Choreograf beim ESC: «Wenn das Publikum tobt, kommen mir die Tränen»

Jonathan Huor
Der ESC-Opening-Act «Raw Nature» trägt seine Handschrift: Jonathan Huor. (Bild: zvg)

Als Choreograf steht Jonathan Huor beim ESC 2025 im Zentrum des Geschehens. Gemeinsam mit seinem Team bringt er die grösste Musikshow der Welt tänzerisch zum Leben.

Geboren in Kambodscha und aufgewachsen in der Schweiz, arbeitet Jonathan Huor heute als Choreograf für internationale Bühnenproduktionen und hat bereits mit Namen wie Alicia Keys oder Pink zusammen gearbeitet. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt im Bereich Musical und Show, mit Engagements in Theater, Fernsehen und Liveevents. Beim Eurovision Song Contest 2025 ist er einer von drei Choreografen, die für die tänzerische Umsetzung der Show verantwortlich sind. Für Head of Show Yves Schifferle und Kreativdirektorin Sacha Jean-Baptiste entwickelt er Bewegungsabläufe, Bühneneinsätze und szenische Übergänge.

Jonathan, du bist Choreograf am Eurovision Song Contest. Wofür genau bist du zuständig? Ich bin dafür verantwortlich, gemeinsam mit Yves Schifferle, Sacha Jean-Baptiste und dem ganzen Team, die Vision auf die Bühne zu bringen. Also: Schritte, Bewegungen, Szenenbild – alles, was sich bewegt. Und das in Zusammenarbeit mit einem grossartigen Team von Tänzer*innen, Kreativen und Technik.

Wie beschreibst du die Vision von Schifferle und Jean-Baptiste in wenigen Worten? Jeder Act ist massgeschneidert und passt sich der Thematik an – mal poppig, mal arty, mal emotional simpel. Aber alles immer sehr durchdacht und mit enorm viel Liebe zum Detail geplant. Es ist clever, avantgardistisch, aber trotzdem zugänglich. Und genau das liebe ich daran.

Wie hoch ist dein Stresslevel gerade? Ungefähr so, wie ich’s erwartet habe – aber was ich nicht erwartet habe: dass es so viel Spass macht. Alle ziehen am selben Strang, das hilft enorm. Natürlich ist es stressig – im Vergleich zu anderen Jobs sogar viel intensiver. Aber der Spass überwiegt.

Wie lange probt ihr schon? Wir sind jetzt seit drei Wochen mit den Tänzer*innen in der Halle. Die Auditions waren im Dezember, und seit März sind wir in der Kreationsphase. Die ganze Vorarbeit hat also Monate gedauert, bis wir überhaupt in die Halle sind.

Hast du dafür andere Projekte abgesagt? Ja, zwei sogar. Normalerweise bin ich ja vor allem als Musical-Choreograf unterwegs. Da ich früher viel für's Fernsehen gemacht habe, konnte ich natürlich nicht Nein sagen. Der ESC ist eine einmalige Chance

Waen Hazel Brugger und Sandra Studer von Anfang an dabei? Ja, die Rollen waren von Anfang an auf sie zugeschnitten. Sie waren sogar schon bei der Konzeptentwicklung dabei, genau wie Petra Mede. Das Libretto stammt von Christian Knecht, der Song von Lukas Hobi – es war von Beginn an ein gemeinsames Unterfangen. Für die Proben hatten wir Stand-ins für alle drei.

Hast du damit gerechnet, dass der Pausenact «Made in Switzerland» so gut ankommt?Wir haben es gehofft, vor allem in der Schweiz. Dass er aber international so abgeht, freut uns natürlich riesig. Der Act ist lustig, abwechslungsreich, voller Witz und Überraschungen – aber auch technisch ziemlich anspruchsvoll. Wir mussten viele Varianten testen, viele Requisiten ausprobieren und schnelle Wechsel proben.

Gab es besondere Herausforderungen? Wir haben ein super Ensemble – 20 Tänzer*innen, nicht alle aus dem Schauspiel. Also mussten wir sie behutsam an diese Welt heranführen. Regisseur Rolf Sommer hat da eine super Arbeit gemacht.

Gibt es eine Nummer, die dir besonders am Herzen liegt? Eindeutig «Raw Nature», der Opening-Act des ersten Halbfinales. Die Choreografie trägt meine Handschrift. Sie wirkt künstlerisch, ohne zu künstlerisch zu sein, und macht Gegenwartstanz nahbar. Ich versuche dabei eine Brücke zwischen Moderne und Tradition zu schlagen.

Kannst du schon was zum grossen Finale verraten? Die Interval-Acts werden bombastisch – und gigantisch! Wir versuchen noch einen draufzulegen. Es wird gross, emotional und die Swissness bleibt natürlich spürbar.

Praktisch keine Nachteile: Die Bühne für den ESC 2025.
Praktisch keine Nachteile: Die Bühne für den ESC 2025. (Bild: MANNSCHAFT)

Viel Lob gibt es auch für die Bühne mit dem grossen Rahmen. Gibt’s da auch Nachteile Unsere Bühne ist zusammen mit dem Lichtdesign und dem LED-Content wirklich ein Meisterwerk – gebaut für die grösste Fernsehshow der Welt. Natürlich dauert es, bis man von der einen Seite der Bühne die andere erreicht. Aber mit cleverem Einsatz der Kameras und der Tänzer*innen kriegen wir das hin.

Die Tänzer*innen proben monatelang. Heisst das, der Grossteil der Arbeit ist gemacht?Schön wär’s! (Lacht.) Wir kommen mit einer fertigen Choreo in die Halle – und dann kommen Licht- und Kameraproben. Plötzlich funktioniert etwas nicht, und dann sitzt das Team bis 2 Uhr morgens im Viewing Room und ändert alles. Die Tänzer*innen bekommen nachts neue Abläufe per E-Mail – und am Morgen geht’s von vorne los. Wir arbeiten wirklich bis zur letzten Sekunde.

Man sieht auch viel Queerness in den Acts. War das bewusst? Absolut. Bei den tanzenden Paaren in «Raw Nature» habe ich bewusst versucht, ohne Geschlechterrollen zu denken. Zwei Männer, zwei Frauen, gemischt – alles ist dabei. Dasselbe bei «Made in Switzerland». Petra als Wilhelm Tell, die Hexe wird von einem Mann gespielt. Es war kein Konzept, sondern entstand aus einer offenen Haltung. Ganz im Sinne von «United by Music».

Für die Choreografien der Länder bist du nicht zuständig. Wie verhindert ihr, dass ihr euch in die Quere kommt? Das läuft alles über Sacha Jean-Baptiste. Sie ist die zentrale Figur, koordiniert alles, sorgt dafür, dass keine politischen Botschaften drin sind, Requisiten funktionieren, dass alles stimmig ist und aus einem Guss kommt.

Kommst du überhaupt dazu, das alles zu geniessen? Ich versuche es – und ich muss mich wirklich manchmal selbst kneifen. Wenn ich aus der Halle trete, die Sonne sehe, denke ich: Wow, ich bin Teil der grössten Show der Welt. Es ist eine «Once in a lifetime»-Erfahrung.

Und der emotionalste Moment? Wenn ich backstage am Monitor sitze und das Publikum tobt – da kommen mir oft die Tränen. Dann weiss ich: Die monatelange Arbeit hat sich gelohnt.

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