«Zuhause gab es immer Mama, Papa und seine Liebhaber»
François Ozon im Interview über «Alles ist gutgegangen»
«Alles ist gutgegangen» spielt Sophie Marceau die Tochter eines eigensinnigen alten Herrn. Der beschliesst nach einem Schlaganfall, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Romanverfilmung von François Ozon setzt auf grosse Gefühle und schauspielerische Klasse.
Es ist noch kein Jahr her, dass François Ozons Film «Sommer 85» in den deutschen Kinos lief (in der Schweiz war er schon 2020 zu sehen). Und bereits Ende September folgt seine Fassbinder-Hommage «Peter von Kant», der im Februar die Berlinale eröffnete (MANNSCHAFT berichtete). Doch nun schickt Frankreichs fleissigster Regisseur auch noch «Tout s’est bien passé – Alles ist gut gegangen» auf die Leinwände in Deutschland, Österreich und der Deutschschweiz. Darin erzählt er von der Schriftstellerin Emmanuèle (Sophie Marceau), deren Vater sie nach einem Schlaganfall um Sterbehilfe bittet (MANNSCHAFT berichtete). Wir sprachen mit Ozon darüber im Interview.
Monsieur Ozon, Sie besetzen in Ihren Filmen immer schon die tollsten Schauspielerinnen Frankreichs. Eigentlich erstaunlich, dass Sie vor «Alles ist gut gegangen» noch nie mit Sophie Marceau gearbeitet haben, oder? Es ist nicht so, dass ich es nicht vorher schon mal versucht hätte. Aber die anderen Projekte, mit denen ich mich bei ihr meldete, waren nie die richtigen für sie. Für mich war es quasi ein Jugendtraum, mal mit Sophie zu arbeiten. Ich bin praktisch genauso alt wie sie, und als damals «La Boum» in die Kinos kam, gab es für Teenager in Frankreich natürlich keinen cooleren Film. Ich ging sogar auf die Schule, an der der Film gedreht wurde. Sie war also definitiv meine Heldin damals!
In «Alles ist gut gegangen» spielt sie nun die inzwischen verstorbene Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim, mit der Sie gut befreundet waren. Ist Marceau ihr ähnlich? Optisch überhaupt nicht. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie die gleiche Lebendigkeit hat, die Emmanuèle ausmachte. Sie war voller Leben und hatte das wundervollste Lächeln. Genau wie Sophie. Das brauchte ich auch für den Film, damit diese Geschichte übers Sterben nicht zu düster wird. Sophie ist immer noch Frankreichs Lieblingsschauspielerin, und ich war mir sicher, dass sie mit ihrer Warmherzigkeit dabei helfen würde, dem Publikum den Zugang zu dieser Geschichte zu erleichtern.
Mit Bernheim schrieben Sie unter anderem das Drehbuch zu «Swimming Pool», ihr autobiografischer Roman «Alles ist gut gegangen» über den Tod ihres Vaters erschien 2013. Sprachen Sie damals schon über eine Verfilmung? Oh ja, sie wollte sich damals gleich an eine Adaption setzen, doch ich fühlte mich dazu noch nicht bereit. Aus verschiedenen Gründen, denn weder ist dies eine Geschichte, die sich leicht erzählen lässt, noch war es einfach, in diesem für sie sehr persönlichen Projekt meinen Platz zu finden. Doch nach Emmanuèles plötzlichem Tod las ich das Buch erneut – und mit anderen Augen. Plötzlich konnte ich mir den Film vorstellen, zumindest mit der richtigen Schauspielerin.
Ein wenig ist er wie ein Kind, das immer sagt, was ihm in den Sinn kommt, und sich nie selbst zensiert.
Die Vater-Tochter-Beziehung im Film ist schon ganz unabhängig von seinem Wunsch zu sterben höchst kompliziert. Aber auch sehr witzig … Für mich war wichtig, dass dies ein Film über das Leben und nicht über den Tod ist, deswegen musste Humor eine grosse Rolle spielen. Und dieser alte Herr ist nun einmal sehr ehrlich, ein echter Freigeist. Er hat keine Angst, auch nicht vor dem Sterben. Ein wenig ist er wie ein Kind, das immer sagt, was ihm in den Sinn kommt, und sich nie selbst zensiert. Und er ist auch ähnlich egoistisch.
Als Figur, mit der man mitfühlen soll, eigentlich ziemlich unsympathisch, oder? Zumindest als Vater, wenn man ihn durch Emmanuèles Augen sieht. Sie hatte oft das Gefühl, dass ihr Vater sie hasste. Doch ihre Schwester Pascale fand später Briefe von ihm, die sehr deutlich zeigten, dass dem nicht so war. Im Gegenteil. Aber diese Generation Männer war natürlich auch eine, die nicht unbedingt Gefühle zeigte und auch nie gelernt hatte, mit Kindern umzugehen. Er behandelte seine Töchter immer als Erwachsene, war ehrlich und gemein zu ihnen. Das ist als Kind sicherlich schwer auszuhalten. Aber gleichzeitig macht es ihn nicht automatisch zu einem schlechten Menschen, zumal er ja auch sehr witzig und oft grosszügig war. Weswegen Emmanuèle im Film auch mal sagt, sie hätte ihn lieber als Freund denn als Vater gehabt.
Dass er, obwohl noch mit der Mutter der Töchter verheiratet, eigentlich homo- oder bisexuell ist, macht die Sache nicht unkomplizierter. Was übrigens nicht meine Erfindung ist, sondern auch in echt so wahr.
Interessanterweise erzählen Sie im Film über diese Seite seines Lebens nur wenig. Als zum Beispiel ein Mann auftaucht, der nach dem Schlaganfall immer die Nähe des Vaters sucht, weiss man lange nicht, wer das eigentlich ist. Stimmt, das könnte zunächst auch ein unehelicher Sohn, ein Bruder oder so sein. Erst nach und nach realisiert man, dass das sein Liebhaber oder Gigolo ist. Da habe ich mich aber ganz an Emmanuèles Buch orientiert. Die Komplexität der Beziehungen in dieser Familie treten erst Stück für Stück zutage.
Aber Bernheim und ihre Schwester wussten, dass ihr Vater Männer liebte, oder? Ja, aber sie taten sich schwer damit, das zu unterstützen. Pascale erzählte mir, dass es schon in ihrer Kindheit zuhause immer Mama, Papa und seine Liebhaber gab. Das war für die Mädchen, zumal in den Sechziger Jahren, sicherlich schwierig. Auch für ihn natürlich. Deswegen kann ich schon verstehen, dass sie auch als Erwachsene das Thema weitgehend ausgeblendet haben – und auch er die Sphären seines Lebens von einander getrennt hielt.
Eine letzte Frage, um noch einmal den Bogen zu Ihnen und den Schauspielerinnen zu schlagen. In Ihrem nächsten Film «Peter von Kant», der auch schon im September in die deutschen Kinos kommen wird, spielt Isabelle Adjani mit. Sind noch Schauspielerinnen übrig auf Ihrer Wunschliste? Ich führe keine Liste, das muss ich gleich mal betonen. Natürlich gibt es ein paar Namen, von denen ich träume. Aber die werde ich Ihnen nicht verraten. Und überhaupt steht und fällt bei meinen Filmen ohnehin immer alles mit der Geschichte und den Figuren. Ich habe noch nie einer Schauspielerin ein Projekt vorgeschlagen und dann erst die Story dafür entwickelt. Ich muss erst wissen, was ich erzählen will – und schaue dann, mit wem ich das am besten kann.
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