«Totsch» – Coming-out im Klassenzimmer
Ein Buch über Homosexualität für lesescheue Jugendliche
Der Autor Sunil Mann hat sein erstes Jugendbuch geschrieben. «Totsch» soll 12- bis 16-Jährigen einen Zugang zu den Themen Homosexualität und Coming-out verschaffen.
Nach sieben Kriminalromanen und drei Kinderbüchern erscheint nun Sunil Manns erstes Jugendbuch «Totsch». Der dabux-Verlag hat den 47-Jährigen damit beauftragt, ein anspruchsvolles Thema in einer für Jugendliche fassbaren Sprache auf 60 Seiten zu verpacken. Als offen schwuler Autor war es für Mann klar, dass ein Coming-out im Zentrum der Geschichte stehen muss.
Jugendliteratur über Homosexualität und Coming-out ist dünn gesät, gemäss dem Verlag ist «Totsch» das erste Schweizer Jugendbuch, das sich mit dem Thema befasst. «Das Gebiet ist insofern eine Herausforderung, als es vieles Klischees gibt, die es so gut wie möglich zu umschiffen gilt», sagt Mann gegenüber MANNSCHAFT. Ein weiterer Knackpunkt sei das Format des Buches: Eine grosse Druckschrift und kurz gehaltene Kapitel auf maximal 60 Seiten. Ob man der heutigen Jugend keine dicken Schinken mehr zumuten kann?
Das Ziel des Buches sei, lesescheue Jugendliche zu erreichen, darunter auch solche mit Migrationshintergrund, die die Sprache noch nicht beherrschen. «Eine Identifikation ist wichtig, um sie ins Boot zu holen», sagt er. «Die Sprache muss unkompliziert sein ohne Fremdwörter und Schachtelsätze.»
Schwule Teenies sind reifer als ihre Kollegen
Leicht verständliche Jugendliteratur ist das Spezialgebiet des «da bux»-Verlags. Jährlich bringt er eine Reihe von Büchern heraus, die sich eines bestimmen Themas annehmen. Vergangene Ausgaben behandelten etwa Körperkult, Mobbing und Armut, nebst «Totsch» erscheinen dieses Jahr auch Bücher von Alice Gabathuler und Petra Ivanov über Sexting und Gewalt. «Ob es Unlust oder lediglich Respekt ist, weiss ich nicht. Jedenfalls ist die Angst vor dicken Büchern da», sagt Mann. «Die Herangehensweise des Verlages ermuntert lesescheue Jugendliche, ein Buch in die Hand zu nehmen.»
Familie wollte 23-Jährigem Schwulsein in Kirche austreiben
Damit das auch geschieht, versucht der Verlag seine Bücher unter Schulklassen zu bringen. Auf der Website steht Lehrkräften der Sekundärstufe diverses Unterrichtsmaterial kostenlos zum Download zur Verfügung. Verschiedene Arbeitsblätter sind dafür gedacht, Diskussionen anzuregen und den Lesestoff im Klassenzimmer zu behandeln. Zusätzlich können die Autor*innen für Lesungen und Workshops gebucht werden.
«Mit einfacher Sprache eine komplizierte Geschichte erzählen» Im Zentrum der Handlung steht der Lernende Olaf. «Er ist nicht besonders attraktiv und ein bisschen übergewichtig. Er hat Mühe im Job und einen grossen Latz», sagt der Autor über seinen Protagonisten. Olafs Objekt der Begierde heisst Jannick. Zwischen den beiden scheint es zu funken, doch Jannick stösst schnell an seine Grenzen.
«True to you»: Coming-out per Kurzfilm
«Ich würde jetzt mal behaupten, dass schwule Teenies reifer sind als ihre Kollegen», sagt Mann. Wer homosexuell ist, müsse damit umzugehen lernen, dass er anders ticke als über 90 % seiner Schulkameraden. «Man muss Antworten auf Fragen finden, die sich andere nicht stellen müssen. Das löst einen Reifeprozess aus.»
Diesen Prozess auf 60 Seiten für Jugendliche ansprechend aufzubereiten, war für den Krimiautor eine Herausforderung. Wichtig war ihm, dass das Buch gleichgeschlechtliche Neigungen nicht als Laune abtut. «Ich habe versucht, mit einer einfachen Sprache eine komplizierte Geschichte zu erzählen», sagt er. Schliesslich gehe es im Text auch um Freundschaft – für etwas Spannung sorgen auch Olafs Probleme mit den lokalen Haschdealern. Drogen, um die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu halten? Der Schriftsteller lacht: «Ich wollte keinen belehrenden Text schreiben.»
Mann, der als Sohn indischer Einwanderer bei Pflegeeltern im Berner Oberland aufwuchs, wählte als Titel den berndeutschen Begriff «Totsch», der so viel wie «Dummchen» bedeutet. «Es klingt griffig und wird je nach Sprachgebrauch für beide Geschlechter oder eben nur für weibliche Personen benutzt», erklärt er. «Damit kokettiert Olaf auch mit seiner eigenen Geschlechterrolle – er nennt sich ja selbst immer so –, aber ohne, dass es im Text genau erläutert wird.»
Spätes Coming-out – und wieder lauter erste Male
Jugendliche mit Migrationshintergrund zu erreichen, ist für Mann eine Herzensangelegenheit. Dass ausländischstämmige Eltern eher Mühe mit Homosexualität bekundeten, hänge nicht unbedingt nur mit Religion oder Kultur zusammen. «Viele Einwanderer*innen glauben, dass sich ihr Heimatland seit ihrer Abreise vor mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr verändert hat», sagt er. «Das stimmt natürlich nicht. Die Welt dreht sich auch dort weiter.»
Die Bücher vom dabux-Verlag gelten nicht als Lehrmittel. Mann hofft, dass sich Lehrkräfte trotzdem empfänglich zeigen und «Totsch» den Weg ins Klassenzimmer findet. «Die Geschichte behandelt wichtige Themen und bietet viel Diskussionsstoff. Hoffentlich vermag das besonders bei Kindern mit Migrationshintergrund etwas auszulösen.»
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