Die Bundeswehr – im Gleichschritt Richtung Diversity?

Gibt es ernsthaftes Interesse an einem Wertewandel?

Symbolfoto: AdobeStock
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Bis vor 20 Jahren galt bei der Bundeswehr, dass homosexuelle Neigungen die Eignung eines Soldaten zum Vorgesetzten ausschliessen. Am 3. Juli 2000 dann wurde der diskriminierende Erlass aufgehoben. Seither hat sich unter Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) noch einiges getan, doch neue Rückschläge lassen am ernsthaften Interesse an einem Wertewandel in der Bundeswehr zweifeln, schreibt der Vorsitzende von QueerBw (Arbeitskreis queerer Angehöriger der Bundeswehr) Sven Bäring in seinem Gastbeitrag*.

Wenn man beliebige Personen fragt, welche Eigenschaften sie mit der Bundeswehr verbinden, wird man nicht selten auf «männlich», «konservativ» oder «rechts» stossen. Nicht nur die deutsche Geschichte lassen dieses Bild erscheinen. Immer wieder macht die Bundeswehr mit Skandalen im Bereich Rechtsextremismus auf sich aufmerksam. Aber wird ihr das gerecht?

Offizielle «Outing-Tage»? Streit um Diversity bei der Bundeswehr

Zur Gründungszeit der Bundeswehr war Vielfalt keine Frage. Frauen waren im Grundgesetz vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen, Homosexualität eine Straftat, an die Zulassung europäischer Mitbürger war nicht zu denken und die meisten Führungskräfte waren vorher in der Wehrmacht. Auch mit dem Beginn des gesellschaftlichen Wandels in den 60er Jahren, der Strafrechtsreformation und der fortschreitenden Emanzipation wurde das Thema Diversity in der Bundeswehr nicht angefasst.

Als 1969 der §175 aufgeweicht wurde, «durfte man vermuten, dass der Gesetzgeber ein Sonderrecht für die Bundeswehr einschmuggelte». (Helmut Ostermeyer, Bielefelder Richter 1969) Homosexuelle Handlungen blieben zwischen 18 und 21 Jahren strafbar. Zufällig der Zeitraum auf den die Wehrpflicht fällt.

Diese Haltung blieb auch in den kommenden Jahrzehnten bestehen. Auch wenn die Praxis von Entlassungen, hin zu Beförderungs- und Förderungsverboten ging. Selbige bedeuteten, gerade für Führungskräfte, ein praktisches Berufsverbot.

1984 wurde ein Erlass «Gleichgeschlechtliches Verhalten von Soldaten der Bundeswehr» veröffentlicht. Darin bekräftige die Bundeswehr ihre Position, dass homosexuelle Neigungen die Eignung eines Soldaten zum Vorgesetzten ausschliessen. Frauen durften derweil seit 1975 als approbierte Ärzte und seit Beginn der 90er Jahre auch in den restlichen Laufbahnen des Sanitäts- und Militärmusikdienstes eintreten. Andere Verwendungen blieben ihnen verwehrt.

Schweizer Armee steht zu trans Oberstleutnant

Das Jahr 2000 markierte für die Bundeswehr einen Bruch mit dieser Handhabung. Nach seinem Outing wurde Oberleutnant Stecher zwangsversetzt. Er klagte, scheiterte in den Vorinstanzen und legte schliesslich Verfassungsbeschwerde ein.

Das Bundesverfassungsgericht bat die Bundesregierung um Stellungnahme. Den Mitschriften aus dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) ist zu entnehmen, dass die Position der militärischen Führung weiterhin klar war. Nach einer Besprechung im BMVg im Jahr 2000 wird notiert «TSK [Teilstreitkräfte]-Haltung in meiner Besprechung betonhart: Beibehaltung bisheriger Policy» Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), durch den Kosovo-Krieg politisch zumindest angeschlagen, konnte eine Zurechtweisung seiner Politik durch das Gericht nicht in Kauf nehmen. Am 23. März 2000 sicherte er, ohne Wissen der Generale, im Bundestag zu, «einen Verhaltenskodex zu erlassen, […] der jede Form von Diskriminierung sanktioniert».

Die ersten Frauen kommen zur Bundeswehr Vor 20 Jahren, am 3. Juli 2000, wurde der diskriminierende Erlass aus dem Jahr 1984 aufgehoben. Bereits am 19. Januar 2000 hob der Europäische Gerichtshof den Ausschluss von Frauen aus der Bundeswehr auf. Keine 12 Monate später wurden die ersten Frauen in der Bundeswehr aufgenommen.

Zurückblickend kann man sagen: Grosse Trendwenden im Bereich Vielfalt wurden bei der Bundeswehr nicht durch sie selbst initiiert, sondern durch Gerichte oder durch Politiker auf Druck der Gerichte. Auch nach der Einführung des Soldatinnen- und Soldaten Gleichbehandlungsgesetzes 2006 wurde Vielfalt weiterhin öffentlich nicht thematisiert.

Prinz Harry als «Held der Schwulen» in der britischen Armee

Erst mit der Initiative von Ministerin Ursula von der Leyen und ihrem Workshop «Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr» 2017 kam eine sichtbare Bewegung in die Thematik. «Sex-Seminar in der Bundeswehr – Fummeln fürs Vaterland» titelte die grösste deutsche Zeitung damals. Dem Workshop folgte ein klares Bekenntnis zu Vielfalt und erste strukturelle Anpassungen um Diskriminierung und Gewalt effektiv entgegenzutreten.

Dies war ein wichtiges Zeichen. «Top down» heisst dieses Prinzip. Und es bringt erste schnelle Erfolge. Wichtiger ist jedoch die nachhaltige Änderung des Klimas. Die Bundeswehr hat bis heute weder ein ganzheitliches Diversity-Management, noch eine flächendeckende Ausbildung im Umgang mit Vielfalt. Ihre queere Geschichte, nicht zuletzt die jahrzehntelangen Diskriminierungen von schwulen Soldaten bis ins Jahr 2000 wurden nicht öffentlich aufgearbeitet. Die truppendienstlichen Urteile, die Disziplinarmassnahmen und Entlassungen haben bis heute Bestand.

Wie wichtig nimmt die Bundeswehr Diversity? In unserer Arbeit mit den Betroffenen wird eine Forderung ganz klar: Das BMVg muss zu seiner Geschichte stehen. Und die Ministerin muss, stellvertretend für die damalige Politik, sich entschuldigen. Den vielen Lippenbekenntnissen, nicht zuletzt durch von der Leyen und Kramp Karrenbauer (beide CDU) müssen nun Taten folgen. Im März hat die Ministerin einer Rehabilitation überraschend zugestimmt (MANNSCHAFT berichtete). Unserem Vorschlag für eine Regenbogen-Illumination des BMVg in Berlin als sichtbares Zeichen für Respekt und Toleranz hat selbiges abgelehnt – mit Verweis auf Ausschreibungsfristen.

Sven Bäring (Foto: privat)
Sven Bäring (Foto: privat)

Solche Rückschläge lassen an dem ernsthaften Interesse an einem Wertewandel in der Bundeswehr zweifeln. Für uns als Verein steht fest: Um einen nachhaltigen Wertewandel in der Bundeswehr zu erreichen, muss sie ihre queere Geschichte aufarbeiten und sich aktiv mit Diversity-Management beschäftigen. Den Worten müssen Taten folgen. Wir stehen dabei gerne an der Seite des BMVg, werden aber den Weg auch kritisch begleiten. Doch wie ist die Situation für Queers heute in der Bundeswehr?

Auch die Bundeswehr bewegt sich – langsam – mit dem gesellschaftlichen Wandel. Die rechtlichen Rahmenbedingungen verbieten eine Diskriminierung im Dienst und immer häufiger trauen sich junge Soldat*innen zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen. Probleme treten meist lokal auf. Um diese zu beseitigen, verweist die Bundeswehr auf ihr bestehendes Beschwerdesystem. Dieses ist auch funktional, wenn der Vorgesetzte die modernen Wertevorstellungen unserer Gesellschaft teilt.

Werbefilm der britischen Armee richtet sich an Homosexuelle

Durch den fehlenden ganzheitlichen und flächendeckenden Ansatz driftet die Bundeswehr jedoch moralisch auseinander. In Teilen treten keine Probleme auf, das Thema wird proaktiv angesprochen und ein Klima der Toleranz stellt sich ein. In anderen Teilen der Bundeswehr dagegen, gibt es weiterhin eine sehr konservative und veraltete Moralvorstellung. Genau in diesen Bereich ist jedoch aktive Arbeit nötig. Von selbst werden konservative Vorgesetzte ihre Meinung nicht hinterfragen. Sie werden keine Schulungen zu Diversity-Management anbieten und Nachwuchskräfte können sich nicht sicher sein, ob der Chef im Zweifelsfall zu Ihnen steht.

Von Vorgesetzten, die Untergebene während ihrer Transition absichtlich mit dem alten Pronomen anreden bis zu Innendienstsoldaten, die homosexuelle Kameraden in den Unterkünften outen, «bevor da was passiert». Die Diskriminierungserfahrungen in unserer Bundeswehr sind vielfältig. Es ist nun die Verantwortung der politischen und militärischen Führung die verbleibenden Probleme zu beseitigen.

Apropos militärische Führung: Wie Queer ist sie? Mit Oberstleutnant Anastasia Biefang hat die Bundeswehr ihr Role Model gefunden. Doch schaut man genauer hin, stellt man ein recht eintöniges Bild fest. Die Generale und Admirale bilden die Spitzenkräfte der Bundeswehr. Knapp 200 gibt es davon. Geoutet hat sich bis heute niemand. Zuletzt gab es in den 80er Jahren das Gerücht um General Kießling. Er wurde als homosexuell bezeichnet und aufgrund der Erpressbarkeit entlassen. Später musste er auf politischen Druck wieder eingestellt werden. Seine angebliche Homosexualität wurde nie nachgewiesen.

In eigener Sache: Wir stärken uns für die Zukunft

 

Insgesamt muss man die Entwicklungen der letzten Jahre honorieren. Die Bundeswehr als Ganzes ist weder rechts noch homofeindlich. Ein Grossteil von ihr wird dem Anspruch eines staatlichen Arbeitgebers in Sachen Respekt und Wertschätzung gerecht. Dem Rest gilt es zeitnah und effektiv zu zeigen, welche Vorteile Diversity-Management mit sich bringt und wieso «das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen» auch Queers mit einschliesst!

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder Gastbeitrag zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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