«Trevor – The Musical»: Mobbing gegen schwulen Teenager
Die Geschichte spielt im Jahr 1981
Ein Broadwaymusical über einen 13-Jährigen, der in der Schule wegen seines «Andersseins» so sehr gemobbt wird, dass er in den Selbstmord getrieben wird?
Die Geschichte des jungen (fiktiven) Trevor inspirierte einst The Trevor Project, eine Hilfseinrichtung für LGBTIQ-Jugendliche mit Selbstmordgedanken, die in den USA 1998 gegründet wurde. Diese Organisation ist im Laufe der Jahre von vielen prominenten Menschen finanziell unterstützt worden, um ihre wichtige Arbeit fort- und diverse Bildungsprojekte umzusetzen. Zu den Unterstützer*innen zählen u. a. Sacha Baron Cohen, Neil Patrick Harris, Sharon Stone, Daniel Radcliffe, Jodie Forster, Britney Spears, Ellen DeGeneres und viele mehr.
Ganz aktuell sammelt der American-Football-Spieler Carl Nassib – der sich 2021 als erster aktiver NFL-Spieler öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte (MANNSCHAFT berichtete) – Geld für The Trevor Project. Er selbst spendete bei seinem Coming-out letztes Jahr 100.000 Dollar, die die NFL um die gleiche Summe ergänzte. Nun ruft er in einem Video zum Pride-Monat Juni wiederum zu Spenden auf und erklärt, er werde alle Spenden bis zu 100.000 Euro um die gleiche Summe ergänzen.
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«Ich möchte alle daran erinnern, warum Pride für mich wichtig ist», sagt Nassib. «Denn da draussen gibt es irgendwo nach wie vor ein Kind, das sagt, es wäre lieber tot als homosexuell.»
Die Idee zu der Telefonhilfe mit kostenfreier Nummer hatte 1998 eine Gruppe Filmemacher*innen, die 1994 den Film «Trevor» gedreht hatten. Der gewann einen Oscar als «Bester Kurzfilm» und wurde auch bei der Berlinale mit einem Teddy Award ausgezeichnet.
Als «Trevor» 1998 vom US-Sender HBO ausgestrahlt werden sollte, wollten die Filmemacher*innen am Ende auf eine Hilfsorganisation verweisen, für alle LGBTIQ, die selbst mit Selbstmordgedanken kämpfen. Sie stellten fest: eine solche Hilfsorganisation existierte nicht in den USA. Also gründeten sie sie selbst, u. a. mit dem Geld, das HBO für die Senderechte bezahlt hatte.
Später kamen viele weitere Geldgeber*innen dazu, so dass The Trevor Project heute eine der wichtigsten LGBTIQ-Organisationen in den Vereinigten Staaten ist.
«Endless Love» Als Nonprofit-Organisation ist The Trevor Project darauf angewiesen, immer wieder neu auf sich aufmerksam zu machen und neue Gelder zu aquirieren. Deshalb werden medienwirksam Preise vergeben – und vor allem werden viele Workshops in Schulen angeboten, um die Situation von LGBTIQ im Bildungswesen und in Familien zu verbessern. Damit ihnen das erspart bleibt, was Trevor im Film passiert.
Wir erinnern uns: Es geht um den pubertierenden Trevor, der die Sängerin Diana Ross abgöttisch verehrt, statt Sport zu treiben lieber «Fame» im Fernsehen schaut und sich in seinen Mitschüler Pinky Farraday verliebt – eine Sportskanone. Trevor vertraut seine Gefühle seinem Tagebuch an, das unglücklicherweise in die Hände seiner Mitschüler*innen fällt. Woraufhin alle wissen, dass er schwul ist.
Das Ganze spielt im Jahr 1981, also zu einer Zeit, als US-Präsident Ronald Reagan einen neo-konservativen gesellschaftlichen Wandel vorantrieb.
Pinky bricht den Kontakt zu Trevor ab, als alle glauben, er könnte selbst schwul sein, weil er Trevors schützender Freund wat/ist. Trevors Eltern lassen ihren Sohn von einem Pfarrer «aufklären» über die «Sünde» Homosexualität, die es zu überwinden gelte. In seiner Verzweiflung beginnt Trevor, sich selbst mit Elektroschocks zu «therapieren». Und entscheidet sich schliesslich, dass er nicht mehr in die Schule zurückkehren will, sondern lieber eine Überdosis Tabletten schluckt – zu den Klängen von Diana Ross‘ «Endless Love».
Lebensmut dank Krankenpfleger Jack Es stellt sich heraus, dass diese Tabletten Aspirin waren. Und Trevor im Krankenhaus wieder aufwacht. Dort lernt er den Pfleger Jack kennen, der ihm Lebensmut zurückgibt, indem er Trevor erzählt, dass er selbst vor zehn Jahren in solch einer Situation war. Und dass es besser wird.
Jack schenkt Trevor eine Karte zu einem Diana-Ross-Konzert, das beide besuchen wollen. Und Trevor schafft es, gestärkt seinen Mitschüler*innen und ihrer geballten Homophobie entgegenzutreten. Sogar seine Eltern – als begeisterte Reagan-Anhänger – stehen am Schluss zu ihm. So wie er ist.
Nachdem John Ambrosino, Josie Bray und Mark Woods diesen berühmten Film sahen, beschlossen sie 2013, daraus ein Musical zu entwickeln. Sie sicherten sich die Rechte am Stoff und kontaktierten die Komponistin Julianne Wick Davis sowie den Liedtexter Dan Collins.
Eine erste öffentliche Lesung ihres Stücks gab’s 2015 in New York in den New 42 Studios. Workshops zur Weiterentwicklung folgten. Bis es 2017 in Illinois im Writer’s Theatre eine vollausgestattete Bühnenfassung gab, die extrem erfolgreich vom lokalen Publikum angenommen wurde.
«Anders als die andern» Unter Verwendung verschiedener Diana-Ross-Klassiker (inkl. «Endless Love» für die beeindruckende Selbstmordversuch-Szene) wird in «Trevor – The Musical» klar und fliessend die Geschichte aus dem Film erzählt, mit den Mitteln der Popkultur, aber mit deutlicher Empowerment-Botschaft. Sowohl für Jugendliche, als auch für Eltern und Lehrer*innen.
Denn obwohl die Geschichte auch im Musical 1981 spielt und viele Jüngere heute vermutlich nicht mehr wissen, wer Ronald Reagan war bzw. wofür er stand, so ist das Thema des Mobbing aufgrund von «Anders als die andern»-Sein ungebrochen aktuell. Nicht nur in den USA, wo konservative Kräfte derzeit versuchen, viele Fortschritte der letzten Jahrzehnte umzukehren, u.a. auch die Ehe für alle (MANNSCHAFT berichtete) und eine feste Verankerung von LGBTIQ-Themen im Schulunterricht (MANNSCHAFT berichtete darüber ebenfalls).
Was den 13-jährigen Trevor unterscheidet von heutigen LGBTIQ-Jugendlichen: Er hatte keine Möglichkeiten, sich im Internet zu informieren über Sexualität, er konnte im Fernsehen keine Serien wie «Heartstopper» oder «Sex Education» sehen, die ihm ein positives Bild seiner eigenen Situation hätten liefern können. Und es gab in den 1980er- und 90er-Jahren auch keine Musicals, die das Thema aufgriffen, wie das später Musical-Serien wie «Glee» oder «High School Musical: The Musical: The Series» taten bzw. tun. «La Cage aux Folles» war erst 1983 das erste Mainstream-Musical über ein schwules Paar, mit einer flamboyanten Dragqueen-Geschichte, die weitestmöglich vom «Trevor»-Stoff entfernt ist. (MANNSCHAFT berichtete über Florian Kleins LGBTIQ-Musical «Shooting Star», über den Werdegang eines schwulen Pornodarstellers, der Liebe sucht.)
Letztes Jahr im Oktober kam «Trevor – The Musical» abermals nach New York und wurde am Broadway im Stage-42-Theater gezeigt, mit dem aussergewöhnlichen Holden William Hagelberger in der Titelrolle, der bei einer grossen Suchaktion quer durch die USA als Hauptdarsteller ausgewählt wurde.
Schluss mit verklausulierter Homosexualität? Dass sich dann ausgerechnet der Disney-Konzern als wichtiger Global Player in Sachen Musical dazu entschloss, diese Bühnenfassung von «Trevor» live zu filmen und bei Disney+ als «Disney-Produktion» bereitzustellen, darf man als einigermassen bemerkenswert bezeichnen. Denn: «Love, Victor» wurde von Disney noch in einen Unterkanal «verbannt», während jüngst in der Disney-Verfilmung des Jugendromans «Better Nate Than Ever» – mit Musicalthematik und einem anderen 13-jährigen Titelhelden – die Homosexualität von Nate nur sehr verklausuliert «angedeutet» wurde (MANNSCHAFT berichtete).
Bei «Trevor – The Musical» gibt’s nichts zu verklausulieren. Die Geschichte ist eindeutig. Und auch wenn die Musik kein genialer Wurf ist (abgesehen von den Diana-Ross-Einlagen), geht die Geschichte von Trevor und Pinky unter die Haut. Auch, weil Sammy Dell als Objekt von Trevors Begierde die Rolle des Pinky so spielt, dass diese verhinderte Teenager-Romanze «knistert». Und beim Selbstmordversuch stockt einem als Zuschauer schon der Atem!
Es ist jedenfalls nach «Fun Home» – basierend auf Alison Bechdels Grafic Novel über die Coming-of-Age-Geschichte des lesbischen Teenagers Alison – das erste Musical, das die Geschichte eines LGBTIQ-Jugendlichen am Anfang der Pubertät schildert und Selbstmord-wegen-Mobbing zum zentralen Thema hat. In der deutschsprachigen Musicalszene müsste man nach einem solchen Stück lange suchen und würde trotzdem nicht fündig. (MANNSCHAFT berichtete über das erste deutschsprachige Buch zum Thema LGBTIQ-Musicals, das unter dem Titel «Breaking Free» im September beim Querverlag erscheint, darin schreibt Ralf Rühmeier über «Disney und Diversity».)
«Strange World» Derweil hat der Disney-Konzern angekündigt, dass in seinem neuen Animationsfilm «Strange World» erstmals die explizite Repräsentation einer homosexuellen Liebesbeziehung zwischen (zwei männlichen) Teenagern gezeigt werden soll.
Ob dieser Film dann überall auf der Welt zu sehen sein wird, wo es LGBTIQ-Teenager und Disney-Fans gibt, ist eine andere Frage.
Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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