Fakten, Fakten, Fake News – Die Blattkritik von Frank Richter
Der Comedian hat «Focus» gelesen
Frank Richter durchforstet die Medienlandschaft nach den wahren Perlen unter den Zeitschriften. Seine satirische Analyse erschien jeweils in der Printausgabe von Mannschaft Magazin.
Ich gebs zu. Focus war ein Notkauf. Ich stand vor einem Kiosk mit eingeschränkter Auswahl und konnte mich zwischen Focus und gefühlten zwölf Zeitschriften mit Donald Trump auf dem Cover entscheiden. Allerdings habe ich vor Kurzem einen Entschluss gefasst: Wenn ich noch was mit Donald auf dem Cover lese, dann bitte nur von Disney. Focus kam 1993 in Deutschland als Alternative zum Spiegel auf den Markt. Ich erinnere mich noch gut an die penetrante TV-Werbung mit dem grauhaarigen Chefredaktor Helmuth Markwort. «Wir brauchen Fakten, Fakten, Fakten.» Und dann die Stimme aus dem Off: «Montag ist Focus-Tag». Der Spruch «Fakten, Fakten, Fakten» wurde übrigens vom Satiremagazin Titanic mal in «Ficken, Ficken, Ficken» umgewandelt, worauf Markwort direkt Klage einreichte. Aber das nur am Rande und weil ich schon immer mal das Wort «Ficken» in einer Kolumne erwähnen wollte.
Seit der Markteinführung 1993 hat sich viel getan. Diverse weitere Printprodukte wie Focus Money oder Focus Gesundheit kamen dazu, die Onlinesparte wurde mit Focus-Online und der Huffington Post kräftig ausgebaut. Die verkaufte Auflage des Ur-Printprodukts hat hingegen um über einen Drittel abgenommen. Von den in Deutschland wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazinen rangiert Focus auf Platz drei, nach Spiegel und Stern.
Meiner Meinung nach zu Unrecht. Denn das Heft kriegt gekonnt den Spagat zwischen Informieren und Unterhalten hin. Die aktuelle Ausgabe stellt den niederländischen Islamhasser Geert Wilders vor, testet den neuen Nintendo Switch und plaudert mit Ed Sheeran über die Liebe und seine neue Musik. Der erzählt, dass sein neues Album «Divide» vor allem eines sein soll: bahnbrechend. «Man kennt ‹The A Team› vom ersten und ‹Thinking Out Loud› vom zweiten Album. Jetzt will ich, dass jeder Mensch fünf oder sechs Songtitel aus ‹Divide› im Schlaf runterrattern kann.» Ausserdem baut der sympathische Brite in sein Haus gerade eine Kneipe ein, die per Tunnel erreichbar ist. In diese will er in Zukunft feiernde Freunde auslagern. «Es muss ja nicht sein, dass irgendjemand besoffen auf deinem Küchentisch liegt, wenn du dir morgens ein Glas Milch holen willst.»
Auch die Politik kommt nicht zu kurz. Wofür Erdogan bei den wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern in Deutschland Werbung machen möchte (Einführung der Todesstrafe in der Türkei, Ausbau seiner Macht) und wie es zu Politiker Martin Schulz’ plötzlichem Aufstieg kam, darüber klärt Focus seine Leser*innen auf. Ein Blick auf die Webseite des Magazins zeigt allerdings: Das Heft kann auch anders.
Online jagt Focus eine Boulevardgeschichte nach der anderen ins Netz, kämpft mittels reisserischer Schlagzeilen um jeden Klick. Hauptsache, die Reichweite stimmt. Das Unternehmen schreibt auch gerne von anderen ab, besonders von Bild.de. Wie Bild herausgefunden hat, bedient sich «Focus» vor allem bei den kostenpflichtigen Bild-plus-Artikeln. Kaum erscheint einer, steht die gleiche Geschichte wenige Minuten später auf der Homepage von Focus. Der Springer-Verlag hat darum im Januar eine Klage eingereicht.
Doch lässt man den Webauftritt mal ausser Augen, hat man mit Focus ein gutes Heft in der Hand. Hintergrundinformationen, Politik, schöne Bilder sowie Seichtes gehen Hand in Hand. Da verzeiht man dann auch, dass die Coverstory mit den tollen Workout-Plänen und sechs Trainings pro Woche wenig pragmatisch ist. Aber immerhin war für einmal nicht Trump auf dem Cover.
Kaufempfehlung für …
Bahnreisende, Leute, die mitreden wollen, Onlineverweigerer.
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