Doku über Frankfurter Homosexuellenprozesse kommt ins Kino

«Das Ende des Schweigens» hat eine lange Entstehungszeit hinter sich

Szene aus «Das Ende des Schweigens» (GMFilms)
Szene aus «Das Ende des Schweigens» (GMFilms)

Vor über 70 Jahren begannen die Frankfurter Homosexuellenprozesse. Jetzt erinnert ein Film an die Verhaftungswelle von damals: «Das Ende des Schweigens».

Frankfurt am Main im Jahr 1950. Der Nazi-Terror wurde vor fünf Jahren beendet. Damals, im Sommer, wird der 17-jährige Strichjunge Otto Blankenstein von der Polizei aufgegriffen. Die Beamten finden bei ihm ein Notizbuch mit den Namen seiner Kunden. Es beginnen monatelange Ermittlungen gegen mehr als 200 homosexuelle und bisexuelle Männer. Die Hälfte von ihnen wird verhaftet, Arbeiter genauso wie Ärzte.

Eine der grössten Verfolgungen einer Minderheit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt: Die Frankfurter Homosexuellenprozesse 1950/1951 stürzen hunderte Männer ins Unglück. Sie tragen dazu bei, dass der Paragraph 175 in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wieder als Instrument zur Verfolgung Homosexueller eingesetzt wird, bis er im Jahr 1969 zunächst entschärft und 1994 endgültig gestrichen wird.

Nun rekonstruiert ein Film die damaligen Prozesse – und wie die Ermittlungen und Verhaftungen das Leben der Männer zerstört hat. Fünf Jahre hat der Filmemacher Van-Tien Huang daran gearbeitet. Bei Facebook stiess er damals auf das von einem Freund gepostete Bild eines jungen Mannes, der sich 1950 das Leben genommen hatte, und so erfuhr er von der Verfolgungswelle und den Prozessen.

«Das war damals total neu für mich», sagt er im Interview mit MANNSCHAFT. «Erst wollte ich nur eine kurze Doku darüber drehen, jetzt ist es ein Kinofilm von 75 Minuten Länge geworden.»

Van-Tien Huang (li) bei den Dreharbeiten (zVg)
Van-Tien Huang (li) bei den Dreharbeiten (zVg)

Der Film besteht aus dokumentarischen Teilen und nachgestellten Spielszenen. Viele Männer von damals leben nicht mehr oder wollen darüber nicht reden. «Sie sind vereinsamt, wurden damals von ihren Familien verstossen, konnten auch beruflich nicht mehr Fuss fassen», erzählt Van-Tien. «Das Problem ist: Damals war das geltendes Recht, die Männer waren vorbestraft.» Ein Historiker erzählte ihm von einem ehemals verfolgten Mann, dessen Familie nach seinem Tod den Nachlass einfach auf den Müll warf.

Ein halbes bis volles Dutzend der Männer leben noch, vermutet der Filmemacher. Viele sind früh gestorben. Das Trauma schlägt sich auch auf Gesundheit nieder, erklärt Van-Tien. «Es war schlimm: Erst wurden sie verfolgt von den Nazis und dann ging es nach Ende des Krieges gleich wieder los.»

Viele Gerichtsunterlagen und Polizeiprotokolle wurde mittlerweile zerstört – auch die Akte Otto Blankensteins etwa oder die Protokolle des Verhörs von Wolfgang Lauinger. Dass Van-Tien ihn für seinen Film interviewen konnte, war ein grosses Glück. Ende 2017 ist Lauinger gestorben (MANNSCHAFT berichtete).

Er war 97, als Van-Tien ihn kennenlernte. «Er war ein sehr freundlich, ein lieber Kerl. Er hatte gesundheitliche Probleme, war aber sehr charmant und hat seine Geschichte gerne erzählt. Er sprühte vor Leben und wollte kämpfen.»

Lauinger, Träger des Bundesverdienstkreuzes, wurde 99 Jahre alt und war eins der ältesten überlebenden Opfer des «Schwulenparagraphen» 175. Ausgerechnet er bekam keine Entschädigung für die Verfolgung in der Bundesrepublik: Das zuständige Bundesamt für Justiz hatte seinen Antrag abgelehnt.

Grund: Das im Sommer 2017 verabschiedete Entschädigungsgesetz für die in der Bundesrepublik verfolgten schwulen Männer (MANNSCHAFT berichtete) galt nicht für ihn. Nach seiner mehrmonatigen Untersuchungshaft 1950 wurde er nämlich freigesprochen – eine Entschädigung sollte laut Gesetz nur denen zustehen, die tatsächlich verurteilt wurden. Erst seit März 2019 haben Homo- und Bisexuelle, gegen die nach Paragraf 175 ermittelt wurde, auch bei einem Freispruch Anspruch auf Entschädigungszahlungen.

Nicht nur Männer, auch Lesben sind damals verfolgt und diskriminiert worden, das hätten ihm seine Gesprächspartner auch berichtet; einige Frauen seien verhaftet, sterilisiert und als geisteskrank eingestuft worden, doch das sei noch kaum erforscht, sagt Van-Tien.

Fünf Jahre Zeit und Arbeit hat Van-Tien, der vorher Werbefilme gemacht und hinter den Kulissen gearbeitet hat, in seinen Film investiert. Das erste Mal war er selbst Produzent. «Es war ein Kraftakt, aber es hat sich gelohnt. Ich bin happy. Ich würde das auch immer wieder machen.»

Denn, so sagt der 40-Jährige: Man darf nicht vergessen: Geschichte wiederholt sich. Deshalb muss man es immer wieder thematisieren, damit es eben nicht nochmal passiert. 



Die Hessische Filmförderung hat ihn unterstützt, aber er musste einen Eigenanteil einbringen, für die er Privatkredite aufnehmen musste. Auch von der AIDS-Hilfe Hessen gab es eine Teilförderung und vom Hamburger Historiker Gottfried Lorenz, dazu kleinen Spenden.

Im Oktober 2020 feierte der Film Festival-Premiere. Nun gibt es einen Starttermin fürs Kino: den 2. Dezember 2021.

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