Gewalt unter Mädchen – Warum schlagen Teenagerinnen zu?
In Heilbronn wird eine Gruppe von Jugendlichen für zwei Dutzend Körperverletzungen verantwortlich gemacht
Kriminelle Jugendgangs werden gemeinhin mit männlichen Teenagern verbunden. Weibliche Täter gelten als Einzelfälle. Am Heilbronner Amtsgericht müssen sich nun drei mutmassliche Täterinnen verantworten.
Von Julia Giertz, dpa
In den USA sorgt aktuell ein Fall für Entsetzen, bei dem drei Mädchen ein tödliches Hassverbrechen begangen haben sollen: Ihr Opfer Nex war nicht-binär (MANNSCHAFT berichtete). Nun beginnt an diesem Donnerstag (13.30 Uhr) ein Prozess in Baden-Württemberg: Mädchen aus Heilbronn und Rastatt sollen ihre Opfer bedroht, geschlagen und gefilmt haben.
Gemeinhin werden kriminelle Jugendgangs mit männlichen Teenagern verbunden. Mädchen als Täterinnen sind immer noch selten und überraschend. Der mutmassliche Heilbronner Fall ist ein Beispiel: Dort wird eine Gruppe von Mädchen für zwei Dutzend Körperverletzungen verantwortlich gemacht. Ein weiter Gewaltausbruch im badischen Rastatt, wo eine 14-Jährige von zwei anderen Jugendlichen krankenhausreif geschlagen wurde, hatte Mitte Januar bundesweit Aufsehen erregt. In sozialen Medien kursierten Aufnahmen, auf denen zwei Mädchen zu sehen sind, die ihr Opfer am Bahnhof zusammenschlagen und mehrmals gegen Kopf und Körper der am Boden Liegenden treten.
Vor einem Jahr hatte das Martyrium einer 13-Jährigen im schleswig-holsteinischen Heide eine Debatte darüber ausgelöst, ob eine frühere Strafmündigkeit ein wirksames Mittel bei der Bekämpfung von Jugendkriminalität sein könnte. Vier weiblichen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren wurden je 50 Arbeitsstunden auferlegt, weil sie die 13-Jährige im Februar 2023 geschlagen und gedemütigt und die Tat gefilmt hatten. Zu welcher Brutalität schon Kinder fähig sind, zeigt auch der Fall einer Zwölfjährigen aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg. Eine 12- und ein 13-Jährige hatten gestanden, das Mädchen im März vergangenen Jahres erstochen zu haben.
Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) erreichte die Zahl der Fälle, bei denen Mädchen anderen Mädchen Gewalt angetan haben, im Jahr 2022 mit 2295 einen traurigen Höhepunkt. In den neun Jahren zuvor lag der Wert stets unter 2000. Zuletzt war 2012 mit 2062 die Marke von 2000 Fällen überschritten worden. Statistisch erfasst wurden Gewaltdelikte, bei denen mindestens ein weibliches Opfer unter 18 Jahren und mindestens eine weibliche Tatverdächtige unter 18 Jahren beteiligt waren.
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg beobachtet diese Entwicklung schon seit Längerem. «Es bleiben jedoch eher Einzelfälle», sagt eine Sprecherin. Die Heilbronner Clique falle nicht in die Kategorie «Banden». Laut Bundesgerichtshof sei eine Bande ein Zusammenschluss von mindestens drei Menschen, die Delikte wie Nötigung, Bedrohung oder Sachbeschädigung begehen und sich dazu ausdrücklich oder stillschweigend zusammentun. Im Gegensatz dazu schlössen sich Mädchen in wechselnder, situativer oft spontaner Besetzung zusammen.
Dennoch wurde die Heilbronner Gruppe aus mindestens zehn und bis zu 30 gewaltbereiten Mädchen als Mädchenbande oder -gang bekannt. Einige von ihnen werden verdächtigt, zwischen Juli und August vergangenen Jahres Sachbeschädigungen und in mindestens 23 Fällen Körperverletzung begangen zu haben. Zuletzt sollen fünf der Mädchen in der Nacht zum 13. August ein Auto zerkratzt und zwei 20-jährige Frauen verletzt haben. Ein Grossteil der Taten wurde mit Handys gefilmt.
Drei mutmassliche Beteiligte stehen deshalb vor dem Heilbronner Amtsgericht. Wegen des jungen Alters der Beschuldigten wird nicht öffentlich verhandelt. Verstossen junge Menschen vor ihrem 14. Geburtstag gegen das Gesetz, gelten sie als schuldunfähig und gehen straflos aus. Beleidigungen spielen in Konflikten zwischen Mädchen wesentliche Rolle
Gewalttätigkeit von Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts beobachtet eine Expertin seit Jahren – mal mehr, mal weniger. Die beiden baden-württembergischen Fälle im vergangenen Jahr stellten bereits einen Höhepunkt dar, sagt Dagmar Preiß vom Stuttgarter Mädchengesundheitsladen. Sie seien typisch, weil sich die Aggressivität gegen Opfer des gleichen Geschlechts richte. Beleidigungen spielten in Konflikten zwischen Mädchen eine grosse Rolle, insbesondere wenn sie einhergingen mit der angedrohten Verbreitung und tatsächlichen Veröffentlichung von Nacktfotos.
Zu den häufigeren Delikten von Mädchen-Gangs gehören auch Kaufhausdiebstähle. «Da werden von oben nach unten Kleider, Kosmetika und Taschen mitgenommen», erläutert die Sozialwissenschaftlerin. Oft werden die Gruppen von ein, zwei besonders forschen Mädchen angeführt, die zwar vor Gewalt nicht zurückschrecken, massive Formen wegen des noch geschlechtstypischen Bedürfnisses nach Harmonie aber unterlassen, wie Preiß erläutert. «Bei Mädchen droht bei zu viel Gewaltausübung der Statusverlust, während Bosse in Jungenbanden ihren Führungsanspruch mit besonderer Brutalität untermauern können.» Die Gruppenmitglieder seien keiner sozialen Schicht zuzuordnen: «Das geht von der Förderschülerin bis zur Gymnasiastin.»
Die LKA-Sprecherin verweist auf Untersuchungen, die nahe legen, dass die psychische Belastung der Corona-Massnahmen besonders bei Kindern und Jugendlichen auch mittelfristig bestehen bleibt. «Dies stellt einen Risikofaktor für die Gewaltkriminalität unter Minderjährigen dar, vornehmlich, wenn sie niemanden haben, der ihnen den Umgang mit der Belastung zeigt», erläutert sie.
BKA-Experten betonen, die niedrige Anzahl an Gruppendelikten könne nicht darüber hinwegtäuschen, welche negativen Auswirkungen für die Gesellschaft damit verbunden sein könnten. Häufig handele es sich um schwerwiegende Delikte mit hoher krimineller Energie, die grösstenteils im öffentlichen Raum und stets aus der Gruppe heraus verübt würden. «Neben teils gravierenden Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit der meist gleichaltrigen Opfer können solche Delikte zu einer nachhaltigen negativen Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls innerhalb der Bevölkerung führen», teilte das BKA weiter mit.
Spitze bei der Anzahl und den Teilnehmenden, aber auch bei den Übergriffen gegen sie: Die Christopher Street Days zeigen ein zwiespältiges Bild der deutschen Gesellschaft (MANNSCHAFT berichtete).
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