«Call Me by Your Name»: Sommerliebe mit Ablauffrist
Luca Guadagnino im Interview
Die Romanverfilmung «Call Me by Your Name» genoss grosse Begeisterung, positive Kritik, einige Oskarnominierungen und Auszeichnungen.
Interessanterweise war das Filmprojekt anfangs gar kein Durchstarter. Unser Autor hat sich darüber mit dem Regisseur Luca Guadagnino unterhalten.
Luca, wie ist die Idee zum Film überhaupt entstanden? Der Film hat tatsächlich eine sehr interessante Vorgeschichte. Im Jahr 2007 publizierte André Aciman den Roman «Call Me by Your Name». Wie jetzt der Film hatte auch die Buchvorlage sofort eine grosse Fangemeinde. Zu dieser Zeit erwarben die Produzenten Peter Spears und Howard Rosenman die Verfilmungsrechte. Ich arbeitete damals an meinem Film «Ich bin die Liebe». Peter Spears brauchte anfangs von mir nur Ratschläge für einen geeigneten Drehort. Dann kam James Ivory ins Team. Er segnete sozusagen mit seiner Präsenz das ganze Projekt. Später übernahm ich immer mehr Aufgaben und wurde am Ende auch Produktionsleiter.
Das klingt ja eher nach einem erfolgreichen Anfang. Ja. Aber genau ab dann fingen die Probleme an. Der Produzent schaffte es nicht, mit dem damaligen Drehbuch und Regisseur die nötigen Mittel zu beschaffen. Eines Tages fragt mich James ganz unverbindlich, ob ich Interesse hätte mit ihm zusammen ein neues Drehbuch zu schreiben. Wir arbeiteten etwa ein Jahr daran und entschieden uns dann, dass ich die Regie führen sollte. So konnten die Dreharbeiten endlich beginnen.
Du hast «Call Me by Your Name» als Ende einer Trilogie bezeichnet. Doch die Vorgängerfilme «Ich bin Liebe» und «A Bigger Splash» enden sehr tragisch. Was ist denn das Gemeinsame? Etwas scherzhaft habe ich diese Trilogie als «Geschichten über reiche Menschen während eines italienischen Sommers» bezeichnet. Das Gemeinsame bezieht sich vielleicht auf die Leidenschaft. Eine Leidenschaft, welche die Kraft hat, alle gesellschaftlichen, normativen Schranken zu durchbrechen. Doch während in «A Bigger Splash» oder «Ich bin die Liebe» die Leidenschaft schlimme Konsequenzen nach sich zieht, führt sie in «Call Me by Your Name» zu einer Selbsterkenntnis.
Der Film ist ja fast eine perfekte Idylle, die durch nichts und niemanden gestört ist. Hätte es da nicht noch einen Konflikt gebraucht oder einen Antagonisten? In der Hollywoodkultur muss tatsächlich solch ein Antagonist in einem Drehbuch auftauchen. Für mich ist das eine Konstruktion, die mit dem wirklichen Leben wenig zu tun hat. Hollywoodfilme haben immer drei Teile, nämlich die Exposition, der Konflikt und die Auflösung. Für mich war aber immer klar, dass ich bei diesem Film kein klassisches Narrativ anwenden würde, wie es den Erwartungen der Filmindustrie entspräche. Die Hauptfiguren des Films Elio und Oliver bewegen sich total aus diesem üblichen Konfliktschema heraus. Sie sind vielmehr in einem Zustand des kritiklosen Staunens.
«And the Oscar goes to …» «Call Me by Your Name» hat bei der 90. Oskarverleihung in Los Angeles eine Nominierung als bester Film sowie für das beste adaptierte Drehbuch und den besten Originalsong erhalten. Schlussendlich erhielt die schwule Romanze die Trophäe für das beste adaptierte Drehbuch (MANNSCHAFT berichtete), geschrieben von James Ivory.
Zudem war Timothée Chalamet für seine Hauptrolle des Elio für den Oscar «Bester Hauptdarsteller» nominiert. Der Preis ging aber an Gary Oldman als Churchill für «Die dunkelste Stunde» – Chalamet ging in dieser Kategorie leer aus.
Interview: Michel Benedetti
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