Häusliche Gewalt in homosexuellen Partnerschaften

Ein Tabu, das gebrochen werden muss

Illustration: Vector Stock
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Häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist nicht nur ein häufiges Phänomen, sondern auch ein Tabu. Ein Tabu, das gebrochen werden muss. Nur so kann sichergestellt werden, dass Betroffene die nötige Hilfe holen, Beratung erhalten und sich mit ihrem Problem nicht alleine fühlen.

«Ich dachte, ich hätte in meiner Beziehung das perfekte Glück gefunden. Doch eines Abends ging die Gewalt los. Am Ende jener Nacht hatte ich eine gebrochene Nase.» Mit diesen Worten beginnt Russ Vickery seine Schilderungen zur häuslichen Gewalt, die er erfahren hat. Immer wieder, über eine Zeitspanne von fünf Jahren, sei er von seinem Exfreund tätlich angegriffen worden, erzählt der Australier im Videointerview mit der Zeitung «The Sidney Morning Herald».

Diese Misshandlungen habe er lange Zeit für normal gehalten. «Ich hatte bis zu jenem Punkt keine Vergleichswerte und dachte, so sei es eben in Beziehungen zwischen zwei Männern», erklärt Vickery und schüttelt den Kopf.

Ich hatte bis zu jenem Punkt keine Vergleichswerte und dachte, so sei es eben in Beziehungen zwischen zwei Männern

Sein jetziger Partner, Matthew Parsons, machte in einer früheren Beziehung Ähnliches mit. Und auch er hielt dies nicht für ungewöhnlich. «Ich wusste nicht, was es bedeutete, in einer schwulen Partnerschaft zu leben», so Parsons. Den erlittenen Missbrauch, in seinem Fall war dieser vor allem psychischer Art,  habe er zu Beginn einfach hingenommen.

Ein verbreitetes Problem Häusliche Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren kommt häufig vor. Eine Datenauswertung der Northwest­ern University in Chicago ergab, dass «25 bis 75 Prozent aller Homosexuellen von häuslicher Gewalt betroffen sind». Dabei geht die Studie von einer hohen Dunkelziffer aus, weil wohl viele Betroffene aus Angst vor polizeilicher Diskriminierung eine Anzeige unterliessen. «Bisweilen ist schwer feststellbar, wie oft häusliche Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren wirklich vorkommt», sagt die Soziologin und Autorin Constance Ohms, die sich seit Jahren mit den Dynamiken häuslicher Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren befasst. Generell sei das Ausmass aber mindestens genauso hoch wie in heterosexuellen Partnerschaften. «Im Schnitt ist jede dritte bis vierte homosexuelle Partnerschaft betroffen», sagt die Expertin.

Ein grosses Tabuthema Das Fehlen verlässlicher Zahlen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass über das Thema kaum öffentlich gesprochen wird. «Diese Tabuisierung ist eine Reaktion darauf, dass die homosexuelle Lebensweise noch immer stigmatisiert wird», erklärt Constance Ohms. So sieht es auch Matthew Parsons. «Wir haben so lange versucht, der Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, dass unsere Liebe normal ist», sagt er. Zuzugeben, dass auch homosexuelle Beziehungen «manchmal missbräuchlich und toxisch» seien, dass Gewalt auch unter Schwulen und Lesben vorkomme, sei schwierig gewesen, so Parsons. «Wir befürchteten, dass dies gegen uns verwendet werden würde.»

Russ Vickery weist auf einen weiteren Grund hin, warum er die Gewalterfahrungen so lange für sich behielt. Auszusprechen, dass er häusliche Gewalt erlebt hatte, sei für ihn wie ein zweites Coming-out gewesen. «Und ich wollte mich nicht schon wieder outen müssen.»

Überforderte Community Die Problematik der häuslichen Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren wird aber nicht nur in der öffentlichen Diskussion kaum aufgegriffen, auch innerhalb der Gay-Community wird sie häufig verschwiegen. «Ich stelle diesem Thema gegenüber eine Hilflosigkeit fest», so Constance Ohms. Das sei zwar insofern verständlich, als die Communitys als Schutzraum gegenüber gesellschaftlicher Diskriminierung entstanden seien. Deshalb könne es überfordernd wirken, wenn innerhalb dieses Schutzraumes wiederum Gewalt vorkomme. In der Folge könne es aber zu «schrägen Situationen kommen», sagt sie, und illustriert dies mit einem Beispiel: «Ich kenne einen Fall aus einem Schwulenclub, da wurde ein Mann gegenüber seinem Freund tätlich. Was geschah? Man warf beide raus, statt nur den Täter vor die Tür zu setzen. Die Folge war, dass der Angreifer seinen Partner vor der Türe weiter misshandelte – ohne dass jemand eingeschritten ist.» In dieser Situation sei nicht reflektiert worden, was wirklich abging. «Es ging bloss darum, beide möglichst schnell loszuwerden und die Fassade der vermeintlich heilen Welt aufrechtzuerhalten.»

Für Constance Ohms steht deshalb eines fest: «Die Tabuisierung muss angesprochen werden». Betroffene Schwule und Lesben hätten oft einen hohen Leidensdruck und würden damit alleine gelassen. Auch nach Ansicht von Russ Vickery ist es notwendig, dass das Thema endlich auf den Tisch gebracht wird. «Die Leute müssen verstehen, dass es auch in unserer Community zu Gewalt kommt und dass manche Personen deshalb ein schreckliches Leben führen.»

Kontrollanrufe, Tracker im Handy, aber auch Demütigungen und Erniedrigungen kommen immer wieder vor.

Verschiedene Arten … Häusliche Gewalt tritt in verschiedenen Formen auf. Zu schweren körperlichen Auseinandersetzungen komme es unter Homosexuellen eher selten, sagt Constance Ohms. Sehr viel häufiger sei die psychische Gewalt. Meist geht es dabei um Überwachung sowie um den Wunsch nach Macht und Herrschaft. «Kontrollanrufe, Tracker im Handy, aber auch Demütigungen und Erniedrigungen kommen immer wieder vor.» Eine tragende Rolle spiele dabei oft die zuvor erwähnte Stigmatisierung der homosexuellen Lebensweise. «Das bietet die Möglichkeit, den anderen zu erpressen», erklärt sie. So werde regelmässig damit gedroht, den HIV-Status des Partners offenzulegen oder diesen zu outen, sei es am Arbeitsplatz, sei es bei den Eltern.

… und verschiedene Ursachen Einen Hauptgrund für die Gewalt in homosexuellen Partnerschaften sieht Constance Ohms im Phänomen der verinnerlichten Homophobie. «In den Augen mancher Schwuler und Lesben verkörpert der Partner oder die Partnerin die eigene Abweichung von der sogenannten Norm.» Dadurch könne das Bedürfnis entstehen, diese Abweichung zu zerstören. «Die reale oder symbolische Vernichtung des Partners oder der Partnerin ist ein zentrales Element von Gewalt und unterscheidet diese von einem Streit oder Konflikt.» Zudem stecke hinter gewalttätigem Verhalten meist ein verringertes Selbstwertgefühl. «Und besonders bei Frauen spielen oft auch sexuelle Missbrauchserfahrungen und das Erleben von maximaler Ohnmacht hinein», sagt sie. Damit gingen die Betroffenen ganz unterschiedlich um. «Manche werden zu ‹ewigen Opfern›, andere identifizieren sich mit dem Täter.» Wenn solche Konstellationen aufeinandertreffen, dann ergeben sich laut der Soziologin regelmässig «unsägliche Beziehungssituationen». Als eine Rechtfertigung der Gewalt will sie die bisweilen schwierigen Biografien der Involvierten aber nicht gelten lassen. «Erwachsene sollten und müssen eine adäquate Beziehungsform finden, ohne die eigenen Traumata zu reinszenieren.»

Dr. Constance Ohms: Die Stigmatisierung der homosexuellen Lebensweise bietet die Möglichkeit, den anderen zu erpressen. (Bild: zvg)
Dr. Constance Ohms: Die Stigmatisierung der homosexuellen Lebensweise bietet die Möglichkeit, den anderen zu erpressen. (Bild: zvg)

«Spezifische Thematisierung notwendig» Unerlässlich im Zusammenhang mit der Problematik ist ein adäquates Beratungsangebot. «Betroffene müssen irgendwo hingehen, das Ganze ansprechen und Hilfe holen können», sagt Constance Ohms, die selbst Beratungen anbietet und im Vorstand des Vereins «Broken Rainbow» tätig ist, einem Netzwerk von Anti-Gewalt-Projekten deutscher Lesben- und Transberatungsstellen. Es sei ganz zentral, dass die Beratungsstellen Homosexuelle explizit ansprächen und auf entsprechende Angebote hinwiesen, was leider nur selten vorkomme. Dieser Ansicht ist auch Miriam Reber, Kopräsidentin der Schweizerischen Konferenz gegen häusliche Gewalt. «Es wäre wichtig, das Problem der häuslichen Gewalt in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften spezifisch zu thematisieren», sagt sie. Lesben und Schwule müssten wissen, dass sie mit dem Problem nicht alleine dastünden und Hilfe verfügbar sei. «Es gilt, Homosexuelle noch vermehrt darauf aufmerksam zu machen, mit Flyern zum Beispiel.»

Qualifizierte Beratung erforderlich Eine weitere Schwierigkeit im Opferberatungswesen bestehe darin, dass manchmal die nötige Fachkenntnis im Hinblick auf schwule und lesbische Betroffene fehle, erklärt Constance Ohms. «Oft heisst es bei den Fachstellen einfach, natürlich seien auch Schwule und Lesben willkommen.» Diese Haltung sei aber insofern heikel, als sich nicht jede heterosexuelle Beratungsfachkraft automatisch für die Betreuung Homosexueller eigne. «Die beratende Person muss mit den Lebensrealitäten von Schwulen und Lesben vertraut sein und deren spezifische Probleme kennen», sagt die Expertin. Sie ist der Ansicht, dass Opferberatungsstellen idealerweise auch über schwule und lesbische Fachkräfte verfügen sollten. Sei dies nicht der Fall, dann müssten sich die heterosexuellen Beratungspersonen wenigstens tiefgreifend mit der Thematik befasst haben und gut mit Homosexuellen- sowie Transorganisationen vernetzt sein. «Andernfalls können sie überhaupt nicht nachvollziehen, was sich zum Beispiel bei einem Coming-out alles abspielen kann.» Dann bestehe die Gefahr weiterer Diskriminierung, was auf betroffene Personen abschreckend wirke.

Betroffene nicht mit Klischees konfrontieren Bei der St. Galler Opferhilfe zum Beispiel ist man sich dieser Gefahr bewusst. Zwar sei kein spezifisches Angebot für homosexuelle Betroffene vorhanden, sagt Leiterin Brigitte Huber, «aber wir haben uns fachlich vertieft mit der Thematik auseinandergesetzt». So wüssten die Beratenden zum Beispiel um die besonderen Machtverhältnisse, die sich in homosexuellen Paarbeziehungen etwa daraus ergeben können, dass der Partner oder die Partnerin mit unfreiwilligen Coming-outs erpressbar ist. «Zudem stehen wir in engem Kontakt und regem Austausch mit Organisationen wie Pink Cross oder der Aids-Hilfe St. Gallen.» Auch die Opferberatung Zürich pflegt «seit mehreren Jahren den Kontakt zu den Schwulenorganisationen», sagt Guido Ginella, Opferberater und stellvertretender Stellenleiter. «Einerseits, um unser Angebot unter homosexuellen Männern bekannt zu machen», so Ginella, andererseits auch im Zusammenhang mit internen Weiterbildungen. Denn eines sei wichtig: «Wir wollen verhindern, dass die Betroffenen mit erneuten Stigmatisierungen oder Unverständnis konfrontiert werden, wenn sie sich uns anvertrauen.»

Weiterführende Links in Deutschland: Broken Rainbow: broken-rainbow.de

Weiterführende Links in der Schweiz: Opferhilfe St. Gallen, für Frauen und Männer: ohsg.ch Opferberatung Zürich, für Männer: obzh.ch Beratungsstelle für Frauen:  bif-frauenberatung.ch

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