Die feministische Revolution: Lust statt Scham
Anastasia Biefang will sich nicht zum Schweigen bringen lassen
Sie will sich für ihr Verlangen und ihre Lust nicht schämen müssen, schreibt unsere Autorin in ihrem Kommentar* und plant nichts weniger als eine kleine Revolution.
Sich der Öffentlichkeit und der Gefahr des allgemeinen Urteils aussetzen, fordert einen hohen Preis. Virginie Despentes machte diese Erfahrung bereits früh und besprach das Thema in ihrem Buch «King Kong Theorie». Die öffentliche Person, insbesondere dann, wenn diese eine Frau ist, sollte nicht von Dingen reden, die geheim bleiben sollen. Schon gar nicht, wenn es die eigene Sexualität ist. Nicht auffallen, nicht stören und keinesfalls aufrühren. Still soll sie sein. Dankbar gar, für den ihr zugewiesenen Platz, fest in der Hand des Patriarchats. Denn das Patriarchat entscheidet, was und wie wir etwas sagen dürfen und wie wir zu sein haben. Und wenn die Frau nicht schweigt, dann wird sie zum Schweigen gebracht.
Eine Erfahrung, die ich im Kleinen seit mehreren Monaten, vielleicht seit ein paar Jahren, auch mache. Mein Tinderprofil wird öffentlich gemacht (MANNSCHAFT berichtete). Mein Begehren nach Sex mit anderen jeglichen Geschlechts wird Stein des Anstosses für die Hüter der Moral in einem System der überkommenen Werte. Ein Lauffeuer entfacht, ich werde bestraft für mein Begehren, für mein schamfreies und selbstbestimmtes Verlangen nach Sex, Lust und Befriedigung.
Das Patriarchat, in Gestalt meiner cis-männlichen Führung, vernimmt mich zu meinem «promiskuitiven» Begehren. Dokumentiert, hält fest und spricht Urteil mir gegenüber. Stellt mich in die Ecke der Unzucht. Ich kämpfe dagegen an, bin leise, aber konsequent. Ein Fehler, so erkenne ich jetzt.
Mein Kampf für Gerechtigkeit, für meine Art zu leben, vollzieht sich zunächst abseits einer Öffentlichkeit. Ich leide still während dieser Zeit, in der Hoffnung, Recht gesprochen zu bekommen. Eine Tätowierung auf meinen Rippen ist einzig Zeugnis meiner Wut und Empörung, die keiner wahrnehmen möchte: «Slut» prangert dort für immer in tiefem Rot.
Ich verstehe einfach noch nicht, dass ich still und leise nichts verändern kann. Zu mächtig ist das Patriarchat. Unterstützung kommt von der Seitenlinie des Spielfeldes, aber keiner läuft mit mir mit. Und als ich es öffentlich mache, wird die Empörung der Herrschenden nur noch grösser. Zu Recht wurde diese Frau bestraft, die ihr Verlangen nicht unterdrücken möchte. Die über ihr Verlangen und ihre Lust frei erzählt und auch von der Freude der Befriedigung in dunklen Räumen zu berichten weiss. Wieder keine Scham. Wieder keine Schuld.
Es wird über mich gesprochen, wenig mit mir. Meine Stellung in der Gesellschaft, in der Hierarchie wird mir deutlich aufgezeigt. Lektionen in vermeintlicher Weiblichkeit und Tugendhaftigkeit erteilt mir der cis Mann. Mit der Öffentlichkeit kommt zunehmend die Unterstützung. Die Marginalisierten, die Unterdrückten des Patriachats äussern sich. Der Feminismus vereint sie alle in ihrem Kampf, gibt ihnen Heimat und Stärke.
Feminismus heisst nicht Gleichberechtigung, sondern Umsturz. Feminismus ist Revolution. Revolution gegen das Patriarchat, gegen die Unterdrückung. Die Erneuerung der Gesellschaft für alle anderen, die Unterdrückten, die Marginalisierten. Revolutionen gehen nicht leise vonstatten. Sie sind laut und sichtbar. Das habe ich zuletzt gelernt. Denn nur laut und unbequem ängstigen sie die Mächtigen und erneuern von Grund auf. Dazu bedarf es des Niederreissens und des Einsturzes. Auch meine kleine Revolution wird nicht still und leise sein. Den Gefallen werde ich euch nicht tun. Den Preis bin ich jetzt und jederzeit bereit zu zahlen.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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