Mensch plus Penis = Mann? Mehr Bildung über Vielfalt!

Die Trans-Perspektive: Die MANNSCHAFT-Kolumne von Anastasia Biefang

Anastasia Biefang (Foto: privat)
Anastasia Biefang (Foto: privat)

Anastasia Biefang ist die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin und schreibt regelmässig eine Kolumne* für MANNSCHAFT.

In Ungarn wurde zuletzt ein Gesetz verabschiedet, das das Geschlecht eines Menschen bei der Geburt quasi unwiderruflich zementiert (MANNSCHAFT berichtete). Auf Grundlage einer binären Doktrin und dem ersten Anschein nach wird Mensch mit Penis zum Mann und Mensch mit Vagina zur Frau erklärt. Es gibt nur zwei Geschlechter. Das individuelle Erleben, die eigene Stimmig- oder eben Unstimmigkeit mit der staatlich zugeschriebenen Geschlechtlichkeit ist hinfällig, nicht notwendig. Du bist ein Mann, du eine Frau. Willkommen im Leben, finde dich, aber hinterfrage bloss nicht dein biologisches Geschlecht.

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Die binäre Weltordnung ist einfach, zweigeteilt, überschaubar. Und ja, für viele Menschen ist diese scheinbar natürliche Ordnung erst gar nicht wert, hinterfragt zu werden. Das eigene Geschlecht ist gegeben – unveränderbar. Für mich als trans Frau sieht diese binäre Weltordnung jedoch anders aus. In meinem Fall erlebte ich die Unstimmigkeit mit dem mir bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht. Ich quälte mich Jahrzehnte mit der Suche nach der eigenen geschlechtlichen Identität.

Die Frage, die in meinem Kopf spukte, war stets: «Bin ich Mann oder Frau?» Zumindest war dies die Frage, die gesellschaftlich noch zugelassen wurde, denn damit bewegte ich mich weiter in der binären Weltordnung. Sichtbare und greifbare Orientierungspunkte für mich waren allein gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlecht und das erlernte Schulwissen. Genderstereotype, die über äussere Zuschreibungen und das beobachtbare Verhalten das Geschlecht ausweisen. Althergebrachte Klischees von Frau und Mann, heteronormative Rollenvorstellungen.

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All dies wird erzogen, sozialisiert. Aber mein Reflektieren und der Weg der Selbstfindung offenbarten mir weit mehr als nur diese Zweiteilung. Ich erlebte Geschlecht zunehmend als eine vielfältige, gleichwohl aber keine beliebige Kategorie. Ich verstand mich und mein Erleben mehr und mehr. Die mögliche Vielfalt von Geschlecht verursachte keine Orientierungslosigkeit in mir, sondern entriss mir die Scheuklappen und öffnete meinen Blick auf die Realität.

Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit hat durch die politisch-aktivistische Arbeit von Interessenverbänden und Aktivist*innen und durch die Genderforschung in den letzten Jahren zunehmend Risse erfahren. Die Vielfalt der Geschlechtlichkeit wird in einigen Ländern zwar zaghaft anerkannt, dieser aber dennoch oft ein enger Rahmen gesetzt. Die Zweigeschlechtlichkeit hat wahres Beharrungsvermögen. (Nicht nur, aber vor allem bei der AfD – MANNSCHAFT berichtete)

Anstatt geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen, werden Gründe gesucht, die alte Norm zu restaurieren. Mit «Besorgnis» wird festgestellt, dass immer mehr Jugendliche trans seinen. Allzu leichtfertig und entmenschlichend wird gar von einem «Transhype» geschrieben. Und schuld daran sei die freizügige Diskussion über und die mediale Verbreitung von eben dieser geschlechtlichen Vielfalt. Das ist schlechthin die Umkehrung der Aufklärung.

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Die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt und der Schutz vor Diskriminierung sind gesellschaftlich wichtige Fragen und erfordern politisches Handeln und eine wissenschaftlich fundierte bildungsspezifische Auseinandersetzung. Die Erfahrung von Geschlecht begleitet uns von Kindheit an. Darum ist das Wissen um geschlechtliche Vielfalt schon in der Erziehung und Bildung einzubringen. Mir hätte dieses Wissen viel Zeit, Scham und Angst genommen. Wagen wir es. Es gibt nichts zu verlieren.

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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