Einer «wollte Eunuch werden» – Elektriker führte Kastrationen durch
Eines der Opfer identifizierte sich als trans
Bei manchen Fällen schütteln selbst hartgesottene Juristen den Kopf. Was bringt Menschen dazu, sich auf dem Küchentisch eines Unbekannten kastrieren zu lassen? Einer starb sogar nach dem Eingriff. Einblicke in eine bizarre Szene liefert ein Prozess in München. Von Elke Richter, dpa
Er wolle gerne Eunuch werden, begründete der eine seinen Wunsch. Ein zweiter Mann wollte seine vermeintliche Pornosucht in den Griff bekommen. Eins der Opfer sei trans und wolle als Frau weiterleben.
Ihre Motive waren unterschiedlich – doch sie alle suchten in einschlägigen Internetforen nach jemandem, der sie kastrieren sollte. Sie stiessen auf einen Elektriker aus Oberbayern. Er erfüllte ihr Begehren – mal mit dem gewünschten Ergebnis, mal mit fatalen Konsequenzen, nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft einmal sogar mit tödlichem Ende.
Der 66-Jährige steht seit Donnerstag in München vor Gericht. Acht Männern habe er zwischen Juli 2018 und März 2020 die Samenleiter durchtrennt, Hoden entnommen oder gar den Penis zum Teil amputiert, räumte der Angeklagte am ersten Prozesstag ein. Nur mit dem Tod eines seiner «Patienten» – wenige Tage nach dem Eingriff – habe er «absolut nichts zu tun».
Ursprünglich hatte der 66-Jährige nach dem Tipp eines Kollegen sadistische Sexualpraktiken im Internet angeboten, um nach der Beerdigung seiner pflegebedürftigen Frau Schulden begleichen zu können. Schon bald darauf aber erweiterte er sein Repertoire, schaltete eine entsprechende Anzeige und setzte auf dem Küchentisch seiner Wohnung in Markt Schwaben erstmals das Skalpell an.
Ich habe denen diese Lüge aufgetischt, damit sie sich operieren lassen.
Eine medizinische Ausbildung hatte der Mann nicht, wie er im Prozess einräumt. Den Interessenten habe er vorgegaukelt, Rettungsassistent oder ähnlich qualifiziert zu sein. «Ich habe denen diese Lüge aufgetischt, damit sie sich operieren lassen», gibt der Angeklagte zu. Es ist nicht das einzige Mal, dass er zurückrudert. Der Vorsitzende Richter zeigt sichtlich Freude daran, Widersprüche aufzuzeigen.
Generell geht es bei diesem Prozess – schon themenbedingt – heftig zur Sache. Es fallen Sätze wie «Wir haben über Sklavenhaltung geredet, wie wenn man über eine Biersorte redet.» Manchmal sorgen die Dialoge auch für unterdrückte Lacher bei den Zuhörern: «Ich hab‘ ihm erklärt, dass man da nicht einfach seinen Stängel reinsteckt und losrammelt. Da gehört ja noch ein bisschen mehr dazu, ein bisschen streicheln und so.» Der Richter: «Jetzt lassen wir mal die Kuschelrock-CD hier!»
Jedenfalls gingen die Kastrationen zunächst gut. Der Angeklagte flog selbst dann nicht auf, als er einem vermeintlich Pornosüchtigen, der zusammen mit seiner Ehefrau in mehreren Sitzungen bei ihm Hilfe suchte, mit einer Zwickzange die Eichel amputierte. Nach schwerem Blutverlust lag der Mann mehrere Tage in einer Klinik.
Doch bei dem Interessenten, der gerne ein Eunuch sein wollte, verlor er gänzlich die Kontrolle. Dem Betroffenen ging es laut Anklage nach zwei Eingriffen zur Entfernung seiner Hoden immer schlechter, bis er wenige Tage später in der Obhut des Angeklagten starb. Die Leiche verstaute der Mann demnach in einer Kiste, die rund drei Wochen später bei einer Durchsuchung von Polizisten gefunden wurde.
Weil er keinerlei Hilfe geholt hatte, muss sich der 66-Jährige nun nicht nur wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung, sondern auch wegen Mordes durch Unterlassen verantworten. Die Einwilligung der Betroffenen spiele dabei keine Rolle für den Vorwurf der Körperverletzung, erläuterte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Medizinstrafrecht im Deutschen Anwaltverein, David Herrmann, auf Nachfrage – schliesslich habe der Angeklagte medizinische Kompetenzen vorgetäuscht.
Noch dazu dürften selbst durch Fachpersonal durchgeführte, gewünschte Körperverletzungen nicht gegen die guten Sitten verstossen. Die sind freilich in der Sado-Maso-Szene anders zu bewerten als bei «Normalos». Kastrationen dürften aber nach Herrmanns Einschätzung auch dort nicht dazugehören.
Warum bloss lassen sich Männer auf eigenen Wunsch von einem Unbekannten in einer nicht sterilen Umgebung kastrieren? «Wir finden da nicht eine einzige Ursache», erklärt der Neuropsychologe Erich Kasten, der sich intensiv mit Amputationswünschen beschäftigt.
«Bei Hodenamputationen wollen die Betroffenen zum Teil weder männlich noch weiblich sein, sondern geschlechtslose Wesen.» Dahinterstehen könne natürlich auch eine trans Identität: trans Frauen, die «mitunter auch ihren Genitalbereich loswerden» wollten. Andere seien laut Kasten asexuell oder wollen nach einer Vorgeschichte mit vielen Enttäuschungen Geschlechtsverkehr künftig vermeiden.
Im Ausland gibt es Kliniken, die gegen Bargeld alles machen.
Sie finden fast zwangsläufig den Weg in dubiose Internetforen, erläuterte Kasten. In Deutschland dürfen Ärzt*innen aktuell kein intaktes, gesundes Körperteil nur auf Basis eines Wunsches entfernen. Eine Alternative zu Angeboten aus dem Internet, die auch so mancher Kastrationswillige nutze: «Im Ausland geht es auf jeden Fall fachlich-chirurgisch gut – da gibt es Kliniken, die gegen Bargeld alles machen.»
In Berlin stand kürzlich ein Lehrer wegen Mordes mit Kannibalismus-Verdacht vor Gericht (MANNSCHAFT berichtete).
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