Ein neues Lebensgefühl in Berlin
Interview mit Tom Hugo
Vor einem Jahr zog der norwegische Sänger Tom Hugo vom hohen Norden nach Berlin – in eine Stadt, die für ihn Freiheit bedeutet. Im Interview mit der Mannschaft spricht der 37-Jährige über seine neue Single, Bisexualität und Paralleluniversen.
Tom, dein neuer Song «Without You» dreht sich um dieses besondere Gefühl, wenn man abends feiern geht und dabei jemanden kennen lernt. Was bedeutet dir das? Es ist ein tolles Gefühl und sicherlich vielen vertraut. Gerade wenn man oft unterwegs ist, herumreist, neue Orte und Städte erkundet, erlebt man es immer wieder. Auch mein Freund und ich trafen uns auf diese Weise.
Wie lief das ab? Fast neun Jahre ist das nun schon her! Ich war für ein Konzert nach Oslo gereist. Nach meinem Auftritt ging ich mit einem Kumpel in eine Gay-Bar. Mein Freund und ich lernten uns kennen, kurz bevor die Lichter angingen und die Party zu Ende war. Ich hätte an jenem Abend nie gedacht, dass dies passieren würde. Es war ein sehr spezieller und schöner Moment.
Vor einem Jahr bist du nach Berlin gezogen. In dieser Stadt könnest du deinem Herzen folgen, frei und «anders» sein, schreibst du auf deiner Homepage. Inwiefern? Das zeigt sich in verschiedenen Bereichen. So ist zum Beispiel die Akzeptanz gegenüber LGBTIQ-Menschen sehr hoch. Das spürt man nicht zuletzt in den Bars und Clubs. Es gibt derart viele Schwule hier in der Stadt, dass das Publikum oft bunt gemischt ist. So stört es denn die heterosexuellen Männer eigentlich nie, wenn sie einmal von einem Schwulen angesprochen werden. Der Umgang miteinander ist sehr locker, das wirkt befreiend!
Die skandinavischen Länder gelten aber ebenfalls als sehr offen? Absolut. Was Norwegen angeht, so ist das Land insgesamt liberal und progressiv, aber es sieht nicht überall gleich aus. Ich stamme aus Kristiansand, einer relativ kleinen und eher religiös-konservativen Stadt. Es gibt dort einfach nicht sehr viele Leute, die sich nicht in einer heterosexuellen Beziehung mit Kindern befinden. Das ist ein weiterer Unterschied zu Berlin: Hier organisieren viele Menschen ihr Leben auf eine andere Art und Weise. Mit der sexuellen Orientierung hat das aber nichts zu tun – auch die Mehrheit meiner heterosexuellen Freunde führt ein Dasein ausserhalb der konventionellen, klassischen Muster.
Wie erklärst du dir das? Unter anderem mag es daran liegen, dass die meisten Leute hier nicht sehr viel verdienen. Wenn man über viel Geld verfügt, tendiert man dazu, sein Leben anders einzurichten. Man denkt dann darüber nach, dass man noch das Wohnzimmer umgestalten oder ein neues Auto kaufen könnte, um es überspitzt zu formulieren. Als Musiker ist mein Zahltag nicht besonders gross, doch in Berlin unterscheide ich mich damit nicht von den anderen.
Du schwärmst von deiner Wahlheimat Berlin. Gibt es etwas, das du an Norwegen vermisst? Zum einen die Nähe zur Natur. Wald und Küste lagen gleich neben der Haustüre meines Elternhauses, das hat mich definitiv geprägt. Zum anderen vermisse ich natürlich die Familie. Da ich aber relativ viele Konzerte in Norwegen gebe, sehe ich sie ziemlich oft. Was mir an der Heimat auch gefällt, ist die Tatsache, dass ich die Strasse entlanggehen kann und dabei immer wieder Leute antreffe, die ich kenne. Wobei ich hierzu gleich anmerken muss, dass die Anonymität einer Grossstadt ebenfalls vieles für sich hat.
Du hast von Auftritten in Norwegen gesprochen – bist du in deiner Heimat bekannter als im restlichen Europa? Absolut. Hier in Deutschland und in anderen europäischen Ländern starte ich sozusagen noch einmal von vorne. Das ist aber ziemlich cool, man kann einen absoluten Neuanfang machen.
Du identifizierst dich als bisexuell. Gelegentlich hört man die Aussage, wonach bisexuelle Männer «eigentlich schwul» seien, aber ein «komplettes» Coming-out fürchteten. Musstest du dir das auch schon anhören? Nach meinem Coming-out war es zu Beginn nicht immer ganz einfach. Manche Menschen denken immer noch in einem Schwarz-Weiss-Schema und haben Mühe damit, wenn sich jemand nicht strikt in die eine oder die andere Kategorie einteilen lässt. Ich habe auch von Studien gehört, wonach Bisexuelle eine weniger beliebte Gruppe darstellten als Homo- oder Heterosexuelle. Gerade in Norwegen wurde ich immer wieder einmal gefragt: «Okay, was bist du denn jetzt wirklich?»
Und in Berlin? Hier passiert so etwas viel seltener. Das ist toll, ich bin kein Fan von Labels. Umso schöner ist es, zu sehen, dass insbesondere junge Leute einen zunehmend flexiblen Umgang mit ihrer Sexualität und Identität pflegen. Ich bin überzeugt, dass wir alle verschiedene Seiten haben und wir uns auch verändern können.
Wie äussert sich die Bisexualität bei dir? Bis ins Alter von 27 hatte ich mehrere Freundinnen, und das passte. Die Gefühle, die ich damals hatte, waren echt und real. Ein wichtiger Teil von mir lag aber brach, und heute fühle ich mich glücklicher als damals. Ich finde Frauen nach wie vor attraktiv, bevorzuge aber Männer.
Ich könnte damit leben, keine Brüste mehr zu sehen.
Anders gesagt: Ich könnte damit leben, keine Brüste mehr zu sehen. Ohne die männliche Ausstattung wäre es schon sehr viel schwieriger (lacht). Das hat wohl auch damit zu tun, dass ich seit neun Jahren in einer Beziehung mit einem Mann bin. Ich habe mich ganz einfach daran gewöhnt, mit einem Mann zusammen zu sein, sodass ich Frauen in dieser Hinsicht immer weniger Aufmerksamkeit schenke.
Wie hast du die Tatsache gefeiert, dass Deutschland die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet hat? Wir gingen aus! Es ist wirklich sehr schön, dass Deutschland dem Vorbild anderer Staaten gefolgt ist und die Ehe nun allen ermöglicht. Insbesondere freue ich mich für jene Leute, die jahrelang für diesen Erfolg gekämpft haben.
Du bist nicht nur Sänger, sondern auch Songwriter. Wie sieht bei dir der Prozess des Songschreibens aus? Meist fliegen mir die Songs zu. Manchmal erwache ich morgens und habe einfach den Teil einer Melodie im Kopf. Dann stehe ich jeweils sofort auf, nehme die Melodie auf und forme einen ganzen Song daraus.
Du schreibst auch Songs für andere Künstlerinnen und Künstler. Wie entscheidest du, ob ein Song nun für dich selbst oder für andere sein soll? Teilweise merke ich, dass der Song nicht wirklich zu meiner Stimme passt und besser klingen würde, wenn ihn jemand anders sänge. Auch der Inhalt kann entscheidend sein: Wenn der Text eine persönliche Bedeutung hat, dann gebe ich den Song nicht weg. Häufig erhalte ich aber auch Aufträge von anderen Produzent*innen oder Künstler*innen. In diesen Fällen setze ich mich einfach hin und versuche zu kreieren, was den Wünschen des Kunden entspricht.
Du erhältst also auch Anweisungen, in welche Richtung der Song gehen sollte. Genau. Ich arbeite zum Beispiel immer wieder für ein japanisches Plattenlabel. Es kann passieren, dass sie eine romantische Ballade oder einen locker-flockigen Sommersong wünschen oder gewisse inhaltliche Themen vorgeben. In solchen Fällen gleicht der Arbeitsprozess dem Backen eines Kuchens. Ich weiss, wie der Kuchen aussehen und schmecken soll. Die Entwicklung des genauen Rezepts ist aber mir überlassen.
Wie sehen deine musikalischen Pläne für die nächsten Monate aus? Arbeitest du an einem Album? Um ehrlich zu sein, bin ich diesbezüglich noch unschlüssig (lacht). Ich weiss nicht, ob ich ein ganzes Album machen oder einfach einzelne Singles rausbringen will. Ich habe ziemlich viele Songs geschrieben, die noch unveröffentlicht sind – insofern würde sich die Produktion einer neuen Platte für Herbst oder Weihnachten anbieten. Mal schauen!
Ich habe gelesen, dass du schon als Vierjähriger Musiker werden wolltest. Könntest du dir vorstellen, nebst Musik noch irgendetwas anderes zu machen? Wie viele Künstler*innen habe auch ich schon über diese Frage nachgedacht. Wer kreativ tätig ist, kommt fast immer einmal zum Punkt, an dem man sich Gedanken über die Zukunft macht. Ich könnte Lehrer werden, wobei ich vielleicht zu ungeduldig wäre (lacht). Ausserdem liebe ich es, zu kochen! Mir ist klar, dass der Job eines Kochs sehr anstrengend und hart ist. Doch sollte ich einmal keine Lust mehr haben, von Club zu Club zu touren, dann eröffne ich vielleicht ein «Bed and Breakfast» in einem wärmeren Land. Dann werde ich zu einem alten Mann mit dickem Bauch, der ständig Speisen zubereitet und Wein trinkt (lacht).
Du hast einen freien Tag: Wie verbringst du ihn? Das ist ganz unterschiedlich. Wenn ich in Norwegen bin, dann gehe ich raus in die Natur. Mein Vater besitzt einen 200-jährigen Bauernhof mitten im Wald, dort halte ich mich sehr gerne auf. Gleichzeitig bin ich ein Festivalnarr! Wenn man mehrtätige Musikfestivals besucht, dann taucht man in eine eigene Welt ein, in eine Art Paralleluniversum, in dem man Zeit mit Freunden verbringen und Bands zuhören kann. Am liebsten habe ich es, wenn ich in meiner Freizeit einfach in den Tag hineinleben kann, ohne Pläne oder striktes Programm.
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