Der Super Nanny – als schwuler Au-pair in den USA
Kindererziehung ist nicht allein Frauensache, findet Norman
Die drei Kinder, die er in Boston betreut, lieben ihren schwulen Au-Pair. Dabei wurde Norman zunächst von der vermittelnden Agentur kritisch beäugt.
Devon (14) und seine Schwestern, die Zwillinge Finley und Sabine (9) aus Boston, wachsen seit vielen Jahren mit Au-pairs auf, immer mit weiblichen. Und dann kam Norman. Der Psychologiestudent aus der Nähe von Frankfurt vollendete Anfang März sein erstes Jahr als Au-pair im US-Bundesstaat Massachusetts, genauer gesagt in Newton, einem Vorort von Boston. «Sehr progressiv, urdemokratisch – für einen schwulen Mann ist es Traum, hier zu leben», schwärmt der 24-Jährige.
Es begann mit einer kleinen Sinnkrise. Der Student wollte etwas komplett anderes machen und suchte sich eine Au-pair-Agentur. Die meisten schlossen ihn allerdings von vornherein aus, die Bewerbungsbedingungen lauteten oft «Single, 20–26, weiblich», erzählt er mir in einem Gespräch via Skype. Schliesslich fand er «Cultural Care», die nach eigenen Angaben grösste Au-pair-Organisation weltweit, seit über 25 Jahren im Geschäft. Zwischen fünf und zehn Prozent der Au Pairs aus Deutschland sind männlich, Tendenz eher steigend, teilt uns «Cultural Care» auf Anfrage mit. Gastfamilien würden aber zunehmend erkennen, dass das Geschlecht des Au Pairs in der Regel keine Rolle für den Erfolg des Programms spielt.
Norman erstellte also ein Profil für die Homepage, wo Familien mit potenziellen Au-pairs gematcht werden, also eine Art Au-pairship. Dass er schwul ist, schrieb Norman ganz offensiv in sein Profil, und dass es ihm wichtig sei, dass seine Gastfamilie das akzeptiert. «Ich wollte nicht bei irgendwelchen Republikanern in Texas landen. Das wäre ein Worst-Case-Szenario gewesen.»
Eine «Vermännlichung» der Jobbezeichnung ist nicht nötig Die Bostoner Familie, bei der er schliesslich nach einem Skype-Interview landete, war Au-pair-erfahren. Auch wenn die Eltern – die Mutter ist Recruiter, der Vater Architekt – nicht gezielt nach einem Mann gesucht haben, entschieden sie sich für Norman. Devon, der Sohn der Familie, kommt langsam in die Pubertät, und man fand, dass ein männliches Rollenvorbild eine gute Idee sei. Zumal der Junge aufgrund einer Chromosomenaberration sprachlich und motorisch eingeschränkt ist und besondere Aufmerksamkeit braucht. So wurde Norman der erste männliche, der erste schwule Au-pair in der Familie.
Dass sich manche seiner männlichen Au-pair-Kollegen als «Bro-pair» bezeichnen, beobachtet Norman mit Skepsis. Als wäre das Thema Kindererziehung etwas, das auf Frauen beschränkt ist und das man erst mal vermännlichen muss. Vielleicht, vermutet Norman, fühlen sich einige männliche Au-pairs so unwohl in ihrer Rolle, dass sie den Begriff vermännlichen müssen. «Ich finde das sehr unnötig.»
Bei seinem Bewerbungsgespräch mit der Agentur wurde er kritisch beäugt, wie er fand. Man fragte ihn, warum er unbedingt als Au-pair arbeiten möchte. «Ich mag Kinder einfach», antwortete Norman. «Ich glaube, ich hätte da Spass dran.»
Und den hat er auch. Sein Tag beginnt gegen halb 7 mit Kinderwecken und Frühstück zubereiten, dann macht er alle für die Schule fertig und stellt ihre Lunchpakete zusammen. Wenn sie aus der Schule kommen, geht seine Arbeit weiter. Oder eben der Spass. Er mag es, mit den Kindern rumzualbern und im Kopf selber wieder 9 Jahre alt zu sein, im Rahmen seiner Verantwortung, versteht sich.
Auch bei den Freundinnen beliebt «Kinder geben dir unglaublich viel Liebe», schwärmt Norman von seinem Job. «Wenn ich die Zwillinge morgens aufwecke, um sie für die Schule fertig zu machen, habe ich erstmal eine links und eine rechts im Arm und beide drücken mich ganz fest, das ist echt wundervoll. Jeden Abend, wenn ich sie ins Bett bringe, sagen sie mir, wie sehr sie mich lieben. Das ist total schön.»
Sogar die Freundinnen der Zwillinge sind ganz verrückt nach ihm und reissen sich darum, zum Spielen vorbeizukommen, wenn sie wissen, dass der hübsche Au-pair zugegen ist.
«Offenbar bin ich der erste Schwule in ihrem Leben, der es auch thematisiert.» Er hat ihnen alles erklärt. Was gay bedeutet, dass eben Männer auf Männer stehen und Frauen auf Frauen. Wenn Freundinnen der Zwillinge zu Besuch sind, wollen die oft wissen, ob Norman eine Freundin hat.
Die Mädchen erklären dann schnell, dass Norman schwul ist, auf Jungs steht und «das auch voll okay so ist», erzählt er lachend. So geht das in Boston. Da kriegt niemand Schnappatmung und schreit «Frühsexualisierung!», wenn Kinder mit menschlicher Vielfalt konfrontiert werden.
Für zwei Jahre hat sich Norman verpflichtet, im März 2019 geht es nach Deutschland zurück. Bis dahin soll seine Masterarbeit fertig sein, und dann will er die Ausbildung zum Psychotherapeuten machen. Und ja, auch eigene Kinder will er irgendwann haben. «Auf jeden Fall», sagt er. «Nur wie viele oder mit wem – das weiss man noch nicht.»
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