Coming-out als «Supper»: Mit dem Paddel durch den Sommer
Mit Stand-up-Paddling den Urlaub in die eigenen Gefilde holen: Für Trendsportart muss man nicht ans Meer fahren oder in die Ferne reisen.
Der Winter war lang, der Frühling kalt, und mit den Corona-Massnahmen schienen beide geradezu endlos. Auch im Sommer sind viele noch vorsichtig, was Verreisen wie in alten Tagen angeht. Zeit, kreativ zu werden. Mit Stand-Up-Paddling zum Beispiel.
Um etwas Abwechslung von meiner Studentenbude und meinem Schreibtisch zu bekommen, blieb mir in den letzten Monaten nicht viel übrig, als den nahegelegenen Fluss aufzusuchen. Dort lasse ich mich jeweils auf einer Decke nieder und beobachte die Personen, die an mir vorbeilaufen und genauso wie ich für einen Moment aus dem Alltag flüchten. Mit den allmählich steigenden Temperaturen regt sich auch das Treiben auf dem Fluss. Neben den Kanus, Schlauch- und Ruderbooten fallen mir besonders die Menschen ins Auge, die sich auf riesigen Brettern stehend mit einem Paddel ihren Weg durch den Fluss bahnen. Surfbretter sind es nicht, und es werden auch keine Wellen geritten – dazu fehlt der Wellengang des Meeres.
Der erste Gedanke ans Surfen trügt nicht. Das Ganze nennt sich Stand-up-Paddling (SUP) oder Stehpaddeln und hat seinen Ursprung bei den Surflehrer*innen, die sich im ruhigen Wasser so schneller fortbewegen und stehend einen besseren Überblick über ihre Schüler*innen haben konnten. In den Nullerjahren entwickelte sich eine eigene Sportart daraus, hauptsächlich im Surfparadies Hawaii. In den 2010er-Jahren fand das SUP seinen Weg nach Europa. Neben dem gemächlichen Erkunden auf dem Fluss oder See gibt es auch Wettkämpfe, bei denen Paddler*innen gegeneinander Rennen fahren. Die Geschwindigkeiten und Schwierigkeitsgraden, die dabei erreicht werden, sind aber kaum mit dem SUP, das man auf dem heimischen Fluss oder See sieht, zu vergleichen.
Das Paddeln im Stehen ist ein Work-out für den ganzen Körper.
Eine neue Erfahrung für Sportbegeisterte Meine Neugier auf diese Sportart wuchs, und so freute ich mich umso mehr, als ich von Anne van Roode und Myriam Eismann für die MANNSCHAFT ins schöne Breisgau nördlich von Basel eingeladen wurde, um bei ihnen meine ersten Erfahrungen beim Stand-up-Paddling – oder Suppen, wie man umgangssprachlich sagt – zu sammeln.
Das Ehepaar lebt in Freibung und kam durch eher unglückliche Umstände zum Stehpaddeln: Eine Bänderverletzung von Myriam machte den beiden ambitionierten Radsportlerinnen einen Strich durch die Mountainbike-Alpencross-Planung. Anne schlug Kajakfahren vor, da Myriam so im Boot sitzen konnte. Vom adrenalinreichen Biken zum in ihrer Vorstellung gemütlichen Kajaken? Mental keine leichte Umstellung für Actionjunkie Myriam. Einen positiven und bleibenden Eindruck hinterliess das Kajakfahren dann doch, denn auf dem Wasser liess sich die Natur ebenfalls intensiv und auch sportlich erleben. Ein Wermutstropfen: Das Boot vom Verleih war recht schwer, das umständliche Anlanden und Umsetzen beschwerlich. Wie vom Biken gewohnt, sollten künftige Paddelerlebnisse mit leichtem Equipment möglich sein. Schnell führte der Weg dann zum damals gerade langsam populärer werdenden SUP-Board: leicht, für eine Person tragbar, dabei auch belastbar mit Gepäck.
«Das Paddeln im Stehen ist ein Work-out für den ganzen Körper», sagt Myriam. «Dabei kann die Intensität selbst gesteuert werden – Powern oder Entspannen ist beides möglich. Und es bringt eine völlig neue Perspektive auf das Wasser und die umliegenden Uferlandschaften.»
Als keines der erhältlichen Boards die Materialfetischistinnen überzeugen konnte, beschlossen sie kurzerhand, ihr eigenes Produkt zu entwerfen. Ihr Ziel waren Boards, die das Paddeln zu einem möglichst unbeschwerten Erlebnis machen. Die Idee für das Start-up «Lite Venture» war geboren. Die Designerin Myriam kümmert sich um das Produktdesign, die Ingenieurin Anne wuchs in die Rolle der Produktmanagerin und widmet sich den Anforderungen wie Materialauswahl, Layup und der Abstimmung mit der Produktion. Den beiden Quereinsteigerinnen wurde letztes Jahr eine besondere Ehre zuteil. Ihr Touring-Hardboard erhielt den «Red Dot Design»-Award in der Kategorie Sportgeräte.
Pumpen oder schleppen? Aber was bedeutet «Hardboard»? Hardboards sind formstabil wie Surfboards. Ihre Form kann präzise entworfen und so für Wellen oder Flachwasser optimiert werden. Weiter verbreitet sind jedoch die «inflatable» SUPs (iSUP). Aufblasbare Boards haben den Vorteil, dass sie zusammengefaltet in einer Tasche transportiert werden können. Je nach Einsatzzweck haben SUP-Boards unterschiedliche Längen von 3 bis 4,30 Metern. Hardboards und iSUPS wiegen zwischen 10 und 13 Kilo.
Anne und Myriam entwickelten unter anderem auch ein aufblasbares «ULTRA Light»-Board, das lediglich 7,5 Kilo auf die Waage bringt und in einem wasserdichten Rucksack transportiert werden kann. Dieser kann am Board befestigt werden, um Kleidung trocken zu transportieren.
Ab rund 350 Franken respektive 300 Euro kann man ein Anfängerset finden. Das seien aber häufig «gutmütige Boards, die für die ganze Familie funktionieren sollen», so Myriam. Sie empfiehlt, verschiedene Boards zu testen und ein Gefühl dafür zu bekommen, welches man bevorzugt. Ihr Tipp: «Lieber orientiert sein und ein besseres und für sich selbst passendes Board kaufen als später dann ein zweites. Das spart Geld und ist auch nachhaltiger.» Obwohl man sich in Foren der SUP-Community mit Fortgeschrittenen austauschen und Tipps holen kann, ist ein Ausprobieren des Equipments vor dem Kauf unbedingt zu empfehlen.
Erste Erfahrungen auf dem Wasser Das Wetter am Opfinger See bei Freiburg hätte für meinen ersten Versuch auf dem Wasser nicht besser sein können. Mich erwarten strahlender Sonnenschein und warme Temperaturen. Ich musste lediglich Badehose und Sportshirt mitbringen, Myriam kümmerte sich um den Rest. Ein Tipp für Brillenträger*innen: Unbedingt mit einem Gummiband sichern, andernfalls ist die Brille im Wasser schnell verloren.
Nach einer kurzen Einführung von Myriam gingen wir zum Ufer, wo wir das Board ins Wasser lassen. Ich darf als erstes das neue iSUP «ULTRA Light» ausprobieren, das im Vergleich zu anderen aufpumpbaren Boards deutlich leichter ist. Die auf der Oberseite gespannten Gummis sind perfekt, um Schuhe und Kleidung zu befestigen. Für mich als Anfänger war es einfacher, zunächst einmal auf den Knien zu paddeln. Das muss nicht unbedingt sein, gibt mir aber fürs Erste ein sicheres Gefühl. Nach meinen ersten Paddelschlägen und der Erkenntnis, dass man doch stabiler auf dem Board steht als zuerst gedacht, traute ich mich in den Stand. Zugegeben war es am Anfang noch eine ziemlich wacklige Sache. Wenn ich aber zuerst ein wenig anpaddelte, war es einfacher, auf beide Beine zu kommen. Als ich dann sicher auf dem Board stand, konnte ich mich auf das Fahren konzentrieren und erstmals auch meine Umgebung so richtig aufnehmen.
Der aufkommende Wind trieb mich an und so konnte ich nun meine erste «Ausfahrt» auf dem iSUP so richtig geniessen. Gemeinsam mit Myriam, die auf ihrem Board an meiner Seite war, beschlossen wir, die Mitte des Sees anzusteuern. Auf dem Rückweg ans Ufer musste ich erkennen, dass der Wind jetzt mein Gegenspieler war. Paddelte ich vorwärts, so trieb er mich stets wieder zurück. Ich musste nicht nur meine Arme, sondern den ganzen Körper mobilisieren, um das Brett in die richtige Richtung zu führen und wieder an Land zu kommen. Meine erste Erkenntnis: Stehpaddeln ist eindeutig nicht so einfach, wie es ausschaut. Und: Paddeln macht ganz schön durstig.
Der Vorteil des Hardboards Nach meiner wohlverdienten Pause durfte ich mich auf dem prämierten «Lite Venture Cruzer» versuchen. Dieses veranschaulicht auch gleich den Vorteil eines Hardboards. Ist das aufpumpbare iSUP leicht und einfach zu transportieren, so bietet dieses Modell eine bessere Stabilität – ich fühlte mich deutlich standfester. Myriam ersparte mir glücklicherweise eine erneute Herausforderung mit dem Wind und wir drehten eine Runde dem Seeufer entlang. Mir eröffnete sich ein Perspektivenwechsel, den ich im See badend nicht gehabt hätte. Ich hatte einen grossen Ausblick auf die Menschen, die sich am und im Wasser tummelten, und konne die umliegende Natur so richtig geniessen. Ich realisierte auf einmal, wie viele Leute eigentlich auf SUPs stehen. Trotz dem grossen Aufkommen am See ist man für sich alleine und kann durch das Plätschern gut abschalten und sich seinen Gedanken hingeben.
Sicherheit ist oberstes Gebot So einfach es aussieht, rate ich Neulingen davon ab, alleine aufs Wasser zu gehen. Zum einen erklären Exper*innen die richtige Technik, darunter die richtige Handhabung des Paddels. Zum anderen sind sie in der Lage, Distanz und Wind richtig einzuschätzen.
Als es bei uns zwischenzeitlich windig wurde, machte Myriam sofort die Ansage, in die Nähe des Ufers zu fahren, da man dort vom Wind geschützt ist und das Risiko vermeidet, in der Mitte des Sees von ihm «gefangen» zu werden. Bei starken Böen nimmt der Wellengang zu und somit auch die Gefahr zu kentern. Eine Begleitperson kann eine*n in der Not retten oder dabei helfen, wieder auf das Board zu kommen, sollte man ins Wasser fallen. Wer sich nah am Ufer befindet, kann entspannt an Land schwimmen und von dort entweder zurück aufs Wasser gehen oder das Board zum Ausgangspunkt tragen.
Ebenso ist eine Schwimmweste zu empfehlen – auch wenn sie sich nicht so gut auf Fotos macht. Sie erleichtert bei grösseren Distanzen das Schwimmen ans Ufer, vor allem wenn die Körpermuskulatur bereits müde ist. Zudem kann ein Fall ins Wasser zu einem Schock führen, beispielsweise im Frühling, wenn die Lufttemperatur schon warm und angenehm ist, das Wasser jedoch noch kalt. Wie ein Fahrradhelm ist die Schwimmweste in den meisten Fällen unnötig, bei Unfällen jedoch unverzichtbar.
Vor einem Kauf lohnt sich wie eingangs erwähnt die Beratung durch Fachpersonen. Ich würde sogar weiter gehen und ein Ausprobieren mehrerer Boards empfehlen. Wer ein Board für Anfänger*innen kauft und schnell Fortschritte macht, hat dafür vielleicht bald keine Verwendung mehr. Mittlerweile gibt es Verleihe und Shops, die hochwertige Boards und Paddel anbieten und die man so im Vergleich günstig ausprobieren kann.
Ein Perspektivenwechsel, das eigene Bestimmen des Tempos und das erholsame Plätschern des Wassers machen das Suppen zu einer attraktiven Sportart, für die man im Sommer nicht verreisen muss. Man kann die Fahrt gemütlich angehen oder zu einem anspruchsvollen Training machen, indem man das Tempo erhöht.
Stand-up-Paddling fördert sowohl die Rücken- und Rumpfmuskulatur als auch die Koordination und Stabilisation – in Zeiten von Corona und Homeoffice ein gutes Kontrastprogramm. Dem Muskelkater zum Trotz (ich komme am nächsten Tag kaum aus dem Bett) habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt und werde mich bei der nächsten Gelegenheit sofort wieder auf ein Board stellen, um die Gewässer um mich herum unsicher zu machen.
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