«Offene Beziehungen gab es doch schon immer!»
Seit ihrer Uraufführung 1874 in Wien wurde «Die Fledermaus» millionenfach aufgeführt, aber noch nie spielte ein schwules Paar die Hauptrollen des Gabriel von Eisenstein und seiner Gattin Rosalinde. Die Neuproduktion am Casinotheater in Winterthur ist ein klarer Fall für Christoph Marti und Tobias Bonn von den Geschwistern Pfister.
Seit einigen Jahren erobern die Pfisters, die ihre Fans bisher vor allem mit eigenen Programm wie «Have a ball» und «Servus Peter – O là là Mireille» begeistern, auch die deutschsprachigen Operettenbühnen. Nach der «Czárdásfürstin» in Köln, in der Christoph die Titelrolle sang und «Clivia», die alle drei Pfisters an der Komischen Oper Berlin vereinten, kommt jetzt die Fledermaus in Winterthur.
Die Handlung der Operette von Johann Strauss basiert auf der Vorgeschichte: Herr von Eisenstein setzte einst den Notar Dr. Falke nach einer rauschenden Ballnacht betrunken und als Fledermaus verkleidet aus, sodass er am nächsten Tag verkatert und kostümiert durch die Stadt laufen musste. Das war für den Notar, der seither «Dr. Fledermaus» genannt wird, reichlich peinlich. Er schwor über Jahre Rache. Wie er die schliesslich einfädelt, das erzählt die Operette, die eigentlich den Titel «Die Rache einer Fledermaus» trägt, aber immer nur als «Die Fledermaus» auf den Spielplänen steht. Im Casinotheater in Wintherhur allerdings spielt man die Operette unter dem Titel «Die Rache der Fledermaus», die man als liebenswerte Abrechnung mit Johann Strauss verstanden wissen will, wie es in der Ankündigung heisst.
Denn man entfernt sich in einigen wesentlichen Aspekten von der Vorlage. Einerseits ist die Version, die man im Hochsommer in Berlin probte und die nun im Casinotheater auf die Bühne kommt, gekürzt auf etwa zwei Stunden. «So lange dauert auch ein schöner Champagnerschwips, dann fängt der Kater an», erklärt Stefan Kurt. Der zweifache Grimme-Preisträger, der auch schon mit den Pfisters in der Berliner «Clivia»-Produktion auf der Bühne stand, spielt hier unter anderem den Gefängniswärter Frosch.
Die Operette verzichtet in der Inszenierung auch auf Geigen, dafür sind Bass, Gitarre und schräge Rhythmen zu hören. Weitere Besonderheit: Regisseur Stefan Huber, der auch schon Klassiker wie «La Cage aux Folles» oder «Evita» inszenierte, verortet jede Figur der «Fledermaus» in einer anderen Epoche, die Eisensteins stehen für die Bel Epoque, während ihr Stubenmädchen Adele in den 50er Jahren angesiedelt ist und Rosalindes Ex-Lover wiederum als Hippie daherkommt.
Christoph Marti als Rosalinde Eisenstein Die auffälligste Unterschied zu herkömmlichen Fledermäusen ist natürlich, dass Christoph Marti hier die Rolle der Rosalinde Eisenstein übernimmt. Er und sein Mann Tobias Bonn geben ein eingespieltes Ehepaar, das für ein bisschen Abwechslung in der Beziehung durchaus offen ist. Er lässt sich gern zum Souper bei Prinz Orlofsky entführen, um dort auf Teufel kommt raus zu flirten – während er offiziell wegen Beamtenbeleidigung ins Gefängnis geht – und sie ist gar nicht böse, dass ihr Gatte aus dem Haus ist, erwartet sie doch Alfred, ihre Jugendliebe.
Der Seitensprung ist ein gängiges Operettenmotiv. Man ist in festen Händen, flirtet aber gerne, ist vielleicht auch offen für mehr. Wobei wir hier selbstverständlich von heterosexuellen Figuren sprechen. Da soll noch mal jemand sagen, die Schwulen hätten die offene Beziehung erfunden.
Das Thema Fremdgehen gibt es schon immer
«Ach, die gab es doch schon immer», sagt Tobias. Und Christoph stimmt ihm zu. «Da bin ich auch wirklich froh, da haben wir es kulturhistorisch als Schwule einfacher.»
«Das Thema Fremdgehen gibt es schon immer, auch in der Theaterliteratur», erklärt Tobias. «Man ist verheiratet, hat was man immer wollte, aber es bleiben Sehnsüchte. Solche Konflikte kennen die Leute, darum funktioniert es beim Publikum auch so gut.»
Die Produktion in Winterthur ist für beide die erste Fledermaus, und sie freuen auch sehr darauf. Nicht nur weil sie die Musik lieben, sondern auch weil sie den Plan zu dieser Produktion selber ausgeheckt haben, gemeinsam mit den beiden Stefans und Max Gertsch, einem Gründungsmitglied der Pfisters.
«Eine Produktion unter alten Freunden», erklärt Stefan Kurt, der mit Stefan Huber zusammen auf dem Konservatorium für Musik und Theater Bern war, auf die auch Christoph und Tobias gingen, nur ein paar wenige Jahre später.
Die nächsten Produktionen sind schon eingetütet Nach der Fledermaus sind auch die nächsten Produktionen für die Pfisters schon eingetütet: In Nürnberg läuft ab Februar «Ball im Savoy» und im Mai folgt «Roxy und ihr Wunderteam», ebenfalls von Paul Abraham, eine Fussball-Operette, die die Komische Oper Berlin mit den Pfisters auf die Bühne bringt. Dass da kaum noch Zeit für die eigenen Pfisters-Produktionen bleibt, hat Vor- und Nachteile.
«Wir haben uns das alles ausgesucht, jedes einzelne Projekt ist grossartig», sagt Tobias. «Dafür mussten wir unser nächstes eigenes Projekt schon dreimal verschieben. Das findet jetzt aber 2019 statt.»
Seit 33 Jahren ein Paar Christoph findet es mal ganz angenehm, Engagements wie in Winterthur anzunehmen. «Da müssen wir uns um nichts kümmern, nur den Text können und rechtzeitig auf der Probe sein.» Bei den eigenen Produktionen kommen sie manchmal an ihre Grenzen, denn man hat nie Feierabend, weil man von A bis Z für alles Verantwortung trägt. Da können sich die beiden, die seit 33 Jahren ein Paar sind und auch fast so lange zusammen auf der Bühne stehen, schon mal in die Haare kriegen. Aber sie arbeiten nach wie vor gerne zusammen, sagen sie. Und wenn man sieht, wie sie in der Probenpause miteinander turteln, hat man daran auch überhaupt keinen Zweifel.
Am Donnerstag, den 30. August hebt ihre Fledermaus in Winterthur ab. Dass 24 Kilometer weiter, in Zürich, dieselbe Strauss-Operette gegeben wird – geschenkt! Diese Produktion zu toppen, so hört man, dürfte nicht allzu schwerfallen. Nicht umsonst spielt man im Casinotheater «Die Rache der Fledermaus». Das ist eine Ansage.
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