Homophobie in Kirchgemeinde Melchnau: Ratsmitglieder entlastet
Das Regierungsstatthalteramt Oberaargau kritisiert nur die zurückgetretene Präsidentin
Der schwule B. (Name ist MANNSCHAFT bekannt) war von Anfang an ein Aussenseiter im Kirchgemeinderat von Melchnau. Ein Streit machte ihn zum Mobbing-Opfer. Nun ist das Regierungsstatthalteramt Oberaargau allerdings zum Schluss gekommen, dass die Verwaltung zu keiner Zeit durch Mobbing gestört worden sei. Zugleich kritisiert die Medienmitteilung vom vergangenen Donnerstag die ehemalige Präsidentin Chantal Lanz für ihre homophoben Ansichten.
Vor zwei Jahren wählte die versammelte Kirchgemeinde von Melchnau im Oberaargau den schwulen B. in den Kirchgemeinderat. Die damalige Präsidentin des Gremiums, Chantal Lanz, wollte diese Wahl verhindern. In einem Brief an die damalige Pfarrerin schilderte sie, weshalb B. aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht in den Rat der Kirchgemeinde Melchnau gehöre. Das Schreiben ist ein schockierendes Beispiel religiös motivierter Homophobie – mitten in der Schweiz (MANNSCHAFT berichtete).
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Streit wegen Kollekte Die mehrheitlich freikirchlich orientierten Ratskolleg*innen hätten B. die Arbeit von Beginn an schwer gemacht. Als man seine Idee, die Einnahmen einer Kollekte der Aids-Hilfe zukommen zu lassen, zunächst ablehnte, kam es zum Streit. Später schloss der Rat B. aus der Whatsapp-Gruppe aus und strich seinen Namen vorübergehend von der Homepage. B. – der unter der Situation psychisch litt – drohte sogar ein widerrechtliches Amtsenthebungsverfahren.
Nachdem MANNSCHAFT und andere Medien den Fall aufgegriffen hatten, trat Lanz aufgrund des zunehmenden Drucks vor drei Monaten als Präsidentin zurück (MANNSCHAFT berichtete). Auch B. und eine Kollegin, die mit ihm das Gespräch gesucht hatte, blieben den Versammlungen fortan fern. Die betreffende Kollegin demissionierte einige Zeit später.
Kritik an Präsidentin Das Regierungsstatthalteramt Oberaargau hat den Fall aufgrund zweier aufsichtsrechtlicher Beschwerden untersucht und die Ratsmitglieder in einer Medienmitteilung am vergangenen Donnerstag entlastet. Es heisst darin, dass «keine ernsthafte Störung oder Gefährdung der ordnungsgemässen Verwaltung der Kirchgemeinde Melchnau» festgestellt werden konnte.
Im Widerspruch zu dieser Aussage steht die deutliche Kritik an der früheren Präsidentin Chantal Lanz. «Die ablehnende Haltung der ehemaligen Präsidentin gegenüber Homosexuellen in der Kirche und insbesondere im Kirchgemeinderat hätte nach Auffassung des Regierungsstatthalters die ordnungsgemässe Verwaltung der Kirchgemeinde Melchnau grundsätzlich ernsthaft und nachhaltig stören können.»
Bemerkenswert ist hier die Verwendung des Konjunktivs, denn Lanz war effektiv während anderthalb Jahren als Präsidentin mit B. im Kirchgemeinderat. Mit einem Mann also, den sie in ihrem Brief an die Pfarrerin als Sünder abstempelte und für den sie «gute Seelsorge» statt Aufgaben im Rat forderte.
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Keine Massnahmen geplant Durch ihren Rücktritt habe sich die Situation nun beruhigt, heisst es in der Mitteilung weiter. Auch eine Verletzung des Amtsgeheimnisses oder des Datenschutzes konnte das Regierungsstatthalteramt nicht ausmachen und schliesst die Untersuchung damit ab. Weitere Massnahmen seien nicht geplant.
Barbara Roos, Vizepräsidentin und ab 2020 Präsidentin des Kirchgemeinderats, ist über das Ergebnis der Untersuchung erleichtert. Zur Kritik an Lanz möchte sie sich jedoch nicht weiter äussern. Der Bericht zeige, dass es während der Ratsarbeit nie zu homophobem Mobbing gekommen sei. «Chantal Lanz hat sich in ihrer Funktion als Präsidentin B. gegenüber stets korrekt verhalten. Mobbing und Diskriminierung waren an den Ratssitzungen nie ein Thema», sagt Roos gegenüber MANNSCHAFT.
«Als wäre die Welt in Ordnung» «Wer zwischen den Zeilen liest, stellt fest, dass der Regierungsstatthalter offenbar über den Rücktritt der Präsidentin erleichtert ist», sagt Daniel Frey, Kommunikationsverantwortlicher von «hab queer bern». Der Verein hat das Mobbing-Opfer über viele Monate beraten und unterstützt.
Man könne nun so tun, als wäre die Welt wieder in Ordnung, sagt Frey. Auf diese Weise habe der Regierungsstatthalter vermieden, gegen Homophobie in der Kirche Melchnau oder in der reformierten Kirche im Allgemeinen Stellung beziehen zu müssen. «Dass allerdings ein Mensch, der sich ehrenamtlich in einer Kirchgemeinde engagieren wollte, aufs Gröbste gemobbt wurde, nimmt man wohl als Kollateralschaden hin», so Frey weiter.
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Schmerzhafter Rückzug B. selbst hatte von der Untersuchung ohnehin nicht viel erwartet, wie er gegenüber MANNSCHAFT sagt. Der Versammlung der Kirchgemeinde am letzten Mittwoch blieb er arbeitsbedingt fern; sein Partner nahm daran teil.
B. wohnt seit Geburt in Melchnau, weshalb der Rückzug aus dem Kirchgemeinderat für ihn besonders schmerzhaft war. «Auf der einen Seite wollte ich nicht klein beigeben, auf der anderen Seite musste ich auf meine Gesundheit Rücksicht nehmen», sagt B.
Nach der Demission der Präsidentin wäre er durchaus bereit gewesen, zur Wiederwahl anzutreten. «Der Rat wollte jedoch nicht mehr mit mir zusammenarbeiten und mich deshalb auch nicht zur Wahl empfehlen», so B. Als Reaktion darauf habe er sich zurückgezogen. Eine Wiederwahl anzustreben wäre für ihn nur dann infrage gekommen, wenn es im Rat weitere personelle Wechsel gegeben hätte.
Lieber LGBTIQ-Engagement Da eine Änderung des Organisationsreglements anstand, verkleinerte der von neun auf fünf Mitglieder dezimierte Rat das Gremium kurzerhand auf fünf Sitze. An der Versammlung hiessen die Anwesenden diese Änderung gut und bestätigten alle Bisherigen. B. ist überzeugt: «Hätte ich mich zur Wiederwahl gestellt, wäre ich absolut chancenlos geblieben.»
Auch wenn es B. schwer fällt: Seiner psychischen Gesundheit zuliebe wird er nicht mehr im Kirchgemeinderat arbeiten. Er möchte sich nun lieber stärker bei der LGBT+ Helpline des Vereins «hab queer bern» engagieren. Dort sei er willkommen und sein unentgeltlicher Einsatz werde geschätzt.
Im November hat sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund für die Öffnung der Ehe ausgesprochen (MANNSCHAFT berichtete). B. ist darüber sehr froh. Offiziell sind Menschen wie er in der reformierten Kirche willkommen – noch scheint dies nicht in allen Kirchgemeinden angekommen zu sein.
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