Das Schwuz kann gerade jetzt klare Worte der Kritik vertragen
Deutschlands ältester und grösster queerer Club entlässt ein Drittel der Belegschaft – und nun?
Die Wut war gross: Das Schwuz entlässt 33 Leute, verlängert bei anderen Kolleg*innen die Verträge nicht. Der Club sagt, er müsse sonst schliessen.
Doch irgendwie wollen nicht alle die Gründe wirklich benennen, die zu einem Besucher*innenschwund in dem einstigen «Wohnzimmer» geführt haben. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Ein Kommentar*
Der RBB postet in dieser Woche einen Text über die aktuelle Situation des Schwuz. Es stand wenig Neues in dem Text: Es ist schon seit drei Wochen bekannt, dass die Geschäftsführung ein Drittel der Belegschaft entlassen hat und dass es demnächst statt einer Garderobe Schliessfächer geben wird. Ausserdem soll das Personal an der Tür ausgewechselt werden. So will das Schwuz, immerhin laut RBB der grösste queere Club Deutschlands, sein eigenes Ende verhindern.
Interessanter als der Text sind hier die Kommentare darunter. Die mehr als 50 Wortmeldungen gehen mindestens zur Hälfte darauf ein, dass sich das Schwuz verändert habe in den vergangenen Jahren seit dem Umzug. «Ich mag den Rollbergkiez nicht» oder «als queerer Mensch dort allein herumlaufen, das möchte ich nicht». Das steht dort immer wieder und taucht im Text noch nicht einmal als Thema auf.
Aber vielleicht lohnt es sich, genau hinzuschauen, warum Berliner*innen immer weniger in einen Club gehen, der doch lange für einige als «Wohnzimmer» und «zweite Heimat» gesehen wurde. Wer mit Mitarbeiter*innen und den Betreiber*innen spricht, bekommt zum Teil sehr ehrliche und besorgniserregende Antworten. Denn das queere Menschen einen guten Safe Space gerade im Schatten des Neuköllner Rathauses brauchen, das sollte in Zeiten von Übergriffen auf CSDs selbstverständlich sein.
... da wurde ganz offensichtlich von den vormaligen Chefs etwas verpasst.
Betreiber*innen sprechen recht nüchtern von dem schon seit längerem eingefahrenen Minus jeden Monat. Die Gäste blieben aus – übrigens etwas, das vielen Clubs in Berlin nach der Pandemie passiert ist. Wer hätte vor Corona gedacht, dass grosse Berliner Namen wie Watergate, Griessmühle oder Ipse schliessen müssen. Junge Menschen, darunter auch queere, sitzen in diesem Sommer wieder bis Mitternacht auf Park-Wiesen oder vor Spätis herum. Doch die aktuelle Geschäftsführerin ist erst seit Januar dieses Jahres dabei – da wurde ganz offensichtlich von den vormaligen Chefs etwas verpasst. Komisch, dass ausgerechnet diese bei Anfrage nur auf die aktuelle Chefin verweisen.
Ein weiterer Grund ist sicherlich der erhöhte Eintrittspreis von rund 20 Euro, auch eine Entscheidung, die nicht von der aktuellen Geschäftsführung getroffen wurde. Mitarbeiter*innen haben schon vor Monaten versucht Alarm zu schlagen, dass die Besucher*innen an der Kasse sich gegen den Club entscheiden – obwohl sie angestanden haben. Das schon 2024 eingeführte Abo-Modell konnte das nur zum Teil einfangen. Oder es führte dazu, dass immer wieder Menschen beim Schmuggeln von mitgebrachten Getränken erwischt wurden.
Um solche Belange kümmert sich normalerweise die Türkontrolle. Und die steht – wie traditionell bei vielen Clubs – auch hier wieder in der Kritik. In der Tat kursieren immer mehr Geschichten im queeren Freundeskreis von Stammkund*innen, die plötzlich abgewiesen wurden, vom rauhen Umgangston und patzigen Antworten bis hin zu unnötigen Israel-Palästina-Diskussionen an der Clubtür. Klar, sie müssen viel abkönnen als Türsteher*innen, aber wie leicht steigt einem auch die Macht zu Kopf, über den Abend einer Person zu entscheiden: «Du heute nicht!»
Jetzt wird das gesamte Personal in einigen Bereichen ausgewechselt – und darf in Taz und RBB eine «Entschuldigung» einfordern für die schlechte Behandlung. Sicher, da ist einiges schief gelaufen bei der Entlassung, besonders für langjährige Mitarbeiter. Gerade für ein Unternehmen mit dieser inklusiven Geschichte sieht es schlecht aus, das Team mit einem unpersönlichen Brief zu entlassen. Aber es stimmt auch, dass es da kaum eine „wenig schmerzhafte“ Art gibt. Ausserdem: Wer divers einstellt muss zwangsläufig auch divers entlassen, oder?
Doch wer mit ehemaligen sowie verbliebenen Mitarbeiter*innen spricht, bekommt schnell ein Gefühl dafür, dass einige ihre Wut schon wieder herunter geschluckt haben – vielleicht weil sie verstanden haben, dass ein Safe Space mehr ist als ein Arbeitgeber. Und es bleibt wirklich offen, ob ohne diese Mitarbeiter*innen, die jetzt gehen mussten, das Schwuz überhaupt noch der gleiche Ort ist. Wirklich langjährige Mitarbeiter*innen sagen aber auch: «Wir haben schon ganz andere Krisen überstanden.»
Wer in diesen Tagen ins Schwuz geht, merkt noch ein bisschen die schlechte Laune unter den Kolleg*innen, auch wenn Gäste gleichzeitig immer noch eine gute Zeit haben können. Britney, Madonna, Beyoncé und Lady Gaga – das Schwuz-Publikum kann weiterhin textsicher alles mitsingen, es ist ein bisschen weniger verdrogt als in anderen Clubs. Das Wichtigste: Hier wird garantiert niemand wegen seines Körpers oder Aussehens verhöhnt. Das Schwuz – soviel kann man sagen – hat Awareness quasi erfunden. Und dieser Markenkern soll erhalten bleiben, heisst es.
Geigt dem Club die Meinung und bringt am besten noch ein paar Ideen für Partys mit an.
Wenn also dieses Wochenende so viele auf das Hoven hinweisen, eine Bar, die am Wochenende ein kleines Strassenfest mitten in Neukölln veranstalten – dann ist nicht weit von dort ein Club, der Berlins ältester Gayclub ist und ebenfalls die Regenbogenfahne im Kiez hochhält. Und genau dieses Schwuz braucht gerade etwas Unterstützung – nicht nur in Form von Eintrittsgeldern, sondern auch in Form von Real Talk. Geigt dem Club die Meinung und bringt am besten noch ein paar Ideen für Partys mit an. Ich hab das Gefühl, jetzt ist die beste Zeit dafür.
Erzählt den Mitarbeiter*innen, was Euch gefällt und was nicht, habt keine Hemmungen, auch unangenehme Themen anzusprechen, ein bisschen wie in den Kommentaren unter dem RBB-Text. Wenn sich einige im Kiez unwohl fühlen, kann man dieses Gefühl ernst nehmen und ihn nicht gleich als Rassismus abtun. Umgekehrt sollte niemand erst seine lautstark Sexualität oder politische Gesinnung an der Tür bekennen müssen, um eingelassen werden. Welches «Wohnzimmer» will das? Auf ins Schwuz, solange wir können!
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Das schwule Influencer-Paar Jamie und Fiongal G. aus Grossbritannien gehört zu den 242 Passagier*innen an Bord der Air-India-Maschine, die in Indien abstürzte (MANNSCHAFT berichtete).
Das könnte dich auch interessieren
Deutschland
Beschäftigte der Verwaltung des Bundestages dürfen nicht zum CSD
Deutliches Zeichen gegen queere Sichtbarkeit, mitten im Pride Month: Die Bundestagsverwaltung hat die Teilnahme ihrer queeren Mitarbeitendengruppe am CSD Berlin kurzfristig zurückgezogen. Die Linke kritisiert einen «gefährlichen Rechtsruck innerhalb der Bundesregierung.»
Pride
News
Arbeitswelt
Zürich
Bundesrat Jans: «Die Aids-Hilfe Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte»
Am 13. Juni feierte die Aids-Hilfe Schweiz ihr 40-jähriges Jubiläum in Zürich mit einem traditionellen Quilt-Ritual und vielen prominenten Gästen.
Von Greg Zwygart
HIV, Aids & STI
Schweiz
Gesundheit
People
Kaulitz-Doku: Jetzt will Tom Bruder Bill verkuppeln
Mit «Durch den Monsun» wurden die Kaulitz-Zwillinge schon als Teenager berühmt. Wasser spielt auch eine grosse Rolle in den neuen Folgen ihrer Reality-Doku. Sehr viel Wasser.
Von Newsdesk/©DPA
Schwul
Unterhaltung
Serie
Lust
Blickkontakt, lächeln, freundlich bleiben: 11 Regeln fürs Cruising
Endlich Sommer! Die Saison für Sex im Freien hat begonnen.
Von Newsdesk Staff
HIV, Aids & STI
Bi
Schwul
Gesundheit