Schwul in einer AfD-Hochburg: „Ich bin auch das Volk!“
Oliver ist 29, arbeitet als Zugbegleiter bei der Ostdeutschen Eisenbahn, ODEG, und wohnt seit zehn Jahren in Cottbus. Cottbus: eine Stadt in Brandenburg mit knapp 100.000 Einwohnern. Seit der 2014er Kommunalwahl sitzen in der Stadtverordnetenversammlung drei Mitglieder der AfD Cottbus und ein NPDler (die CDU ist mit 13 von 46 Sitzen stärkste Kraft). Bei der Bundestagswahl haben am Sonntag hier 26,8 Prozent der Wähler den Rechtspopulisten ihre Zweitstimme und 25,3 Prozent ihre Erststimme gegeben: Stärker ist hier keine Partei, nirgendwo in Brandenburg ist die AfD sonst so dick im Geschäft. (Im neuen Bundestag sitzen wieder viele schwule und lesbische Abgeordnete.)
„Das fand ich schockierend, damit hätte ich in der Größenordnung nicht gerechnet“, sagt Oliver über den Erfolg der fremdenfeindlichen, teils rassistischen und homophoben Partei. Der 29-Jährige ist kein LGBTI-Aktivist, auch nicht Mitglied einer Partei. Er hat einen festen Freund, der ist fünf Jahre älter und wohnt in Lübbenau, nicht weit weg von Cottbus. Wenn es nach Oliver geht, würde er keine Rücksicht darauf nehmen, was andere denken, und mit seinem Freund Händchen haltend durch die Stadt laufen. Sein Partner hat aber Angst, das traut er sich nicht mehr, er geht auch nicht mehr gerne in Cottbus aus – das war schon vor der Wahl so. „Was ich schade finde, weil meine Lebensqualität dadurch eingeschränkt ist, meine Beziehung ist dadurch eine andere“, sagt Oliver. (Beispiele für die teils ausgeprägte Homophobie der AfD-Mitglieder gibt es viele.)
Viele, von denen Oliver weiß, dass sie die AfD gewählt haben, hätten sie aus Protest gewählt, Protest gegen Merkel, gegen die Demokratie oder „das System“. Aber es gibt auch genug, die der Partei ihre Stimme aus Überzeugung gegeben haben, dazu gehören Freunde und auch seine Familie – und zwar komplett.
„Bei meiner Familie muss ich das so hinnehmen“, sagt er, „aber bei Freunden oder Bekannten versuche ich ernsthaft zu diskutieren, und wenn das nichts bringt, muss ich meine Schlüsse ziehen. Ich kann mit allem leben, aber nicht damit.“ Darum hat er bei einigen die Freundschaft aufs Eis gelegt. Bei seiner Familie kann er das nicht, die ist ihm zu wichtig.
Meine Mutter hat mich immer unterstützt, und dann wählt sie aus Überzeugung AfD
Bei den AfD-Anhängern in seinem Umfeld stellt er eine Mischung aus Kleingeistigkeit und Hass fest. „Die AfD kann nur Hass, mehr kann sie nicht.“ Dass auch seine Mutter die Partei wählt, findet er schade. „Es ist zweischneidig: Meine Mutter hat mich seit meinem Coming-out immer unterstützt, und dann wählt sie so eine Partei aus Überzeugung.
Was Oliver von allen AfD-Fans hört, ist: Die Ausländer müssen weg. „Aber wenn man das ganze Wahlprogramm ansieht, kann man es mit gesundem Menschenverstand nicht überzeugend finden.“ Wenn er seine Freunde fragt, ob sie sich mit dem Rest des Programms beschäftigt hätten, schütteln die einen mit dem Kopf; die anderen sagen, sie hätten es gelesen, aber es sei ihnen egal: Hauptsache, die Ausländer sind weg.
Dass Leute diese Forderung vertreten, kann Oliver nachvollziehen, auch wenn es nicht seine ist. „Ich habe ein gutes Leben, ich kann mir ab und zu was leisten, ich muss nicht hungern. Ich kann selbstbestimmt leben, kann meinen Partner an die Hand nehmen ohne Angst davor, verhaftet zu werden. Deshalb kann ich diesen ganzen Hass nicht verstehen. Auch diesen Ruf von Gauland: Wir holen uns unser Volk zurück! Das Volk sind alle, ich auch – ich bin auch das Volk!“
Oliver hätte nicht gedacht, dass sich jetzt direkt was ändert dadurch, dass die AfD im Bundestag sitzt. Aber dann ging er am Tag nach der Wahl arbeiten, lief durch seinen Zug und ein älterer Fahrgast sagte zu ihm, wenn es nach seiner Partei ginge, dann würden Leute wie er hier bald nicht mehr durch den Zug gehen.
Das macht mir ein bisschen Angst
Oliver vermutet, man habe ihm angesehen, dass er schwul ist. „Das fand ich schon schockierend, traurig und erbärmlich.“
Er hat Angst davor, dass sich das Land nun verändert. Es gibt häufig Demos von Unzufriedenen in der Stadt, dadurch fühlt er sich weniger sicher. „Es wird immer mehr. Leute, die eher rechts sind, denken, sie haben die Partei im Rückenwind und können machen, was sie wollen und ihrer Wut freien Lauf lassen. Das macht mir ein bisschen Angst.“
Er hat jetzt nicht vor, aus Cottbus wegzuziehen, weil die AfD meint, das Land ‚aufräumen‘ zu müssen. „Ich werde mich nicht verbiegen oder verbiegen lassen, aber ich denke natürlich darüber nach.“
Verstecken will er sich nicht. „Wir haben uns diese Rechte erkämpft, ich bin froh, dass ich meinen Partner an die Hand nehmen kann, ohne Angst zu haben. Das will ich beibehalten“, sagt Oliver. Er kennt andere schwule Paare in Cottbus, die auch so weiter machen wollen, für Sichtbarkeit sorgen, und alles andere ausblenden. „Das finde ich gut so.“
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