«Nach dem Tod meines Partners wurde ich AIDS-Helfer»

Günter Tolar hat viele Freunde an das Virus verloren

Günter Tolar (Foto: Alexander Amon / www.amon.pics)
Günter Tolar (Foto: Alexander Amon / www.amon.pics)

Weltweit haben sich nach UN-Angaben rund 80 Millionen Menschen seit der Meldung der ersten AIDS-Fälle 1981 mit HIV infiziert, 36,3 Millionen infizierte Menschen sind gestorben. In seinem Gastbeitrag für MANNSCHAFT erinnert sich die ORF-Legende Günter Tolar zurück.

Für mich ist der Welt-AIDS-Tag in erster Linie ein Tag der Erinnerung. Im Jahr 1991 habe ich meinen damaligen Lebenspartner nach 15 glücklichen Jahren des Zusammenlebens verloren. Er hat sich HIV eingefangen und Selbstmord begangen. HIV hiess damals einfach AIDS und war ein etwa 90%iges Todesurteil. Ich habe in den 1990er-Jahren 38 Freunde verloren, junge Männer grossteils. Ihr Sterben war zumeist elend und furchtbar, ihr Tod eine Erlösung.

Ich besitze ein Fotoalbum, in dem sie alle drinnen sind. Ich habe es noch nicht geschafft, beim Anschauen über die Seite 2 (bei insgesamt 12 Seiten) hinauszukommen. Zu weh tun die Erinnerungen. Ich habe damals auch ein Buch geschrieben, «Sein Mann». Es war ein Bestseller, ist aber längst vergriffen. Ursprünglich war es in der Ich-Form geschrieben, ich musste es aber auf Anraten des Verlages in die Er-Form umarbeiten. Zu gefährlich – damals, 1991! Vor ein paar Jahren habe ich die Ich-Form veröffentlicht: «Mein Mann». Das Buch gibt es nur auf Bestellung (ISBN 9781507720226).



Mein Partner ist damals von einem «Freund» angesteckt worden, der ihm vorher nicht gesagt hat, dass er infiziert ist. Ich habe das damals als glatten Mord empfunden, wollte den «Mörder» auch töten (erschiessen), liess es aber, als mir klar wurde, dass ich damit das einzige nicht erreiche, was ich eigentlich wollte: meinen Partner wiederhaben. Der andere ist auch schon vor langer Zeit gestorben, an AIDS.

Ich habe viele schöne Erinnerungen, sehr viele, der Welt-Aids-Tag aber hat für mich nichts als Trauer parat. Heute ist ja alles anders. Die akute Lebensgefahr des HIV ist längst gebannt, wir leben damit (MANNSCHAFT berichtete). Die Therapien machen ein normales Leben möglich, wenn man eine Therapie bekommt. Weltweit gesehen kommt ein Drittel aller HIV-Infizierten aber zu keiner Therapie. HIV ohne Therapie ist noch immer zu 90% tödlich, es wird auch immer noch munter gestorben. Auch bei uns. Gelitten und gestorben. Und angesteckt.

Der Begriff «Verantwortung» ist nicht sehr erfolgreich.

Klar, man kann HIV behandeln – dennoch ist der Umgang damit eine Frage der Verantwortung sich selbst und den anderen gegenüber. Der Begriff «Verantwortung» ist allerdings derzeit übergesprungen auf die COVID-Seite – und ist auch dort nicht sehr erfolgreich. Gegen die aktuellen Zahlen dort nehmen sich die HIV-Zahlen geradezu mickrig aus. Aber vergessen wir die Statistiken, die meines Erachtens sowieso viel zu oft als Ausrede oder Drohung benützt werden, und denken wir daran, dass jeder Mensch einzeln zu betrachten ist. Jeder einzelne Mensch ist 100%. Das ist gelebter Humanismus.

Ich selbst hatte viel zu viel Angst, bin also vom HIV verschont geblieben, habe mich aber nach dem Tod meines Partners auf die Seite der AIDS-Helfer geschlagen. Viel Elend habe ich gesehen, viel Sterben, manches Elend konnte ich mindern oder verhindern, das Sterben und die schrecklichen Wege in den Tod nicht. Heute bin ich 82 Jahre alt und schon lang raus aus der Szene. Ich habe den Status des Zeitzeugen erreicht, des Überlebenden. Aber auch des Beobachters, wenn auch von Ferne. Von den AIDS-Hilfen weiss ich, dass noch immer viel zu tun ist, weil das HIV ja noch immer existent ist und von seiner Gefährlichkeit nichts verloren hat.

Ich weiss auch aus meinem Freundeskreis, dass die Leute, die mit dem Virus leben, wenn auch medikamentös unterdrückt, nicht immer die glücklichsten sind und oft psychotherapeutische Unterstützung brauchen.

Aber all das gibt es heute, Medikamente, Fachärzte, Psychotherapeuten, Hilfen jeder Art. Die Menschen, die mir damals weggestorben sind, hatten das alles nicht. Daher bitte ich um Verständnis, dass der Welt-AIDS-Tag für mich ein Tag der sehr persönlichen Erinnerungen ist. Erinnerungen an junge Männer, die heute auch so zwischen 70 und 80 Jahre alt wären. Wie gerne würde ich mit ihnen plaudern.

Die Bangerz bringen mit dem vielfach ausgezeichneten Countertenor Nils Wanderer bringen mit «St. Petersburg» einen Charity-Song zum Welt-AIDS-Tag heraus (MANNSCHAFT berichtete).

Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.

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