«Hosentaschen-Extremismus»: Durch Tiktok zur Homophobie
Viele junge Menschen informieren sich fast ausschliesslich übers Internet. Das wird von verschiedensten Richtungen ausgenutzt
Viele Jugendliche informieren sich fast ausschliesslich über soziale Medien. Das nutzen extremistische Influencer aus allen Richtungen – und verbreiten Hass gegen Queers.
Von Jonathan Penschek, dpa
Darf man sich während des Fastenmonats Ramadan die Zähne putzen? Oder als gläubiger Muslim die Haare an den Seiten kürzer schneiden? Solche Fragen hört der Imam Ender Cetin jeden Tag, wenn er mit seinem Projekt «Meet2Respect» die Begegnung mit Jugendlichen in Schulen sucht. «Die Schüler sagen mir dann: Das hat jemand auf Tiktok gesagt.»
Die Social-Media-Plattform sei mittlerweile fast die einzige Möglichkeit für junge Muslime, sich zu informieren: In Moscheen werde häufig nur der Koran rezitiert, die Eltern hätten oft nur Halbwissen, in den Schulen gebe es keinen adäquaten Religionsunterricht für Muslime. Und das bringe Probleme mit sich.
Denn in den Videos auf den sozialen Plattformen geht es nicht nur um harmlose Fragen zu Haarschnitten. Dort tummeln sich auch Salafisten, die die einzig richtige Auslegung des Islam für sich beanspruchen und erklären, wer gute Muslime seien und wer nicht, oder auch: Was gut und was schlecht ist, also «halal» oder «haram».
Verboten seien zum Beispiel «aussereheliche Beziehungen zum anderen oder – mittlerweile muss man das ja auch erwähnen – erst recht zum eigenen Geschlecht, Stichwort LGBTQ», heisst es beispielsweise in einem Video der Organisation Generation Islam auf Instagram. Die Moderatoren in den bunten, schnell geschnittenen Videos sehen aus wie der Kumpel von nebenan. Kurz und knackig lässt sich Homophobie so innerhalb von 30 Sekunden verbreiten.
«Die Frage, die ich am heftigsten fand, war: Darf ich überhaupt mit einem Nicht-Moslem befreundet sein? Dass das nicht geht, hat wohl ein Imam auf Tiktok behauptet», erinnert sich Cetin. «Das hat mich ganz lange beschäftigt. Daran merkt man, den Jugendlichen fehlt es an theologischen Grundlagen, denn Gegenargumente gibt es da genug», weiss der Imam. Und diese Frage zeigt, wie extremistische Islamisten bewusst versuchen zu spalten.
«Es geht dabei darum, echte Erfahrungen aufzufangen, künstlich zu überhöhen und dann in extremistische Positionen zu transportieren», sagt Özgur Özvatan, Extremismusforscher an der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel Rassismus-Erfahrungen, die viele dieser Jugendlichen machten und mit denen sie sich oft alleine fühlten. Die Extremisten nutzten dies aus, indem sie den Eindruck vermittelten: Du wirst ohnehin nie zur Mehrheitsgesellschaft gehören, komm doch direkt zu uns.
Auch der Gaza-Krieg wird nach Ansicht des Experten instrumentalisiert. Viele Videos zeigen schreckliche Bilder von leidenden Kindern im Gazastreifen. So gibt es nicht nur einen emotionalen Trigger, sondern es wird auch der Eindruck vermittelt, es gebe einen Platz im Internet, wo jemand den eigenen und durchaus berechtigten emotionalen Schmerz versteht. Doch das werde ausgenutzt: «Was islamistische Extremisten in Deutschland auszeichnet, ist, dass sie ausschliesslich über das globale muslimische Leid sprechen. Das ist ihr Thema», sagt Özvatan.
«Die Einzelvideos sind in seltenen Fällen an sich islamistisch-extremistisch», meint er. «Das programmatische Angebot findet in der Summe der Einzelvideos statt.» Und das sei eben problematisch, denn: Vereine und Seiten wie Generation Islam oder Realität Islam werden vom Verfassungsschutz der Hizb ut-Tahrir zugeordnet. Dabei handelt es sich um eine in Deutschland verbotene, extremistische Gruppierung. Die ihr ideologisch nahestehenden Vereine fordern unter anderem ein Kalifat, also einen Gottesstaat nach frühislamischem Vorbild. Auch in den Tiktok-Videos und Reels werden immer wieder die vermeintlichen Vorzüge dieser Staatsform besprochen.
Aber wer sind die Jugendlichen, die sich von diesem «Hosentaschen-Extremismus» – das Handy immer in der Hosentasche, immer abrufbar, immer verfügbar – ködern lassen? Cetin verortet viele von ihnen im bildungsfernen Milieu. «Dazu gehört auch ganz oft, dass die Eltern arbeitslos sind und es wenig Bewusstsein dafür gibt, die Kinder zu stärken», berichtet der Imam von der Arbeit in seinen Projekten.
«Dabei geht es meistens um eine Identitätsfindung. Man will auffallen, ist dann konservativer als andere.» Extremismusforscher Özvatan meint, nach dem gleichen Prinzip schafften es Rechtsextreme, auf Stimmenfang zu gehen. «Sie sprechen vor allen Dingen einsame Männer an, weil soziale Isolation ein treibender Faktor für Radikalisierung ist.»
«Gerade die Potenziale der muslimischen Communities gilt es zu stärken. Sie werden von islamistischen Extremisten als Verräter und Verräterinnen bezeichnet und von der anderen Seite werden sie selbst als potenzielle Islamisten dargestellt», sagt Özvatan. Dabei gebe es gerade in diesen Moscheen und Gemeinschaften oft noch die Chance einer Begegnung, wenn Jugendliche drohten, abzurutschen.
Imam Cetin findet, Begegnungsprojekte für Jugendliche müssten gefördert werden. Er sagt: «Die Moscheen machen das ja auch ehrenamtlich, sie haben da oft keine Professionalität. Wir brauchen da auch noch andere Netzwerkpartner, bei denen auch die Jugendlichen merken: Wow, die Polizei oder die Streetworker stehen mit Muslimen zusammen.»
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