Auswanderer Tobias und Michael singen gegen Mobbing
Die beiden finden: «Die Schweiz hat in puncto Schlager viel Nachholbedarf»
Sie waren als Auswanderer im TV, führten eine Boutique in Thun und veröffentlichen jetzt einen Song gegen Mobbing und Missgunst. Damit erfüllen sich Tobias Bayer und Michael Paris einen lang gehegten Traum.
«Lass sie reden» heisst der erste Song von Tobias Bayer und Michael Paris. Das Paar ist durch die Auswanderer-Sendungen «Auf und davon» und «Adieu Heimat» bekannt geworden und kehrte während der Pandemie zurück in die Schweiz, wo es in Thun die Modeboutique «Stars» eröffnete (MANNSCHAFT berichtete).
Damit ist jetzt Schluss. Tobias und Michael, die seit über 20 Jahren ein Paar sind, machten ihren Laden dicht und brechen in neue Gefilde auf: die Musikbranche. Pünktlich zum internationalen Coming-out-Tag am 11. Oktober veröffentlichen sie den Song «Lass sie reden», den sie als Dance-Schlager-Hymne gegen Mobbing, Neid und Missgunst bezeichnen.
«Man muss alles ausprobieren, sonst bereut man es hinterher.»
Michael Paris
Mit dem neuen Unterfangen geben die Männer wie gewohnt ihrem Abenteuerdrang nach und erfüllen sich einen lang gehegten Traum. Das Musiktalent sei eindeutig Michael, sagt Tobias, der seine Gesangskünste bis vor kurzem nur im Auto oder unter der Dusche zum Besten gegeben hatte. «Ich wollte schon immer Musik machen», sagt Michael. Der gebürtige Ungare sang in verschiedenen Chören und studierte Musik. Schliesslich sei der Moment gekommen, wo er sich einen entscheidenden Ruck gab. «Man muss alles ausprobieren, sonst bereut man es hinterher.»
Diesen Wunsch hatte Michael bereits während der Dreharbeiten zu «Adieu Heimat» auf Fuerteventura geäussert, was dazu führte, dass die Produktion ihn zu einem Studiobesuch bei einem balearischen DJ begleitete. Dort schrieb und nahm Michael innerhalb weniger Stunden erste Bruchstücke seines ersten Songs auf. Obwohl die Aktion primär als Stoff für die Kamera diente, konnte er wertvolle erste Erfahrungen sammeln.
Bis ein erster Song veröffentlicht werden konnte, mussten Tobias und Michael erst unten durch gehen. Sie fielen auf einen «Fake-Produzenten» herein, den sie über die sozialen Medien gefunden hatte. Das erste Mal wurden sie stutzig, als sie ihren Song im eigenen Esszimmer aufnehmen mussten. Der Produzent hatte Laptop und Mikrofon aufgestellt und versprach dann, dass das professionelle Mixing in einem Londoner Studio erfolgen würde. Das Ergebnis war katastrophal, doch der angebliche Produzent reagierte nicht mehr auf die Kontaktversuche von Tobias und Michael und ghostete sie. Heute sind beide froh, dass sich der finanzielle Schaden in Grenzen gehalten hat und sie etwas dazu gelernt haben. «Wir stehen in der Öffentlichkeit. Es wird immer Trittbrettfahrer geben, die ein Stück vom Kuchen haben wollen», sagt Tobias. «Wir sind vorsichtiger geworden.»
Umso glücklicher sind Tobias und Michael heute, mit Simeon Holzer und Petra Bonmassar das richtige Produzententeam gefunden zu haben. Dieses sei auf ihre Wünsche eingegangen und habe mit «Lass sie reden» einen Song komponiert, der genau zu ihnen passe: eine Ode gegen missgünstige Menschen, die über andere herziehen. «Schlager gilt oft als oberflächlich. Uns war es wichtig, eine Message rüberzubringen und das ist uns gelungen», sagt Tobias. «Als wir den Song zum ersten Mal hörten, waren wir hell begeistert.»
Tobias und Michael wollen damit anderen Mut machen, die sich wie sie mit Lästereien und missgünstigen Kommentaren konfrontiert sehen. Angefangen habe dies bereits mit dem ersten Zeitungsartikel, in dem sie als Auswanderer-Paar vorgestellt wurden. «Es gab über 150 Kommentare, die ich alle las», erinnert sich Tobias. «Ich fiel fast in Ohnmacht und hatte schlaflose Nächte. Wie können Leute, die uns nicht kennen, über uns urteilen?»
Heute kann Tobias über solche Negativität besser hinwegsehen, unter anderem auch dank Michael. «Mich interessieren solche Kommentare nicht», sagt er. «Was interessieren mich Leute, die ich nicht kenne und noch nie gesehen habe?» Seitdem das Paar in der Öffentlichkeit steht, habe es aber auch viele schöne Begegnungen gegeben mit Menschen, die die Abenteuer von Tobias und Michael im Fernsehen mitverfolgt hatten. «Wir werden auf der Strasse angesprochen. Wir werden für unsere Authentizität gelobt und dafür, dass wir uns nach Niederlagen wieder aufrappeln», sagt Tobias.
Die ehemaligen Auswanderer hoffen, dass ihr Song «Lass sie reden» beim Publikum gut ankommt und vielleicht auch ein zweiter und ein dritter Song oder gar eine EP folgen werden. Der grosse Traum der beiden wäre es, in Deutschland auf der Bühne zu stehen. Dort habe Schlager einen ganz anderen Stellenwert. Das Genre verbinde jung und alt, die Texte seien für alle verständlich. «Die Schweiz hat in puncto Schlager viel Nachholbedarf», sagt Tobias. «Alle kennen den Hit ‹Atemlos› und singen gerne mit, aber niemand will dazu stehen, weil sie es ‹peinlich› finden. In der Schweiz sollten wir uns weniger darum scheren, was die anderen denken. » Die anderen eben einfach reden lassen.
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