Daniel Brühl ist Karl Lagerfeld: «Eine grosse, romantische Seele»
Im Interview spricht der Schauspieler über die zerbrechliche Seite des Modeschöpfers und wie er versucht hat, sich dieser zu nähern
Daniel Brühl gibt die Hauptrolle in «Becoming Karl Lagerfeld». Mit MANNSCHAFT sprach der Schauspieler über anfängliche Zweifel, seine Begegnung mit dem Modeschöpfer und dessen zerbrechliche Seite.
Mit Erkältung und bloss auf Socken sitzt Daniel Brühl am Morgen nach der Deutschlandpremiere der Serie «Becoming Karl Lagerfeld» (ab 7.6. bei Disney+) im Berliner Soho House und freut sich, mal wieder in der Stadt zu sein, die er lange sein Zuhause nannte. Gerade hat er die Dreharbeiten zur britischen Comedy-Serie «The Franchise» von Sam Mendes und Armando Iannucci abgeschlossen, im Herbst ist der ausserdem neben Jude Law, Ana de Armas und Sydney Sweeney im Film «Eden» von Ron Howard zu sehen.
Doch für den Moment dreht sich für Brühl, der am 16. Juni seinen 46. Geburtstag feiert, alles um Deutschlands berühmtesten Modeschöpfer, dessen Zeit im Paris der 1970er Jahre der Sechsteiler nun auf den Bildschirm bringt.
Herr Brühl, Sie haben schon so manche grosse Rolle gespielt, darunter auch reale Persönlichkeiten. Aber eine Ikone wie Karl Lagerfeld – das ist schon etwas anderes, oder? Oh ja, diese Rolle ist durchaus ein Wagnis gewesen. Ich habe erst einmal gelacht, als man mir das Projekt angeboten hat. Mir erschien das ziemlich absurd: Wer kommt denn darauf, mich als Lagerfeld zu besetzen? Aber als französische Produktion, in Paris, fand ich das auch spannend. Genauso wie die Tatsache, dass es um die Jahre gehen sollte, bevor er zu dem Karl Lagerfeld wurde, den jeder kannte. Und irgendwie habe ich dann doch noch im selben Telefonat gemerkt, dass ich da Bock drauf habe. Ich weiss nicht genau warum, aber ich spürte einfach, dass ich das machen muss. Zum Glück!
Mit dem Ergebnis sind Sie also rundum zufrieden? Ich bin ein Krittler, der immer noch 1000 Sachen finden kann, mit denen er nicht zu 100% zufrieden ist. Aber es gibt in dieser Serie, gerade in der Liebesgeschichte mit dem fantastischen Théodore Pellerin als Jacques de Bascher, einige Momente, die zum Bezauberndsten gehören, was ich je gedreht habe. Die Chemie zwischen uns war aber auch ein echter Glücksfall. Irgendwann habe ich sogar zu meiner Frau gesagt, wie verknallt ich in diesen Mann bin. Diese Szenen waren so wahrhaftig, weil wir uns gegenseitig geholfen und gar nichts zurückgehalten haben. Wir haben vor der Kamera wirklich miteinander getanzt, und wenn das passiert, gibt es als Schauspieler nichts Schöneres.
Dem echten Lagerfeld sind Sie überhaupt nur einmal begegnet, richtig? Er hat mich mal für den Stern fotografiert, vor über 20 Jahren. Das war ein kurzes, aber schönes Erlebnis. Ich habe ihn als charmant und lustig in Erinnerung. Er hat gemerkt, wie nervös ich war, und mir gleich mit einem guten Witz über Berlin die Angst genommen, den ich leider längst vergessen habe. Trotzdem blieb natürlich eine gewisse Ehrfurcht und Distanz, denn ich begegnete ja dieser Persona, die er für sich erschaffen hatte. In voller Montur, mit Handschuhen und Stiefeln, weissem Pferdeschwanz und völlig verspiegelter Brille. Seine Augen habe ich wirklich nur mal für eine kurze Sekunde gesehen. Aber diese Begegnung war so eindrucksvoll, dass die Erinnerung daran mir vielleicht sogar den letzten Impuls gegeben hat, diese Rolle zu übernehmen.
Wie nähert man sich als Schauspieler denn einer solchen fast undurchdringbaren Persona überhaupt an? Erstmal hat natürlich die Lektüre verschiedener Biografien geholfen. Wobei ich dann schnell festgestellt habe, dass es viele vermeintliche Karl-Experten gibt, die denken, dass sie ihn gut kannten, einfach weil er ihnen dieses Gefühl gegeben hat. Dabei sind sie ihm in Wirklichkeit kaum häufiger begegnet als ich. Aber dann habe ich in Paris Patrick Hourcade getroffen, der lange Jahre eng mit ihm befreundet war, gerade auch in der für die Serie relevanten Zeit. Das war sehr aufschlussreich, weil er mir echte Einblicke in Karl als Person geben konnte, die ich nicht in den Büchern fand.
Und wie würden Sie die Person beschreiben, auf die Sie dann stiessen? Die Bücher und auch die Musik, mit denen Karl sich in jener Zeit auseinandersetzte, zeigten mir, dass er auf jeden Fall eine grosse, deutsche, romantische Seele war. Deswegen steht auch die Liebesgeschichte im Zentrum der Serie. Ich wollte unbedingt einen durchlässigeren, fragileren und nahbareren Karl Lagerfeld zeichnen, denn die undurchdringliche Fassade baute er sich erst langsam über die Jahre auf. Wie viel Schmerz muss man durchlebt haben, um so zu werden – das hat mich besonders interessiert.
Er selbst hätte es vermutlich nicht gemocht, dass es so eine Serie über ihn überhaupt gibt, oder? Oh nein, das wäre ihm gar nicht recht gewesen. Zumal die Geschichte ja sehr intime, delikate Pfade beschreitet. Aber wir haben das immer mit vollstem Respekt und viel Empathie für Karl Lagerfeld gemacht. Ich musste irgendwann die Angst verlieren, die Entscheidungen, die ich für mich bezüglich dieser Figur getroffen hatte, wirklich durchzuziehen. Allerdings hat es mich am Ende des Tages auch nicht interessiert, ob er nun Sex hatte oder nicht, sondern es ging mir um seine Zerrissenheit und die inneren Konflikte.
Was den Sex, den Rausch und die Lebenslust angeht, stellt ihn „Becoming Karl Lagerfeld“ als das komplette Gegenteil seines grossen Konkurrenten Yves Saint Laurent dar. Finden Sie, dass sich dieser Unterschied auch in der Mode der beiden widerspiegelt? Dazu war Karl, glaube ich, zu schlau und zu sehr ein Chamäleon. Wenn man sich zum Beispiel die Kollektionen anguckt, die er in den 1970ern für Chloë gemacht hat, waren die schon auch wild und sinnlich. Aber der Anachronismus, den er verkörperte, ist schon spannend. Während alle anderen sich für Sex, Drugs & Rock’n’Roll interessierten und in der Nacht verloren, lebte er am liebsten in seinem Rokoko-Schlösschen und hielt ganz treu an seiner grossen Liebe für den einen Mann fest. Das hatte mehr mit einem Proust-Roman oder einer Märchenlandschaft zu tun als mit der ihn umgebenden Realität.
Auf jeden Fall gab es für Lagerfeld in allen Lebensphasen nie etwas Wichtigeres als seine Arbeit. Liefen Sie je Gefahr, ebenfalls den Job über alles andere zu stellen?
Es gab schon Momente, in denen ich mich darin verlieren konnte. Aber im Vergleich zu Lagerfeld habe ich immer wieder festgestellt, dass er in allem die deutlich extremere Form von mir gewesen ist. Das Scheinwerferlicht war bei mir nie so grell und die Einsamkeit nie so gross. Trotzdem gab es früher durchaus Phasen, als mein Umfeld noch nicht so gefestigt war und mir die Realität eher grau, blass und fad erschien, weswegen ich den Kick in der Arbeit gesucht habe. Den brauche ich heute auch noch, aber inzwischen weiss ich, wohin ich danach zurückkomme. Meine Familie und meine Kinder, das ist für mich das Heiligste und mein Anker.
In einem anderen Interview sagten Sie kürzlich, Sie seien in der Arbeit heute furchtloser als früher. Haben Sie daran bewusst gearbeitet oder kommt das automatisch mit wachsender Erfahrung? Wahrscheinlich ist das eine Mischung aus beidem. Natürlich ist es eine Begleiterscheinung des Älterwerdens, dass man mit mehr Erfahrung auch mutiger wird. Aber ich habe schon auch für mich entschieden, dass ich nach all den Jahren in diesem Beruf etwas dafür tun muss, dass die Sache frisch bleibt, wenn ich noch lange weitermachen will. Das heisst dann eben, dass man immer wieder Dinge machen muss, die man so noch nicht gemacht hat, was jedes Mal eine Herausforderung ist. Der junge Kerl auf dem Foto, dass Lagerfeld damals von mir gemacht hat, hätte sich jedenfalls vermutlich nicht getraut, diese Rolle zu spielen.
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