«Am schwersten fällt es mir, andere nicht zu umarmen»
Das treibt die LGBTIQ-Community in der Corona-Krise um
Um die Ausweitung der Corona-Krise zu verhindern, ist das Leben teils erheblich eingeschränkt. Wir haben mit Mitgliedern der LGBTIQ-Familie gesprochen und wollten wissen, wie sie klarkommen und was sie am meisten vermissen.
In Deutschland sind 76 Menschen gestorben, rund 22.000 mit dem Coronavirus infiziert. An diesem Sonntag stimmt sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsident*innen der Länder ab – möglicherweise kommt die allgemeine Ausgangssperre für die ganze Republik. Österreich hat sie bereits verhängt – dort sind die bestätigten Corona-Fälle auf über 3.000 gewachsen, neun Personen sind bisher an den Folgen der Sars-CoV2-Infektion gestorben, ebenso viele sind wieder genesen. In der Schweiz gilt seit Anfang vergangener Woche der Notstand. Dort sind 56 Personen am Coronavirus gestoben, es gibt über 6000 Infizierte.
Community vs. Corona: So geht queere Solidarität!
Es gibt teils erhebliche Einschränkungen. Reisen, Tanzen gehen oder sich in der Kneipe auf ein Bier treffen – all das ist momentan nicht drin. Aber was den Menschen am meisten fehlt, ist klar: das Miteinander mit anderen, sich treffen, face to face. «Am schwersten fällt es mir gerade andere Menschen nicht zu umarmen!», sagt Malte Anders, der nun sein kabarettistisches Schulprogramm HOMOLOGIE digitalisiert, weil die Schulen geschlossen sind und er nicht auftreten kann.
«Ich bin generell ein körperlicher Mensch, der seine Freunde und Kollege gerne knuddelt und ihnen nahe ist. Schade, dass man sich an so einer menschlichen Stelle zur Zeit begrenzen muss», findet Malte.
Er wurde positiv auf Corona getestet – am Freitag, den 13.
Das sieht auch der Kölner Comedian Sascha Korff so: «Was mir momentan echt schwer fällt, ist, auf Freunde zu verzichten. Man soll ja die sozialen Kontakte aufs Nötigste einschränken. Und ich vermisse die schönen Abende mit meinen Freunden.» Auch Patrick von Queerbooks in Bern sagt: Am meisten fehlt ihm die Nähe zu anderen Menschen wie zum Beispiel Umarmungen.
Anthony Curtis Kirby, der eigentlich in Hamburg im Tina-Turner-Musical den Saxofonisten Raymond Hill spielen sollte, ist derzeit arbeitslos. Der Musicaldarsteller bezeichnet sich als Partylöwen. «Im normalen Alltag, gehe ich drei bis fünf mal die Woche abends aus, ob Bar oder Club – oder auch nur bis 4 Uhr morgens zu Freunden.» All das geht nun nicht mehr.
Übrigens nicht nur hierzulande: Der Schauspieler Frank Marx, der nach Kalifornien ausgewandert ist, schreibt uns: «Hier in San Francisco sind wir schon seit 5 Tagen in der Ausgangssperre und obwohl ich meinen Mann hier bei mir habe und ich nicht alleine bin, fehlt mir der körperliche Kontakt zu meinen anderen Freunden: umarmen, berühren, und sich nahe sein.»
Zurück nach Deutschland: Auch das Besuchsverbot in Heimen und Krankenhäusern trifft einige hart. Ein freier Bühnen- und Kostümbildner, der namentlich nicht genannt werden will, schreibt uns: «Besonders schwer fällt meiner Familie und mir zur Zeit die örtliche Trennung zu meinem Vater, den wir vor drei Wochen dauerhaft in ein Pflegeheim für Alzheimer-Patienten geben mussten, das nun für Besucher geschlossen ist.»
Walter Andreas Müller, Schauspieler aus dem schweizerischen Madetswil, findet es «hart, so plötzlich auf die Kontakte mit den KollegInnen verzichten zu müssen und nicht jeden Abend auf der Bühne stehen zu können!» Immerhin: Durch Mails, Telefon und SMS etc. sei die Verbindung zur Aussenwelt doch gewährleistet, denn als «Risiko-Fall» ist der 74-Jährige ans Haus gebunden.
Ähnlich geht es dem österreichischen Filmemacher Gregor Schmiedinger, der sich zur Zeit in Isolation befindet, wenngleich er keine Symptome hat und auch nicht gestestet ist. «Am meisten geht mir momentan tatsächlich mein Freund ab, der nicht in Wien lebt. Und mit Freunden feiern – das war schon immer ein essentielles Ventil für mich neben Sport.»
Seit mein Hund tot ist, gehe ich Phantomgassi.
Was den Mangel an sozialen Kontakten derzeit angeht, ist wiederum die Berliner Drag Queen Jurassica Parker gar nicht böse. Die geplante Reise nach Gran Canaria ist gestrichen, jetzt geniesst sie mit ihrem Mann den Urlaub in Berlin. «Auf soziale Kontakte zu verzichten, fällt mir leicht. Ich habe beruflich mit so vielen Menschen zu tun, ein bisschen Einsiedlerei finde ich gerade wunderbar», meint sie und beschäftigt sich mit Serien auf Netflix und Prime oder nutzt die viele Zeit für Videoschnitt von noch ruhenden Material für ihre YouTube-Channels. «Und ich gehe, sofern es das Wetter erlaubt, sehr lange spazieren. Seit mein Hund tot ist, nenne ich das Phantomgassi.»
Katrin aus Berlin war mit der Choreinstudierung für ein Schulmusical beauftragt, doch nachdem ein Lehrer an Covid 19 erkrankt ist, hat das Gesundheitsamt die gesamt Schule in Quarantäne geschickt – auch wenn sie dem betroffenen Kollegen nie begegnet ist. Aber sicher ist sicher. «Bei dem schönen Wetter nicht raus zu können, joggen, Fahrrad fahren, Freund*innen treffen, fällt ihr schwer – vor allem: «Die Liebste nicht zu sehen!»
Übrigens: Wer sich über die Quarantäne-Regeln hinwegsetzt, dem drohen schwere Strafen – etwa eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.
Gesundheitliche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auch in anderen Bereichen. Die Berliner Kabarettistin und Schauspielerin Sigrid Grajek schrieb am Donnerstag auf Facebook, sie habe die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis und benötige ein Medikament, das ihrem Körper die lebensnotwendigen Schilddrüsen-Hormone gibt, der diese nicht mehr produzieren kann.
Nun wird dieses Medikament in China produziert. «Meine Stamm-Apotheke teilte mir mit, dass sie davon nichts mehr hätten und dieses Medikament derzeit nicht mehr lieferbar sei. Ich hatte Glück und habe in einer anderen Apotheke die letzte vorhandene Packung bekommen. Mein Glück ist das Pech der anderen erkrankten Menschen, die keine für sie lebensnotwendigen Medikamente mehr bekommen.» Darum appellierte Grajek: «Jede*r, der*die hier heute auf dem Sofa bleibt, hilft dabei anderen Menschen ihr Überleben zu sichern.»
Momentan findet jeder noch Wege, sich die Zeit vertreiben. Der Berner Buchhändler Patrick verbringe nun mehr Zeit im Garten und findet «schon bald nichts mehr zum Jäten“. Auch das Schreiben von Briefen und Karten will er wieder aufnehmen um Kontakt mit Freund*innen zu halten. Comedian Korff kocht und probiert neue Sachen aus, tuppert und friert ein. Andere nutzen die Zeit zum Aufträumen und Putzen. Matti von IWWIT hat sich vorgenomen, nochmal «Die Pest» von Albert Camus zu lesen. Beim lezten Mal war er 18. «Das Buch ist jetzt aktueller denn je und ich denke, auch ich daraus nochmal viel lernen kann.»
Die Exil-Schweizer Tobias Bonn und Christoph Marti von den Geschwister Pfister, die in wenigen Wochen mit Agatha Christies «Mord im Orientexpress» hätten Premiere feiern sollen und nun zu Hause sitzen, versuchen, «nicht dauernd in den Social Medias oder am blöden Fernsehen Katastrophennachrichten zu schauen, sondern alle die Bücher zu lesen, die sich da angesammelt haben», ansonsten gibt es Serien, Filme oder man telefoniert oder skypt mit Freunden. Was derzeit nicht so gut funktioniert, das sei das Brainstormen über zukünftige Projekte.
«Noch konnten sich die kreativen Gedanken nicht wirklich erfolgreich den Weg durch die Altagssorgen bahnen», schreibt uns Tobias Bonn.
Umfrage: Wie sieht dein Alltag mit Corona aus?
Wie lange wird das noch so gehen? Und wie kommt man durch die Krise, gerade als Freiberufler*in? Den Wiener Filmemacher Schmiedinger «überkommen tatsächlich gelegentlich teilweise auch starke Existenzängste». Alle Aufträge und Projekte müssen pausieren oder wurden abgesagt, sein Einkommen sei quasi über Nacht auf Null geschrumpft. Die Miete und die Lebenserhaltungskosten kriege er nächsten Monat noch so mit Ach und Krach hin.
«Da ich aber bei weitem nicht der einzige bin, dem es so geht und die österreichische Regierung auch schon ein 38 Milliarden schweres Hilfspaket mit 5 extra Millionen für den Künstlersozialfonds angekündigt hat, habe ich diese Ängste ganz gut um Griff soweit.»
Der Schauspieler Walter Andreas Müller hat «auch altersbedingt Gott sei Dank keine Existenz-Sorgen» und übt sich weiterhin in der Disziplin des positiven Denkens. Das versucht auch Mario Burkhard. Der Schweizer Blumenhändler dagegen ist Arbeitgeber von mehreren Personen und findet die Lage alles andere als erfreulich – auch wenn er für die Massnahmen der Regierung volles Verständnis hat. Zugleich hofft er, dass die angekündigten Massnahmen des Bundesrates auch den kleinen Unternehmen helfen. Jedenfalls freut er sich schon jetzt auf den Zeitpunkt, da er seine Geschäfte wieder eröffnen darf. «Im Mai beginnen bei mir zwei neue Floristinnen und ich schaue vorwärts und nicht zurück.»
Auch Malte Anders ist in Woche eins noch entspannt. «Mir geht zwar langsam das Klopapier aus – aber finanziell habe ich zum Glück ein wenig gehamstert, so dass ich ein paar Wochen überleben kann», schreibt er.
Frank Marx in San Francisco dagegen plagen Existenzsorgen: Er hat erst im vergangenen Jahr sein eigenes deutsches Tourbusiness gegründet. Er zeigt deutschen Touristen die Stadt und ist in der Nische glücklich und erfolgreich. «Seit dem Travel Ban ist mein Beruf praktisch unmöglich geworden und niemand weiss, wie lange das noch so gehen wird. Es wird ganz sicher nicht nur bei den 30 Tagen bleiben. Ich habe Sorgen, wie ich die nächsten Monate finanziell überstehen werde, wenn sich die Situation weiter hinzieht.»
Immer wieder hört und liest man dieser Tage, das Coronavirus werde uns alle verändern. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das wird sich noch zeigen. «Bis jetzt bin ich erstaunt, wie klaglos und vergleichsweise ruhig die Menschen hier mit der Lage und den drastischen Massnahmen umgehen», sagt Tobias Bonn. «Zumindest in meinem Umfeld überwiegt bis jetzt die Besonnenheit und Solidarität. Auch wenn sich leider nicht alle so diszipliniert verhalten, wie es geboten scheint.»
Ich hoffe inständig, dass wir näher zusammenrücken und die Zeit nutzen, in uns zu gehen.
Comedian Korff sagt, er sehe und spüre eine Welle der Solidarität und Respekt für Menschen oder Branchen, über die man vorher nicht nachgedacht hatte, da es so selbstverständlich war. «Was die Menschen im Einzelhandel gerade leisten, ist echt der Wahnsinn. Von den Menschen in der Pflege und der Medizin gar nicht zu reden. Ich hoffe inständig, dass wir näher zusammenrücken und die Zeit nutzen, in uns zu gehen.»
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