die lesbische Aktivistin Mahide Lein über ihren Wegbegleiter Rosa von Praunheim zu dessen 80. Geburtstag
Rosa von Praunheim gilt vielen als Schwulenikone. Doch seine Filme handeln oft von starken Frauen, sagt die lesbische Aktivistin Mahide Lein. Viele von diesen hält sie gar für «Spiegelbilder» von Rosa selbst.
Mit seinem Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» rüttelte Rosa von Praunheim 1971 die schwule Community und die damalige Gesellschaft auf. Seither sind viele Filme, Bücher und Theaterstücke von ihm erschienen. Neben schwulen Charakteren kommen dort aber auch immer wieder viele Frauen vor.
Eine von ihnen ist Mahide Lein. Die Kämpferin für Frauenrechte und Kulturvermittlerin hat in einem von Rosas Filmen mitgespielt. Sie trat 2008 in dem Film «Tote Schwule, lebende Lesben» auf. In diesem Werk zeigt Rosa mehrere Portraits von schwulen Männern, die im Nationalsozialismus umgekommen sind und stellt sie lesbischen Frauen gegenüber, die im heutigen Deutschland leben.
«In Rosas Filmen mitzuarbeiten macht grossen Spass. Durch seine oft provokativen Fragen sind die Protagonist*innen authentisch in ihren charakteristischen Rollen», sagt Mahide rückblickend. Die Zusammenarbeit mit Rosa beschreibt sie auch deswegen als einfach und gewinnbringend, weil er sie an ihren eigenen Vater erinnere. «Ich fühle mich wie zuhause, wo der Humor viel half, der bürgerlichen Moral etwas entgegen zu setzen und der eigenen Persönlichkeit freien Lauf zu lassen.»
Mahide und Rosa verbinden noch weitere künstlerische Aktionen. Auf seine Initiative hin gründete Mahide das TV-Programm «LÄSBISCH-TV», das Anfang der 90er Jahre 27 Episoden ausstrahlte. 1995 organisierte sie eine Filmretrospektive von Rosa in St. Petersburg und Moskau.
Dass Rosas Filme vor allem männlich geprägt seien, sei eine falsche Vorstellung, sagt Mahide. «Nur in Rosas Film ‹Nicht der Homosexuelle ist pervers…› war es eine reine männliche Besetzung. In allen nachfolgenden Filmen spielten starke Frauen mit». Als Mahide diese Filme sah, war sie darüber zunächst selbst verwundert. «Ich fragte mich oft: Warum macht Rosa so viele Filme mit starken Frauen? Ich habe ihn persönlich nie gefragt, vielleicht beeindruckte ihn die provokante Tänzerin Lotti Huber so, sodass er mehr starke Frauen kennenlernte?»
Rosa selbst erklärte einmal, dass «meist ältere Frauen» für ihn nach der Beschäftigung mit dem Schwulenthema das Zweitwichtigste in seinem Leben und seinen Filmen gewesen sei. Er fragte sich in einem längeren Text, den er auf seiner Homepage veröffentlicht hatte, ob vor allem ältere Frauen für ihn so etwas wie Ersatzmütter seien, wie dies für viele andere schwule Männer auch der Fall sei.
Die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben traf er bereits sehr früh. Dies war zunächst eine gewisse Nora Gräfin Stolberg zu Stolberg. Sie war die Mutter einer von Rosas Freundinnen von der Kunsthochschule. Die zweitwichtigste Frau in seinem Leben war Carla Aulaulu. Sie heiratete er 1969. Die Hochzeitsnacht hat er dann, so beschreibt es Rosa, mit einem anderen Mann verbracht und Carla danach nie wiedergesehen.
Die in der breiten Öffentlichkeit bis heute bekannteste Frau aus dem Kosmos Rosa von Praunheim wurde seine Tante Luzi Kryn, die in dem Film «Die Bettwurst» die weibliche Hauptrolle spielte. In diesem Jahr brachte Rosa die Geschichte als Musical auf die Bühne (MANNSCHAFT berichtete). Diese Parodie auf eine heterosexuelle Liebe entwickelte sich später zu einem Kultfilm. Am Beispiel dieser Frau erklärte Rosa einmal, was er an Figuren wie Luzi mochte. Während seine eigenen Eltern Luzi «schrecklich ordinär» und «zu dick geschminkt» fanden, mochte er an ihrem Auftreten vor allem ihr selbstbewusstes Auftreten unabhängig vom Urteil anderer Menschen. «Wer sind wir, die wir glauben besser zu sein?», fragte Rosa, «Im Gegenteil, wir sind langweiliger.»
Auch mit den Schlagersängerinnen und Tänzerinnen Evelyn Künneke und Lotti Huber, die beide auch in seinen Filmen auftraten, war Rosa eng befreundet. Über Künneke sagte er einmal: «Ich liebte die Trivialität von Evelyn, ihre Publicitysucht, ihre tausend Zeitungsartikel und ihre schlechten Filme.» Ohne, dass er davon wusste, gab sie die Verlobung mit ihm bekannt, woraus beide später ein Spiel für die Presse machten.
Mit Lotti Huber lebte Rosa in Berlin in der gleichen Strasse und so sahen sich er und die Sängerin «mit der Energie einer Atombombe» sehr häufig im Alltag. Auf ihrer Beerdigung erschien er mit einem grossen weissen Cowboyhut mit der Aufschrift «Ich liebe dich». Sie spielte in Rosas Filmen eine Sektenchefin, einen Sexstar und letztlich sich selbst, als er ihr Leben verfilmte.
Eine besondere Beziehung zu zwei Frauen offenbarte Rosa in dem Film «Meine Mütter» aus dem Jahr 2008. Erst im Jahr 2000 sagte seine Pflegemitter ihm, dass sie nicht seine leibliche Mutter sei. Mit ihr lebte er 14 Jahre gemeinsam in einer Wohnung. «Trotz ihrer bürgerlichen Erziehung war sie immer tolerant, sie liebte mich, ohne mich zu verstehen – für mich die höchste Form der Liebe», sagte Rosa einmal über ihr Verhältnis. Im Film «Meine Mütter» machte Rosa sich in Riga auf die Suche nach der Frau, die ihn geboren hatte.
«Rosas starke Frauenrollen in Filmen machten Frauen Mut, sich nicht so zu zeigen, wie die bürgerliche Gesellschaft es will», sagt Mahide Lein. «Das förderte den Mut vieler Frauen, sich lesbisch zu outen.» Mahide fallen dabei neben dem Film, in dem sie selbst mitspielte, noch weitere ein, welche diese Wirkung gehabt haben. «Unsere Leichen leben noch» von 1981 handelt von fünf Frauen, darunter die Sängerin Lotti Huber und Rosas Tante Luzi Kryn, die dort über ihr Leben erzählen. 1976 bereits widmete sich Rosa in dem Film «Ich bin ein Antistar» dem Leben der Sängerin und Schauspielerin Eveyln Künneke.
Nicht zuletzt der Film «Stadt der verlorenen Seelen» aus dem Jahr 1983 zeigt amerikanische Drag- und Travestie-Künstler*innen. Gerade in den Avantgarde-Filmen aus Rosas New Yorker und Berliner Zeiten sind viele Tunten, trans Menschen und Personen zu sehen gewesen, die mit den Geschlechtergrenzen spielen.
«Ich empfinde Rosa selbst oft als Frau mit Penis. Seine mitwirkenden Frauen sind seine Spiegelbilder», sagt Mahide Lein. Rosa selbst erklärte in der zu seinem 80. Geburtstag ausgestrahlten Arte-Doku: «Ich habe mich immer als kleines Mädchen gesehen ein Leben lang, dass immer erobert werden muss. Meine Männer mussten mich immer jagen und erobern, und dann habe ich mich auch immer gern erobern lassen.»
Mahide weist unterdessen noch auf einen anderen Umstand hin, wenn es darum geht, zu bewerten, wie «weiblich» Rosas Filme sind. «Dass Jungs Lust haben, schöne Kleider zu tragen und sich schminken, heißt für mich nicht, dass es was mit Weiblichkeit zu tun haben muss. Denn in unserer patriarchalen Welt, ist es nur erwünscht, dass Frauen sich schminken und farbenfrohes Outfit haben.»
Vielmehr wünscht sich Mahide, dass alle Menschen sich so kleiden sollten, wie sie sich fühlen. «Ich vermisse im Alltag sehr und es ist ein bedauerlicher Anblick, so viele Menschen in Jeans und T-Shirt zu sehen, wo das Innenleben nicht nach aussen getragen wird und eine Message sein kann.» Viele von Rosas Filmen hätten hierfür Identifikationsmöglichkeiten geboten und Freiräume geschaffen.
Zu seinem 80. Geburtstag wünscht Mahide Rosa «dass er gesund und munter malt, tanzt, singt, sexy ist, Gedichte schreibt, Filme macht und viele Freund*innen um sich rum hat – ‹Unsere Leichen leben noch› seinen Film-Titel zitiere ich oft.»
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