Homophobie und Hakenkreuze: Die meisten Lehrkräfte schauen weg
Die Schulleitung in Brandenburg spielt die Vorfälle herunter
Rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Südbrandenburg haben Politik und Behörden aufgeschreckt. Engagierte Akteur*innen vor Ort versuchen mit Bildungsangeboten aufzuklären. Sie sprechen von einem langen Weg – die betroffene Schule ist kein Einzelfall.
Von Silke Nauschütz
Das Wasser der berühmten Spreewaldkanäle im brandenburgischen Burg glänzt in der Sonne, blühende Kirschbäume und gepflegte Blumenrabatten zieren die Strassenränder, kleine Geschäfte laden die bereits zahlreichen Tourist*innen an diesem Maitag zum Ausflug ein. Eine Frau verkauft an einem Stand regionales Gemüse – unweit der Schule, die derzeit mit rechtsextremen Vorfällen für Schlagzeilen sorgt.
Lehrkräfte hatten in einem offenen Brief von täglichem Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie berichtet (MANNSCHAFT berichtete). Sie erlebten eine «Mauer des Schweigens». Lehrkräfte und Schüler*innen, die offen gegen rechtsorientierte Schüler- und Elternhäuser agierten, fürchteten um ihre Sicherheit, heisst es in dem Schreiben der anonymen Verfasser*innen.
«Das Problem an der Schule ist mir nicht neu», sagt eine ältere Frau, die zum Kaffeetrinken mit Bekannten verabredet ist und ihren Namen nicht nennen möchte. Sie zeigt Richtung Schule. Dort fahre sie häufig mit dem Fahrrad vorbei und sei schon in Sorge, wenn Jugendliche aus dem Gebäude kämen. Burg sei ein Touristenort. Das verdecke aber, dass es diese Probleme wie in anderen Orten auch gebe, ist sie überzeugt.
Ein Paar aus dem nahe gelegenen Vetschau, dass mit dem Rad einen Ausflug nach Burg unternommen hat, aber auch befragte Tourist*innen aus Berlin und Sachsen-Anhalt, die auf ihre Kahntouren warten – sie alle haben aus den Medien von den Vorfällen erfahren. Immer wieder taucht die Frage auf: Stimmt das auch, was berichtet wird?
«Wir haben eine breite, öffentliche Debatte angestossen, um auf Diskriminierung, Homophobie und Rechtsextremismus an Schulen aufmerksam zu machen», sagt eine Lehrkraft der Schule, die den Brief mit verfasst hat. Sie will weiter unerkannt bleiben, auch, weil ihr zufolge das Vertrauen in die Schulleitung fehle. Das Schreiben habe als Hilferuf aber rechtsextreme Umtriebe an Brandenburger Schulen sichtbarer gemacht. «Wir erhoffen uns, dass es ein Aufwachen in der Politik gibt, dass Lehrkräfte solche Vorfälle ansprechen können, ohne, dass das im Sand verläuft und ohne, dass man arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten muss», sagt die Lehrkraft.
Mittlerweile hat sich die Lehrerschaft der Schule in Lager gespalten. Manche befürworteten, dass die Vorfälle zur Sprache gekommen seien. «Manche an der Schule tun das auch als Jugendstreich ab», beschreibt die Lehrkraft. Die Schulleitung spiele die Vorfälle herunter.
Wir kommen in den Klassenraum und sehen auf den Tischen Hakenkreuze und andere rechtsradikale Schmierereien.
Auch Schüler*innen haben sich in einem Schreiben zu Wort gemeldet. Darin schildern sie die Zustände an der Schule aus ihrer Sicht. «Wir kommen in den Klassenraum und sehen auf den Tischen Hakenkreuze und andere rechtsradikale Schmierereien, die am Vortag auf den Tisch geschrieben wurden. In den Pausen kommen uns Schüler*innen mit gehobener Hand, dem sogenannten Hitlergruss entgegen…doch die meisten Lehrer*innen schauen nur weg und unternehmen nichts.» «Wir haben Angst», heisst es.
Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben inzwischen zu vier Komplexen mit strafrechtlicher Relevanz. Zum einen geht es um den Spruch «Arbeit macht frei», der laut der Lehrkräfte im Unterricht gefallen sein soll. Diese Phrase wurde durch seine Verwendung als Toraufschrift an den nationalsozialistischen Konzentrationslagern bekannt. Zum anderen soll im Sportunterricht der Hitlergruss gezeigt worden sein. Ein aufgetauchtes Gruppenbild zeigt Jugendliche, die den Hitlergruss machen, und es gibt eine Anzeige aus der Schule wegen Schmierereien an Schulmobiliar, etwa mit Hakenkreuzen.
Gespräche über Menschenrechte, Geschlechtsidentität, queeres Leben Christian Müller ist seit 15 Jahren als Fortbildungsreferent ehrenamtlich an Schulen vor allem in Cottbus und im Spree-Neiße-Kreis unterwegs. Auch die von den rechten Vorfällen betroffene Schule in Burg hat ihn wiederholt zu Sensibilisierungsworkshops eingeladen. Müller spricht mit Schüler*innen über Menschenrechte, Geschlechtsidentität, queeres Leben, Rassismus, Rechtsextremismus. Die Schule sei den Themen durchaus zugewandt, es gebe engagierte Lehrkräfte und Schüler, berichtet er. «Wir haben von Schulen, auch in Burg, aber Rückmeldungen, dass Eltern solch ein Bildungsangebot für ihre Kinder nicht wollen.»
Eine Haltung auf kurzem Wege zu verändern sei unmöglich, schätzt Müller ein. Durch das soziale Umfeld von Kindern, wo Rassismus, Trans- und Homofeindlichkeit und Rechtsextremismus mitunter verstetigt würden, könne man auch kein Umdenken hervorrufen. «Wir legen das Pflaster auf eine riesige Wunde», sagt Müller, der sich mittlerweile vor Anfragen aus Schulen für Bildungsangebote kaum retten kann.
Doch für solche Projekte fehlt nach seiner Darstellung immer wieder Geld. Das Bildungsministerium sage, die Budgets seien ausgeschöpft, stattdessen sollten Drittmittel akquiriert werden, was wiederum Hürden und Bürokratieaufwand bedeute, kritisiert er. Warum aber agieren Schüler*innen so demokratiefeindlich? Und wie können von Diskriminierung Betroffene geschützt und unterstützt werden? «Wir als Verein können darauf Antworten geben.»
Bei einer ausserordentlichen Dienstberatung an diesem Mittwoch sollten die Vorfälle besprochen werden. Auch ein Vertreter des Bildungsministeriums sollte teilnehmen. Er habe die Schulleiterin vorab gefragt, wie sie zu den Vorfällen stehe, so der Mitverfasser des Briefes. Dazu werde sie sich nicht äussern, habe die Leiterin ihm gesagt. Die Schulleitung äusserte sich auf Anfrage zunächst nicht.
Was die Kinder da in der Schule machen, haben sie oft von Eltern oder Fussballtrainern gelernt.
Etwa 50 Kilometer von Burg entfernt liegt Spremberg. Lukas Pellio ist dort evangelischer Pfarrer und betreut Jugendliche in der Seelsorge. Burg sei nicht die einzige Schule, an der es solche Vorfälle gebe, sagt er bestimmt. «Der aktuelle Schulskandal reiht sich ein in ähnliche Vorfälle und Strukturen hier vor Ort.» Hitlergrüsse, rassistische, antisemitische Aussagen – so etwas höre er seit Jahren auch aus dem Gymnasium in Spremberg.
Pellio ist Teil von #unteilbar-Spremberg, einem Bündnis, das er aufgebaut hat und das für ein offenes Spremberg steht. Inzwischen sei ein Netzwerk für Schulen für mehr Demokratie entstanden, berichtet er. Nichts wäre jetzt schlimmer, als die Vorfälle zu verharmlosen, meint er. «Was die Kinder da in der Schule machen, haben sie oft von Eltern oder Fussballtrainern gelernt.»
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