Hate Crimes gegen LGBTIQ: «Ich schlage dir die Zähne ein!»
Über homofeindliche Angriffe in der Schweiz und warum sie besser erfasst werden müssen
Am 26. September 2021 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Ehe für alle ab. Studien zeigen, dass die Eheöffnung auch positive Entwicklungen im Bereich der psychischen Gesundheit möglich macht. Doch was ist mit dem Problem der Hate Crimes gegen LGBTIQ?
Der Regisseur Piet Baumgartner hat es immer wieder erlebt: Die homofeindlichen Übergriffe auf ihn und seinen Freund haben in den letzten fünf Jahren zugenommen. In seiner Instagram-Story machte er jetzt darauf aufmerksam, wie oft er mit seinem Freund Anfeindungen ausgesetzt ist – und das in Zürich.
So werden die beiden regelmässig verbal angegriffen, wenn sie Hand in Hand durch die Stadt gehen – sei es mit Schimpfwörtern oder auch konkreten Gewaltandrohungen. Piet Baumgartner berichtet beispielsweise, dass er am 29. Juli mit seinem Freund spazieren war, als eine Gruppe junger Männer rief: «So eklig, ihr solltet euch schämen!», «Verpisst euch!» und «Wenn du deine Zähne behalten willst, dann lass sofort seine Hand los!». Beide blieben perplex stehen, einer der Männer kam auf sie zu und drohte erneut: «Ich schlage dir die Zähne ein, wirst schon sehen!».
Dennoch glaubt auch er an eine positive Signalwirkung bei einem Ja zur Ehe für alle: «Ich bin damit aufgewachsen, dass ich nicht heiraten darf. Also, dass mir der Staat ein Recht vorenthält. So etwas prägt. Ein Ja am 26. September hilft für das eigene Selbstbewusstsein. Nach 37 Jahren werde ich endlich als ganzheitliche Person vom Staat anerkannt.»
Auch wenn die Ehe für alle ein Schritt in die richtige Richtung ist – mit einer Annahme der Eheöffnung ist es nicht getan: «Es braucht trotzdem noch Aufarbeitung im Bereich Hate-Crime-Erfassung und Minderheitenschutz», meint Baumgartner. Um Übergriffe zu vermeiden, brauche es auch weiterhin Aktivismus. «Ich engagiere mich zum Beispiel mit dem Verein GLL in Schulen und erzähle über queere Lebensweisen. Ich hätte mir gewünscht, hätte es das zu meiner Schulzeit gegeben.»
Dass die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare positive Effekte haben kann, belegt unter anderem eine Studie aus Dänemark und Schweden. Bereits im Jahr 2009 legalisierte Schweden als siebtes Land die Zivilehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, 2012 folgte das Nachbarland Dänemark. Forscher*innen untersuchten in einer Langzeitstudie die Zusammenhänge zwischen der Eheöffnung in den beiden Ländern mit der Suizidrate von Verheirateten. Dabei konnte ein starker Rückgang der Selbstmorde beobachtet werden (MANNSCHAFT berichtete).
In der Studie wurden die Zeiträume 1989 bis 2002 und 2003 bis 2016 berücksichtigt. Die Selbsttötungen von Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sanken dabei im zweiten Zeitraum um 46%. Diese Resultate führen die Forschenden auf die geringere Stigmatisierung sexueller Minderheiten zurück. Auch die Studienleiterin Annette Erlangsen kommt zum Schluss: «Verheiratet zu sein schützt vor Selbstmord».
Eine nicht-repräsentative Studie aus Illinois aus dem Jahr 2019 zeigte ähnliche Resultate. Sie untersuchte die psychische Gesundheit von 279 homo- und 266 heterosexuellen Versuchsteilnehmenden vor und nach der Eheöffnung in den USA. Dabei wurde klar, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit nach der Legalisierung durch den Supreme Court stark angestiegen war und das Risiko für Depressionen und Angststörungen bei den homosexuellen Personen gesunken ist.
Nicht nur verheiratete, sondern auch unverheiratete Versuchsteilnehmer*innen zeigten diesen Effekt. «Während vorher höhere Level an Angst vor Stigmatisierung erlebt wurden, konnte ein Anstieg der allgemeinen psychologischen Gesundheit nach dem Entschluss des Gerichtes festgestellt werden», sagte Studienleiter Brian Ogolsky in einem Statement zur Studie.
Ein neues Gesetz an sich kann also eine positive Signalwirkung haben. Für nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft muss aber mehr passieren.
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Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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