Ein «zweites Zuhause» im queeren Jugendzentrum Wien
Die HOSI hätte es am liebsten nahe der Türkis Rosa Lila Villa oder dem Gugg
In Wien soll ein queeres Jugendzentrum entstehen. Wenn alles gut läuft, könnte es schon in der Pride-Saison 2023 Wirklichkeit werden.
«Ein queeres Jugendzentrum für Wien soll Schutz bieten, Vielfalt stärken und Raum geben», ist auf der Einladung zur Fachkonferenz der WASt, Wiener Antidiskriminierungsstelle, im Rathaus zu lesen. Bereits im Jahr 2020 hat die HOSI-Jugend, also die Jugendgruppe der Homosexuellen Initiative Wien, zum ersten Mal ein queeres Jugendzentrum öffentlich gefordert (MANNSCHAFT berichtete ).
«Wir sehen in diesem Bereich dringenden Bedarf in Wien», sagt Ann-Sophie Otte, die HOSI-Obfrau, am Freitag im Rathaus. Dabei seien sie mit den ehrenamtlichen Strukturen an ihre Grenzen gestossen, was auch von allen anderen Institutionen, Organisationen und Vereinen in der LGBTIQ-Community in Wien bestätigt werde. Darum haben alle der Forderung nach einem ersten queeren Jugendzentrum zugestimmt. Schliesslich haben noch vor der letzten Gemeinderatswahl 2020 die politischen Vertreter*innen mit den Stimmen der Wiener Landesparteien die Grünen, SPÖ und NEOS im Gemeinderat diese Forderung mehrheitlich beschlossen (MANNSCHAFT berichtete ) Unmittelbar danach habe die WASt eine Studie an das Institut für Höhere Studien, IHS, in Auftrag gegeben, um die Wichtigkeit und den Bedarf eines solchen Jugendzentrums zu erarbeiten.
Die IHS-Studie beinhaltet eine Datenerhebung, um herauszufinden, ob so ein queeres Jugendzentrum in Wien überhaupt gebraucht werde, was wenig überraschend mit den Ergebnissen der Studie bejaht wurde. Karin Schönpflug, wissenschaftliche Mitarbeiterin des IHS: «Unsere Bedarfserhebung für ein queeres Jugendzentrum in Wien bestätigt, dass die Zeit für ein solches Projekt reif ist, weil die bestehenden Räume nicht ausreichend sind, aber Bedürfnisse und Nachfrage steigen. Ein queeres Jugendzentrum ist von offener Jugendarbeit mit profundem Wissen der Mitarbeiter*innen für queere Thematiken getrieben», sagt sie. Gute Konzepte seien besonders wichtig für die Arbeit mit Jugendlichen ab zwölf Jahren, mit trans und inter Jugendlichen, mit Eltern und den Jugendlichen ohne elterliche Unterstützung.
Ein queeres niederschwelliges und barrierefreies Jugendzentrum sei für diese Zielgruppe ein wichtiges Angebot von Raum zur Freizeitgestaltung mit intersektionalen Ansätzen und interdisziplinären Methoden. «Es ist ein sichtbarer Ort der offenen Begegnung nach aussen und ein Safe Space nach innen, um sich zurückzuziehen oder sich weiterzubilden», sagt Schönpflug. Aber auch Zivilcourage, Empowerment, Aufklärungsarbeit und Demokratiepolitik sind wesentlich, um ein queeres Jugendzentrum erfolgreich umzusetzen. Auch Obfrau Otte war erfreut über den relativ schnellen Prozess bis zum Beschluss im Gemeinderat. Zwei Jahre später haben die politischen Vertreter*innen der Stadt schliesslich bei der jüngsten Fachkonferenz im April 2022 aufgrund der vorgelegten Ergebnisse der Studie entschieden, auch Wien brauche ein queeres Jugendzentrum.
«Solche Prozesse in der Stadt brauchen stets viel Zeit, obwohl wir als LGBTIQ-Community die Dringlichkeit und schnelle Finanzierung dieses Projekts in naher Zukunft schon viel früher erkannt und bejaht haben», sagt Otte, für die es nicht schnell genug geht, bis das erste queere Jugendzentrum eröffnet wird.
«Die geografische Lage eines solchen queeren Jugendzentrums sollte möglichst in der Nähe der vielen LGBTIQ-Vereine, Organisationen und Beratungsstellen sein, wie zum Beispiel im 4., 5. oder 6. Bezirk in Wien ansässig sein», sagt Otte. Zum Beispiel in der Nähe der AIDS-Hilfe, der Rosa Lila Villa oder dem Gugg, Vereinszentrum der HOSI, wodurch für viele der Zugang niederschwelliger werde. Finanziell dürfe es aber keine negativen Konsequenzen für bereits geförderte LGBTIQ-Vereine geben, was sich die Community auch nicht leisten könne. Viele Vereine seien derzeit auch nur gering gefördert.
«Das erste queere Wiener Jugendzentrum sollte daher durch einen eigenen Budgetfördertopf aus dem Bildungsbereich der Stadt Wien finanziert werden. Schliesslich handelt es sich auch um Jugend- und Bildungsarbeit», meint die HOSI-Obfrau und verweist darauf, dass der zuständige Bildungsstadtrat Wiederkehr bereits finanzielle Förderung für das queere Jugendzentrum öffentlich in Aussicht gestellt habe, aber konkrete Zahlen gebe es dazu noch keine.
«Die Finanzierung ist natürlich stark abhängig von den Öffnungszeiten des Jugendzentrums, wo qualifiziertes Fachpersonal optimal mindestens fünf bis sechs Tage in der Woche, besonders am Wochenende und am Samstagabend anwesend sein soll», sagt Schönpflug. Dafür brauche es aber auch mindestens sechs bis sieben Personen.
In der queeren Jugendarbeit brauche es gezielte Beratungsstunden, zudem sei es wichtig, sich mit den bereits existierenden LGBTIQ-Organisationen und Vereinen gut zu vernetzen, sagt Otte, für die die ehrenamtliche Lobbyarbeit der queeren Organisationen dennoch nicht zu ersetzen sei.
97 % der Jugendlichen sind klar dafür
«Schliesslich haben wir 120 Tätigkeitsberichte von bereits bestehenden Jugendeinrichtungen, wie von Wiener Jugendzentren und offene Jugendarbeiten, der letzten fünf Jahre, mit dem Fokus auf Aktivitäten im Bereich LGBTIQ angeschaut», sagt Schönpflug. In jenen Vereinen, wo mehr queere Jugendarbeiter*innen tätig seien oder entsprechende queere Fortbildungen absolviert werden, seien auch mehr und regelmässig queere Themen präsent, sagt sie. Rund 175 Jugendliche, im Alter bis zu 25 Jahren, wurden befragt, ob sie ein queeres Jugendzentrum notwendig finden und wie es erreichbar sein müsste. Rund 97 Prozent der Befragten bestätigen die Dringlichkeit eines Jugendzentrums eindeutig mit Ja, genauso wie sie eine gute Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln wie S- oder U-Bahn bevorzugen.
Vor allem wollen sie andere queere Jugendliche in diesem Jugendzentrum kennenlernen und entsprechende queere Beratung zu bekommen. Schönpflug spricht von einem «zweiten Zuhause durch ein queeres Wiener Jugendzentrum». Denn sichere Räume in Wien für queere Jugendliche fehlen schlicht.
Man hat auch Gespräche mit Jugendlichen aus den fünf queeren Jugendzentren in Deutschland, in Berlin, Köln, München, Karlsruhe und Hannover, geführt. Die Vertreter*innen aus Köln, München und Karlsruhe wurden von der WASt auch zu ihrer Fachkonferenz nach Wien eingeladen: «Jedes dieser queeren Jugendzentren in Deutschland hat etwas Besonderes, was nachahmungswürdig ist, wie zum Beispiel der Umgang mit unterschiedlichen sozialen Schichten und unterschiedlichem interkulturellen Publikum», sagt Schönpflug. In Karlsruhe etwa werde der inhaltliche Schwerpunkt auf trans Identität und Coming-out gesetzt sowie zielgruppenspezifische Aktivitäten für junge Frauen und in Zukunft auch für queere Erwachsene.
«Je vielfältiger und kompetenter das Betreuungspersonal ist, desto besser wird so ein queeres Jugendzentrum auch in Wien funktionieren», glaubt Schönpflug. Wichtig sei dabei auch viele fachlich gut ausgebildete Jugendsozialarbeiter*innen dafür zu gewinnen, die möglichst selbst queer leben und möglichst mehrsprachig sind.
Nun sollen aber erstmal bestehende oder neue Räumlichkeiten für das geplante Jugendzentrum seien seitens der Stadt angeboten werden. Bis zum Sommer werden die politischen Entscheidungsträger*innen eine offene Ausschreibung an potentielle Projektträger*innen aussenden.
«Bereits im Frühjahr oder spätestens zur Pride im Sommer des Jahres 2023 könnten die Tore des ersten queeren Wiener Jugendzentrums geöffnet werden», hofft Schönpflug.
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