«Daddy Issues» – Das Konzept der Wahlfamilie ist schon sehr queer
Dino Pešut über traumatisierte Vergangenheit und sein neues Buch
An diesem Donnerstag erscheint mit «Daddy Issues» der zweite Roman des kroatischen Autors Dino Pešut. Dafür liess er sich vom Leben seines Vaters inspirieren.
«Daddy Issues» behandelt die Geschichte eines 30-jährigen schwulen Mannes, der nach einem gescheiterten Versuch in Berlin Fuss zu fassen und sich dort als Künstler zu beweisen zurück nach Zagreb gezogen ist. Dort arbeitet er uninspiriert vom Leben an der Rezeption eines Hotels. Die Nachricht, dass sein Vater eine potentiell unheilbare Krankheit hat, weckt den Protagonisten aus seinem Stupor auf. Es beginnt die Annäherung eines resignierten Sohnes und eines Vaters, der die eigene Abwesenheit während der Kindheit und Jugend seines einzigen Sprösslings wiedergutmachen will. Julian Beyer sprach mit dem Autor.
Dino, wie kamst du zum Schreiben? Ich habe Dramaturgie in Zagreb studiert. Eigentlich wollte ich im Zeitgenössischen Tanz Geschichten inszenieren, da ich selbst einige Jahre getanzt habe. Während meines Studiums habe ich viele Kurse belegt. Als ich mich intensiver mit dem Schreiben – unter anderem dem des gesprochenen Theaters – befasste, merkte ich, dass ich mich auf diese Art am besten ausdrücken kann. Hier konnte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen und fand meine grosse Leidenschaft. Das hatte ich so nicht erwartet. Für eine lange Zeit wusste ich nicht, dass ich Autor werden will. Heute weiss ich, dass ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist. Es ist ein aufregendes und tolles Gefühl.
Nach der Uni hast du einige Theaterstücke geschrieben und veröffentlichst nun «Daddy Issues». Dein erster Roman, der in deutscher Sprache veröffentlich wird. Wie kommt es, dass gerade dieses Buch den Weg in den internationaleren Markt schafft? Meinen ersten Roman habe ich geschrieben, als ich in Berlin gewohnt habe. Ich kann dir nicht sagen, warum er nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Er ist anders geschrieben, etwas komplexer vielleicht und mit wenig gesprochenem Dialog. Der Hauptgrund, warum es generell schwierig ist, in andere Sprachen übersetzt zu werden ist, dass niemand wirklich an kleinen Sprachen und Literatur aus ebendiesen Regionen interessiert ist.
Für «Daddy Issues» habe ich von Anfang an gutes Feedback erhalten. Das Buch hat sich recht schnell in Kroatien ausgebreitet und Menschen fingen an, es einander zu empfehlen. Insbesondere Personen meiner Generation und jünger scheinen recht begeistert und versuchen, mich und das Buch zu unterstützen. So schrieb mir beispielsweise ein Mann aus Italien via Instagram, dass er «Daddy Issues» ins Italienische übersetzen möchte und einen Verleger suchen will. Diese Fassung erscheint nächstes Jahr. Ähnlich ist es bei der deutschen und der englischen Übersetzung abgelaufen.
«Daddy Issues» hat den Zugang in den Mainstream gefunden dank der Hilfe derer, die das Buch entdeckt haben, gut fanden, weiterempfehlen und durch ihre Unterstützung es über Länder- und Sprachgrenzen hinaus befördern. Meine gesamte Karriere basiert auf der Unterstützung anderer, da ich selbst nicht über das notwendige Netzwerk verfüge.
Wie viel von dir selbst ist in der Geschichte? Ich bin mir darüber bewusst und übernehme volle Verantwortung dafür, dass man denken könnte, dass der Roman autobiografisch ist (lacht). Er ist jedoch rein fiktiv. Ich bin mir nicht sicher, ob es autobiografische Werke per se gibt, da sie Fiktion sind, sobald sie zu Papier gebracht wurden. Der Hauptcharakter ist mir in gewisser Weise nah. Ich bin queer, ich wuchs in einer Arbeiterklasse-Familie in einer kleinen Stadt auf und wohne jetzt in einer Welt junger Kreativer. Ich habe zudem ein wenig aus dem Leben meines Vaters geklaut. Der Rest ist Fiktion.
Was war die Inspiration für «Daddy Issues»? In meinem ersten Roman schrieb ich über Mütter und Frauen aus verschiedenen Generationen. Mir war danach klar, dass mein nächstes Buch einen Vater in einer zentralen Rolle haben wird. Ich hatte die Frage: Was macht man mit einer Figur, die eine aufrichtig nette Person ist, aber ein beschissener Vater? Diese Fragestellung konnte ich nur durch die Augen eines schwulen Sohnes angehen. Der Protagonist ist ein schüchterner Charakter, sein Vater sehr expressiv. Der Vater musste krank sein, da ich nicht wusste, wie ich die beiden bei ihrer angeschlagenen Beziehung sonst zusammenbringen könnte. Wenn der Tod im Raum steht, fangen Leute an, die Wahrheit zu sagen. Ein weiteres Thema, das ich behandeln wollte, ist die Verbindung zwischen biologischen und Wahlfamilien.
Im Buch schreibst du, dass beide Eltern für die Erziehung von Kindern und somit auch deren Traumata verantwortlich sind. Warum heisst es dann nicht «Parent Issues»? Das Buch hat viele verschiedene Titel. Der kroatische lautet grob übersetzt «Der Sohn eines Vaters». Im Englischen heisst es «Daddy’s Boy». Letztlich geht es um Probleme mit dem Vater. Ich würde sagen, dass wir als Schwule eher Mommy Issues haben, zumindest in der Populärkultur. Die meisten von uns haben intensivere Beziehungen zu unseren Müttern. Sind Daddy Issues ausserhalb des Schlafzimmers überhaupt ein Thema? Ich habe das Gefühl, dass es eine eher sexuelle Konnotation hat?
Während ich das Buch schrieb, unterhielt ich mich mit Freunden über deren Beziehung mit ihren Vätern. Es ist ein Thema, das nicht sonderlich häufig besprochen wird. Dies erschwert jedoch unser emotionales Befinden und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Letztlich ist der Roman ein Liebesbrief an den Vater. Es geht nicht um Erwartungen oder wundersame Erkenntnisse, sondern darum, miteinander zu kommunizieren.
Würdest du sagen, dass Schwule ein besonders grosses Problem mit Intimität haben? Der Protagonist sagt zumindest über sich selbst, dass er bereits beim zweiten Date schreiend wegläuft. Ich glaube, dass viele Menschen ein Problem mit Intimität haben. Heterosexuelle haben jedoch die Rückendeckung der Geschichte und Gesellschaft. Wir als queere Personen haben häufig eine sehr traumatisierte Vergangenheit. Wir brauchen länger, um uns mit uns selbst auseinanderzusetzen, wer wir auf emotionaler und sexueller Ebene sind und was unsere Identität ist. Dadurch überspringen oder verpassen wir es, gewisse Emotionen zu fühlen und lernen zu navigieren. Unsere Teenie-Jahre sind komplett anders, als die von Heteros. Auch als Erwachsene stellen wir uns noch oft die Frage, wer wir sind und wer wir sein sollten. Dadurch entstehen grosse innere Konflikte. Erlaubt man sich als Konsequenz, sich mit sich selbst zu beschäftigen? Introspektive Auseinandersetzung ist schwer und wir trauen uns viel zu selten, dieser nachzugehen. Als queere Männer sollten wir nicht so wertend miteinander und uns selbst sein, sondern verständnisvoll und mitfühlend.
Das Konzept der Wahlfamilie ist schon sehr queer.
In «Daddy Issues» geht es um Familien, die biologische und die Wahlfamilie. Was macht für dich eine Familie aus? Unsere gesamte Kultur basiert auf dem biologischen Bund der Familie. Hier kann es jedoch manchmal zu einer Inkompatibilität kommen, einer falsche Paarung. Wenn man die eigenen Bedürfnisse in Wahlfamilien eher erfüllt bekommt als in der biologischen, super! Wahlfamilien kommen geschichtlich gesehen aus einer Notwendigkeit heraus. Man konnte nicht alles alleine machen, man hatte nicht alle Ressourcen zur Hand. Und auch heute sind Wahlfamilien für viele von uns essentiell. Das Spannende ist, dass man in diesen Konstellationen keine Belohnung für Unterstützung erhält, wie bspw. ein saftiges Erbe, wenn man aus einer reichen Familie kommt. Man hat so jedoch auch nicht den fast erpresserischen Druck und handelt ausschliesslich aus Altruismus und Mitgefühl mit dem Gegenüber.
Auch künftige Generationen werden auf das Konzept der Wahlfamilie angewiesen werden. Es kommen raue Zeiten auf uns zu und es wird auf Zusammenhalt ankommen, Ressourcen zu teilen und einander zu helfen. Meine Oma hat zum Beispiel eine eigene Art von Wahlfamilie in der Form von fünf anderen Frauen in ihrem Haus. Sie geben einander emotionalen Support, den sie von ihren biologischen Familien nicht erhalten. Sie kochen mit- und füreinander und tauschen sich über schwere Zeiten aus ihrer Vergangenheit aus. Das Konzept der Wahlfamilie ist schon sehr queer, oder?
Dino Pešut wurde 1990 im kroatischen Sisak geboren und studierte Drehbuch, Dramaturgie und Szenisches Schreiben in Zagreb. Seine Theaterstücke wurden mehrfach ausgezeichnet und an zahlreichen europäischen Bühnen aufgeführt, u. a. am Schauspiel Stuttgart und am Wiener Burgtheater. Für sein Drama »Der (vor) letzte Panda oder Die Statik« erhielt er gemeinsam mit seiner Übersetzerin Alida Bremer den Deutschen Jugendtheaterpreis 2018. »Daddy Issues« (Tatin sin) ist der erste Roman von Dino Pešut in deutscher Übersetzung.
Buchtipp: Durch Sex mit einem Mann «wurde ich zu einem Teil des Bürgertums». Der neue Roman von Édouard Louis heisst «Anleitung ein anderer zu werden» (MANNSCHAFT berichtete).
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