«All Of Us Strangers»: Andrew Scott brilliert in schwulem Fantasy-Drama
Als Bösewicht Moriarty in «Sherlock» wurde er weltberühmt
Ein einsamer Autor, der als Kind seine Eltern bei einem Autounfall verlor, beginnt eine Romanze mit seinem Nachbarn. Als er das Haus seiner Kindheit besucht, findet er dort seine Eltern, die genauso alt sind wie er. Das Fantasy-Drama «All Of Us Strangers» beruht auf einem Horror-Roman.
Von Philip Dethlefs, dpa
Auch in einer Millionenstadt wie London kann man sehr einsam sein. Der Drehbuchautor Adam ist schwul, alleinstehend, hat keine Freunde und keine Familie. Er lebt allein in seiner Wohnung im 27. Stockwerk eines Hochhauses, in dem ausser Adam nur eine einzige andere Person zu wohnen scheint. Oder ist das nur Adams Wahrnehmung?
In seinem ergreifenden, melancholischen Drama «All Of Us Strangers» (Kinostart 8. Februar) mit Andrew Scott in der Hauptrolle lässt der britische Regisseur und Drehbuchautor Andrew Haigh («Weekend», «Looking») die Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Wahrheit und Wunschvorstellung verschwimmen.
Haighs atmosphärischer und sehr persönlicher Film basiert sehr lose auf dem japanischen Roman «Ijintachi to no natsu» (deutscher Titel: «Sommer mit Fremden») von Taichi Yamada aus dem Jahr 1987, der ein Jahr später als Horrorfilm in die japanischen Kinos kam. «All Of Us Strangers» hat nur die Grundidee mit Yamadas Buch gemeinsam und ist absolut kein Horrorfilm, eher ein romantische Fantasy-Drama. Vieles liegt ohnehin im Auge – oder der Interpretation – der Betrachtenden.
«Die Liebe klopft an die Tür» «Vielleicht leben dort Leute in dem Hochhaus, aber für Adam fühlt es sich so an, als gäbe es dort nur eine andere Person», sagt Haigh (50) im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. Der britische Filmemacher hat in «All Of Us Strangers» seine eigenen Erfahrungen und Herausforderungen als homosexueller Mann verarbeitet. «So fühlt es sich an, wenn es einem so vorkommt, als sei man allein auf der Welt. Man hat das Gefühl, dass es niemanden gibt, der für einen da sein kann.»
Adam (Andrew Scott) fühlt sich nicht nur wegen des Verlusts seiner Eltern einsam, sondern auch aufgrund der Gesellschaft, die ihn in den von Aids und Stigma geprägten 1980er Jahren (MANNSCHAFT berichtete) zum Aussenseiter machte. Während er auf Vinyl melancholische Pophits aus der Zeit hört – «The Power of Love» von Frankie Goes To Hollywood, «Build» von den Housemartins oder «Is This Love?» von Alison Moyet – und alte Fotos anschaut, schreibt er unermüdlich an einem Skript, in dem er den Tod seiner Eltern verarbeitet. Sie starben bei einem Autounfall am Weihnachtsabend, als Adam zwölf Jahre alt war.
Eines Abends klopft der andere Hausbewohner, Harry (Paul Mescal), an seine Tür. Er ist angetrunken und macht Adam Avancen. Doch der schickt den jungen Mann weg. «Die Liebe klopft förmlich an die Tür», sagt Scott (47), der den Film als Plädoyer für die Liebe versteht. «Am Anfang lässt der Protagonist die Liebe nicht herein, und dann tut er es schliesslich doch. Und egal wie lange die Liebe hält, die Liebe ist die Essenz des Lebens. Zu leben bedeutet zu lieben. Du kannst existieren und dich sicher fühlen, ohne Liebe zuzulassen, aber du wirst das Leben nicht in seiner Fülle und Reichhaltigkeit erleben.»
Am nächsten Tag folgt Adam einem Mann zu einem Haus. Es ist sein Vater (Jamie Bell; bekannt als Kinderstar in «Billy Elliot»), der ihn mit zu seinem Elternhaus nimmt, wo seine Mutter (Claire Foy aus «The Crown») schon auf ihn wartet. Adam ist überwältigt. Seine Eltern sind nicht gealtert und folglich nun jünger als er. Aber sie verhalten sich, als wäre alles völlig normal, und freuen sich über die Rückkehr ihres Sohnes. Es ist, als wäre die Zeit in den 80er Jahren stehen geblieben. Plötzlich hat Adam die Gelegenheit, mit seinen Eltern über alles zu sprechen, was ihm auf dem Herzen liegt.
Zu den stärksten Szenen gehört der Moment, in dem Adam seiner Mutter erzählt, dass er schwul ist, und nicht die erhoffte Reaktion bekommt. Seine Mutter reagiert überrascht. «Wirklich? Du siehst gar nicht schwul aus», sagt sie. Und dann sei da die Sache mit «dieser schrecklichen Krankheit» – Aids. Deprimierend verläuft auch Adams Gespräch mit seinem Vater. Der ahnte schon immer, dass sein Sohn schwul ist, schliesslich habe er beim Fussball kein Talent gehabt. Als Adam ihm erzählt, dass er in der Schule gemobbt wurde, offenbart ihm sein Vater, dass er ihn als Kind vermutlich auch gemobbt hätte.
Gefühl des Andersseins Es ist eine Situation, in der sich vermutlich viele schwule Männer wiedererkennen, auch wenn sie die 80er Jahre nicht miterlebt haben. «Es spielt keine Rolle, ob dich die Welt akzeptiert», sagt der 1996 in Irland geborene, heterosexuelle Paul Mescal («Normal People») mit Blick darauf, dass sich das gesellschaftliche Klima und die Akzeptanz mittlerweile geändert habe. «Denn dann wirst du schon an der ersten schwierigen Kreuzung ausgebremst. Dann spielt die Generation keine Rolle.»
So frustrierend die Reaktion seiner Eltern auch im ersten Moment sein mag, Adam merkt, dass sie es eigentlich gut mit ihm meinen. In ihrer Denkweise sind sie allerdings anfangs in den 80er Jahren stehen geblieben. «Es ist inzwischen alles anders», erklärt Adam seiner erstaunten Mutter, die um seine Einsamkeit besorgt ist. In weiteren Gesprächen kommt Adam seinen Eltern schliesslich näher als je zuvor.
Dreharbeiten im eigenen Elternhaus Weil es ihm eine persönliche Angelegenheit war, drehte Andrew Haigh sogar in seinem eigenen Elternhaus, in dem er vor über 40 Jahren lebte. Die wahrscheinlich grösste Leistung des Filmemachers ist es, dass die Familienszenen trotz der merkwürdigen Altersverhältnisse nicht lächerlich wirken. Ganz im Gegenteil.
Ein Moment, in dem Adam in seinem Kinderschlafanzug in Erwachsenengrösse im Bett zwischen seinen Eltern liegt, gehört zu den ergreifendsten Szenen des Films. Das ist auch der schauspielerischen Leistung des brillanten Andrew Scott und seiner Co-Stars Claire Foy und Jamie Bell zu verdanken.
Andrew Haighs eigene Jugend war geprägt von der Scheidung seiner Eltern und einem Gefühl des Andersseins. «All Of Us Strangers» habe ihm geholfen, das zu verarbeiten, sagt er. «In diesem Film geht es um verlorene oder verpasste Gelegenheiten im Leben. Die Kraft des Dramas liegt darin, dass man die Dinge meistens nicht reparieren kann.»
Haighs packendes Fantasy-Drama ist gleichzeitig herzzerreissend und wunderschön, zu Tränen rührend und niederschmetternd. «All Of Us Strangers» lässt dabei viel Spielraum für Interpretationen. Das gilt besonders für das Ende dieses faszinierenden Films.
In der neuen Mini-Serie «Mary & George» spielt Nicholas Galitzine einen jungen mittellosen Mann, der König James I. von England verführt (MANNSCHAFT berichtete).
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