Zum ersten Mal beim ESC: Die Schuhe brennen, die Emotionen auch

Sandra Studer (l) und Hazel Brugger bei ihrer Performance «Made in Switzerland»
Sandra Studer (l) und Hazel Brugger bei ihrer Performance «Made in Switzerland» (Bild: Sarah Louise Bennett, EBU)

Das erste Halbfinale des ESC in der St. Jakobshalle war – man kann es nicht anders sagen – grandios. Ein buntes Lichtermeer, tolle Auftritte, viel Humor und eine einmalige Atmosphäre.

Für mich, die das erste Mal live an einem Eurovision Song Contest dabei ist, gab es gar nicht genug zu sehen.

Ich kam mir vor, wie Charlie Bucket in Tim Burtons Kinderbuchverfilmung «Charlie und die Schokoladenfabrik» – staunend durch all die Glitzermenschen oder sonstwie auffällig gekleideten Fans schreitend, musste ich vor der grandios beleuchteten Bühne einen Moment erführchtig innehalten, nur um dann wie eine Touristin – über die ich mich sonst immer aufrege – alle diese Momente mit dem Handy festzuhalten. 

Es war aber auch wirklich spektakulär – um noch ein weiteres Adjektiv zu benutzen – was hier an Lichtshow, Video-Effekten, Tanzeinlagen, Nebelbläsern, Windmaschinen und allseits beliebter Pyrotechnik geboten wurde. Am eigenen Leib gespürt habe ich davon vor allem die Feuerfontänen bei gefühlt mindestens sechs der insgesamt fünfzehn Auftritte – weil mein Spot direkt vor der Bühne war und es dort dann ziemlich heiss wurde. 

Die meiste Zeit freute ich mich aber über diesen Stehplatz, denn erstens kamen fast alle Künstler*innen während dem Auftritt und danach meistens nach vorne. Und dann stand ich auch noch unmittelbar dort, wo die Acts nach ihren Performances die Treppe herunterkamen, um durch den Tunnelgang zum Green Room zu gelangen. Vor lauter Winken, Klatschen und Knipsen kam ich also auch ohne Feuersbrunst ins Schwitzen. 

Einen Lieblingsmoment dieses ersten Halbfinales könnte ich gar nicht benennen. Ich war schon von der ersten Tanzperformance zur Live-Eröffnung begeistert, von dem wechselnden Farbenspiel, das die Bühne in ein Meer aus Kolorationen tauchte. Von den einzelnen Performances, die für alle Künstler*innen ohne grössere Pannen verliefen – abgesehen von derjenigen beim Auftritt von Zoë Më, als das Bild kurz ins Stocken geriet. 

Das Publikum liess sich aber dadurch die ausgelassene Stimmung nicht verderben. Es wurden weiter Fahnen geschwenkt, bis die Hände abfielen. Direkt hinter mir hatten sich zwei Schwedinnen postiert, die bei KAJ und «Bara bada bastu» nicht mehr zu halten waren und dabei sicherlich die längsten Schreie an einem Stück erzeugten, die ich bis dahin gehört hatte. 

Die Moderation durch Sandra Studer und Hazel Brugger (MANNSCHAFT berichtete) fand ich auch souverän und sympathisch. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass sich gerade Brugger nicht besonders wohl fühlte mit Script und Teleprompter.

Sie brillierte dafür immer dann, wenn sie aus dieser Rolle einmal ausbrechen und einfach improvisierend auf die Leute losgelassen wurde – ob im Green Room oder in einem Videoeinspieler auf den Strassen Basels – gerade das war ungemein unterhaltsam. 

Moderatorin Hazel Brugger
Moderatorin Hazel Brugger (Bild: Corinne Cumming, EBU)

In der Halbzeitpause, während des Wartens auf die Punktevergabe, tobte dann nochmals die Halle beim Auftritt von Studer und Brugger, die sich in dem von ihnen interpretierten Song «Made in Switzerland» selbstironisch über Schweizer Klischees lustig machten, samt Heidi und Taschenmesser-Teleshopping-Einlage.

Als sie dann auch noch die schwedische Komikerin und mehrmalige ESC-Moderatorin Petra Mede als Wilhelm Tell aus dem Hut zauberten, sagte die Schweiz auf diese Weise nochmals danke für die letzjährige Austragung des Musikspektakels in Malmö (MANNSCHAFT berichtete), wo bekannterweise Nemo am Ende siegreich war und erstmal unbeabsichtigt die Trophäe zertrümmerte. 

Zudem ist der Song auch eine augenzwinkernde Anlehnung an Medes Nummer «Swedish Smörgåsbord» aus dem ESC-Finale von 2013, die aber wohl nur die beiden schon erwähnten Fans hinter mir verstanden – denn der Kreischpegel schnellte wieder in die Höhe. Doch auch die Nicht-Schwedinnen in der Halle fanden die gelungene und bunte Fonduegabel-Performance der diesjährigen Hosts amüsant. 

Die emotionalsten Augenblicke sind für mich jedoch schnell gefunden. Einmal die Videobotschaft von Céline Dion (MANNSCHAFT berichtete), die offenkundig nicht nur «Teil der Proben» war, wie zuvor vom ESC-Mediensprecher Adrian Erni berichtet wurde. 

Céline Dions Videobotschaft, ESC
Céline Dions Videobotschaft (Bild: Corinne Cumming, EBU)

Es war dieselbe Botschaft, in denen Dion ihr Bedauern darüber ausdrückte, nicht vor Ort sein zu können. Zumal hier in der Schweiz alles begann. Schliesslich fand der erste Eurovision Song Contest, damals noch unter dem viel zu langen und inzwischen auch überholten Namen «Grand Prix Eurovision de la Chanson» 1956 in Lugano statt. Und dann wurde auch noch eine Schweizerin – Lys Assia – mit ihrem Song «Refrain» die erste Gewinnerin des Wettbewerbs. 

Céline Dion selbst holte den Sieg ein zweites Mal in die Schweiz, als die kanadische Sängerin 1988 mit dem Titel «Ne partez pas sans moi» gewann und damit ihren internationalen Durchbruch feierte. Genau dieses Lied wurde anschliessend von vier letztjährigen Contest-Teilnehmer*innen toll interpretiert: Jerry Hail (Ukraine), Marina Satti (Griechenland), Iolanda (Portugal) und Silvester Belt (Litauen). 

«Wir wissen wirklich noch nicht, ob sie kommt. Das ist keine Lüge. Es würde uns die Welt bedeuten, wenn sie hier bei uns da wäre»

Sandra Studer, ESC-Moderatorin

Und auch wenn derzeit die Chancen auf einen Live-Auftritt von Dion nicht gut stehen – das Prinzip Hoffnung besteht dennoch, dass die kanadische Sängerin trotz ihrer Krankheit (Stiff-Person-Syndrom) für eine Überraschung gut ist. Sandra Studer meinte dazu in der Pressekonferenz vom Mittwoch: «Wir wissen wirklich noch nicht, ob sie kommt. Das ist keine Lüge. Es würde uns die Welt bedeuten, wenn sie hier bei uns da wäre». Genau wie mir. Warum, verrate ich vielleicht, wenn sie tatsächlich auftaucht. 

Bewegt hat mich aber auch das: Als der 19-jährige Kyle Alessandro, der für Norwegen antrat, nach seinem Auftritt die Stage verliess, wischte er sich Tränen aus den Augen, so erleichtert war er. Zuvor hatte er in den Proben noch Probleme, in den hohen Tönen seine Stimme zu halten. Zu seinem Song «Lighter» wurde er durch seine Mutter inspiriert, die nach ihrer Krebsdiagnose sagte, er solle niemals sein inneres Licht verlieren. Das scheint der Frohnatur fern zu liegen, auf der Bühne verlor er in einer der Proben dafür jedoch seinen Schuh. 

«Der schmolz dahin wegen der Hitze, die durch die Flammenwerfer erzeugt wurde»

Kyle Alessandro, Norwegen-Act

«Der schmolz dahin wegen der Hitze, die durch die Flammenwerfer erzeugt wurde», sagte er lachend im Interview nach seinem Finaleinzug. Ich war also nicht die Einzige, die mit der Hitze zu kämpfen hatte. Wenigstens mussten bei mir keine Treter dran glauben. 

Dass Norwegen genauso wie Schweden (Jaaa!) oder Albanien (Den Song mag ich auch!) locker weitergekommen sind, hat mich nicht gross überrascht. Dafür fand ich aber andere Entscheidungen kurios. Red Sebastian flog für Belgien raus aus dem Wettbewerb. Auch der Kroate Marko Bošnjak scheiterte mit «Poison Cake» – beides waren aber sehr energetisch vorgetragene Bühnenauftritte mit spannender Choreo. 

Dafür kam Portugal weiter mit einem, nun ja, eher vor sich hin plätschernden Lied. Diese Wahl erstaunte sogar die eigenen Fans, wie man nach dem Event zurück im Tram zu Hotel oder Party erfuhr. Lustig, wenn der Patriotismus über den eigenen Geschmack geht.

Ich bin jedenfalls offen und ehrlich diesmal nicht für die Schweiz – das wäre ich nur gewesen, wenn mein Heimatland mit dem Duo Brugger/Studer und «Made in Switzerland» angetreten wäre. 

«Ich bin eine schwarze queere Frau. Ich kann nicht einfach schweigen» – Die britische Sängerin Skin ist eine Ikone der LGBTIQ-Bewegung. Mit ihrer Band Skunk Anansie ist sie angetreten, Rassen- und Geschlechterschranken in der Welt der Rockmusik zu überwinden (MANNSCHAFT-Interview).

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