«Auf keinen Fall anal!»: Johannes Krams «Operette für zwei schwule Tenöre»
Im BKA-Theater Berlin wird das neue Bühnenwerk des Nollendorf-Bloggers erstmals der grösseren queeren Öffentlichkeit vorgestellt
Ausgerechnet Operette, um politischen LGBTIQ-Aktivismus zu betreiben? Geht das, wird sich manch eine*r verwundert fragen, wenn Nollendorf-Blogger und Queerkram-Podcaster Johannes Kram seine «Operette für zwei schwule Tenöre» im BKA-Theater Berlin Premiere feiert.
Es ist ein Stück, das der Autor des Bestsellers «Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber … Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft» (MANNSCHAFT berichtete) zusammen mit Komponist Florian Ludewig geschrieben hat.
Es geht um zwei Männer, deren Beziehungskrise in Form von Songs revuepassiert und verschiedene Aspekte eines queeren Lebens zwischen Grossstadt und Land, Ikea, Champagner, Fetisch usw. im Dreivierteltakt besungen werden. Jede Nummer ist einschmeichelnd-eingängig und verführt dazu, erstmal mitzuschunkeln, bevor man merkt, worum es eigentlich geht: zum Beispiel Analsex oder die sexuellen Freiräume, die man in einer Langzeitpartnerschaft manchmal braucht. Bis das Ganze in ein «Liebeslied von Mann zu Mann» mündet.
Anders als alle Menschen in der Nachbarschaft Johannes Kram gehört zu einer Generation von Schwulen, die im West-Deutschland der 1970er-Jahre mit Operette im Fernsehen aufwuchs und darin einen Zufluchtsort fand, wo Menschen «anders» sein konnten. Heute würde man sagen: queer. Obwohl es das Wort damals noch nicht im deutschen Alltag oder Aktivismus gab.
Der auch als Dragqueen «Emmi» bekannte Forscher Christoph Dompke schreibt über die abenteuerlich-schrecklichen Operettensendungen im deutschen TV jener Jahre: «Die einzigen Figuren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die einem spezifisch homosexuellen Wunsch nach überlebensgrossem Glitzer und Glamour entsprachen, waren Ilja Richter und Anneliese Rothenberger: beide moderierten schrille Showprogramme und beide präsentierten in ihren Shows Freaks, die deutlich anders aussahen als alle Menschen in der Nachbarschaft, wodurch sie pubertierenden Kindern während des Coming-Outs das Gefühl gaben, dass das durchlittene Anders-Sein auch eine Chance in sich barg.» Dompke meint: «Ja, Rothenberger & Co. waren schwule Sehnsuchtsfiguren, denn ansonsten waren schwule Identifikationsmöglichkeiten im Fernsehen spärlich gesät.»
Das Zitat ist einem Essay aus dem Sammelband in «Glitter and be gay: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer», den ich 2007 herausgegeben habe. Es war das weltweit erste Buch, das sich mit der Frage nach Homosexualität und Operette auseinandersetzte. Mehr noch: es war das erste Buch, dass nach irgendeiner Form von Sexualität in der Operette fragte, egal ob homo oder hetero.
Liebe zwischen einem Neonazi und Al-Qaida-Terrorist Damals war in Los Angeles mit «The Beastly Bombing: A Terrible Tale of Terrorists Tamed By the Tangles of Love» die erste Operette herausgekommen, in der erstmals offen homosexuelle Figuren vorkamen, in diesem Fall ein Neonazi und ein Al-Qaida-Terrorist aus Saudi Arabien, die sich nach dem Konsum von Ecstasy-Pillen in die Arme fallen.
Aber deren Geschichte ist nicht das zentrale Thema dieser «South Park»-artigen Satire von Julien Nitzberg und Komponist Roger Neill (der auch die Musik zu «Beginners» mit Christopher Plummer und Ewan McGregor geschrieben hat). In der «Operette für zwei schwule Tenöre» sind die beiden Protagonisten mit all ihren LGBTIQ-Problemen das Hauptthema des Stücks, kein Nebenstrang der Handlung.
«Cyanide Wrapped in Chocolate» Was Roger Neill und Florian Ludewig allerdings gemein haben, ist dass sie die politische Botschaft ihrer Textdichter in süssliche Klänge hüllen. Julien Nitzberg nannte diese Taktik in einem Interview «Cyanide Wrapped in Chocolate»: «Wenn man sich mit den hässlichen sozialen Themen unserer Zeit beschäftigt, warum sie dann nicht als leckeren Bonbon servieren», fragte er provokant. Die sozialen Themen, die Kram aufgreift, sind zwar nicht «hässlich», wie bei «The Beastly Bombing», aber die Bonbonverpackung schafft dennoch einen Kontrast zur politischen Message.
Felix Heller, ein bekannter deutscher Musicaldarsteller, der vom Märchenkönig Ludwig II. bis zum «Weissen Rössl» schon einiges gespielt hat, sagt zu MANNSCHAFT: «Für mich ist es bewegend, die weltweit erste queere Operette zu spielen und auf eine gewisse Weise ein musikalisches Coming Out zu erleben.» Was er damit meint, erklärt er auch: «Dieses Stück gibt mir die Möglichkeit, viele Entwicklungsstufen von mir selbst, wie mein Outing, Hänseleien im Sportunterricht oder dumme Alltagsklischees, stellvertretend auf der Bühne zu erleben und musikalisch zu bewältigen. Das klingt vielleicht pathetisch, aber hätte ich als Teenie schon unser ‹Liebeslied von Mann zu Mann› gekannt und durch diesen Ohrwurm gemerkt, dass es auch anderen Jungs und Männern wie mir geht und dass ich ganz okay und auch normal bin, das hätte mich schneller stark gemacht.»
Schubladendenken Ob Heller Angst hat, durch seine Mitwirkung an der Produktion für Casting-Direktoren zukünftig in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der er nicht mehr rauskommen kann, beantwortet er im MANNSCHAFT-Gespräch so: «In eine Schublade wird man ohnehin gesteckt. Ich finde es wichtig, gute Arbeit zu leisten, und ob ich nun einen Schwulen, den Märchenprinzen oder ein Pferd spielen darf, ist eigentlich egal. Das besondere an unserer Operette ist ja, dass wir als schwule Darsteller uns selbst eine Stimme geben durften. Wir dürfen auf der Bühne Geschichten erleben, die wir selbst schon durchgemacht haben und das verleiht dem Ganzen eine Tiefe, die ich nicht erwartet hätte und die weiter geht als das blosse Interpretieren einer Figur. Wenn dafür eine Schublade nötig ist, dann fühle ich mich sehr wohl darin und finde toll, dass wir mit unserer Arbeit ein Teil einer grossen Kommode mit vielen Schubladen werden.»
In Deutschland sind solche schwulen oder LGBTIQ-Geschichten im unterhaltenden (kommerziellen) Musiktheater selten, bei Stage Entertainment findet man kaum eines der wichtigen Stück, die in London oder New York am West End oder Broadway neue Wege eröffnet haben. Dafür kommt «Everybody’s Talking About Jamie» im September zu Amazon Prime, anderes wurde von Netflix bereit gestellt, womit Stage Entertainment zunehmend umschifft wird. Und LGBTIQ-Darsteller*innen in Musicals und in Musicalhauptrollen sind auch keine Ausnahme mehr, sondern der Regelfall.
Dem weiblichen Publikum etwas zum Träumen geben Trotzdem meint Felix Heller zu MANNSCHAFT: «Ich habe leider schon den Eindruck, dass in Deutschland ein schwuler Musicaldarsteller nie den Rang einnehmen wird, den ein heterosexueller Darsteller belegt. Die wirklich grossen Stars der Branche sind alle heterosexuell, da so das vorwiegend weibliche Publikum etwas zum Träumen hat. Es geht einfach viel zu oft um den Vermarktungsfaktor und da ist die Sexualität leider immer noch relevant. Umso wichtiger, weiterhin queere Geschichten zu erzählen, um das wunderbare und so vielfältige Spektrum in all seinen Facetten abzubilden. In diesem Punkt sind uns die Amerikaner und Briten auf jeden Fall voraus, dort ist Queerness schon längst im Mainstream angekommen. Wir versuchen mit unserer ‹schwulen Operette› einen Schritt in unserer Kulturszene in diese Richtung zu gehen.»
Johannes Kram ergänzt in einem Gespräch: «Die Deutschen sind Dank Leuten wie Bully Herbig und Dieter Nuhr immer noch den Schenkelklopfer-Humor der 1950er-Jahre gewohnt, wenn es um Schwule geht. Ausserdem liegt es ja auch nahe, das Genre zu veralbern und den Witz daraus zu beziehen, wie gestrig, wie drüber, wie naiv die Operettenwelt ist. Doch das wollten wir nicht, wir mögen die Musik ja wirklich, das ganz grosse Tschingderassabum. Wir wollten ja das grosse Gefühl und haben uns vorgenommen einen Weg finden, dieses auch zuzulassen, ohne, dass es peinlich ist und sich unsere Protagonisten gleichzeitig davon distanzieren müssen. Und trotzdem wollen wir natürlich sein, was die gute alte Berliner Operette auch war: albern, schräg und voller sexueller Lust.»
Eine Schneise, die Barrie Kosky geschlagen hat Diese Rückbesinnung auf die Form des Genres vor den 1970er-Jahren Fernsehoperetten und auf eine Zeit vor 1933, also bevor die Nazis das vormals frech-frivole Genre domestizierten und ihm jede inhaltliche Bedeutung austrieben, ist das andere Merkmal der «Operette für zwei schwule Tenöre». Kram sagt dazu: «Ja, klar laufen wir durch eine Schneise, die Barrie Kosky durch seine Arbeit an der Komischen Oper geschlagen hat, übrigens nicht nur für die Relevanz der Operette, sondern auch für die Selbstverständlichkeit des queeren Blicks.»
Während Johannes Kram mit seinen beiden Tenören das Leben und das Genre Operette von einer schwulen Seite betrachtet, startet im September eine andere Gruppe in Berlin ein eindeutig queeres Operettenprojekt unter dem Titel «Lila Lied» im SchwuZ (in Kooperation mit dem Schwulen Museum). Tenor Ludwig Obst und seine Mitstreiter*innen fokussieren sich darin auf die berühmten LGBTIQ-Lieder der Weimarer Republik, in denen erstmals offen homoerotisches Begehren und eine eigene queere Identität besungen wurde – mit Mischa Spolianskys «Lila Lied» und dem Refrain «Wir sind nun einmal anders als die ander’n» als Ausgangspunkt für das, worauf jetzt Kram/Ludewig aufbauen.
Zur Erinnerung: Spoliansky schrieb in den 1920ern einige der genialsten Kabarettoperetten der Epoche, das Gorki Theater grub unlängst sein Stück «Alles Schwindel» aus und landete damit einen Überraschungshit, in der Inszenierung von Christian Weise.
Was er sich unter «queer» und einer «queeren Operette» vorstellt, erklärt Ludwig Obst gegenüber MANNSCHAFT so: «Queer bedeutet für mich z. B. auch immer feministisch, anti-kapitalistisch oder anti-rassistisch. Das beinhaltet auch, dass man Geschlechterklischees des Patriarchats sprengt, dass man nicht-konformistische Ansätze ausprobiert, dass man nicht nur den kommerziellen Erfolg vor Augen hat. […] Um wirklich queer zu sein, sollte man kein Stück nur von und mit weissen schwulen Cis-Männern machen, weil diese innerhalb der LGBTIQ*-Community sowieso schon die privilegiertesten und sichtbarsten sind. Die alte Diskussion: schwul ist nicht gleich queer. Um queer zu sein, sollte man Gruppierungen eine Bühne geben, die auch innerhalb der Community marginalisiert werden: PoC, non-binary people, sex workers, Menschen mit Migrationshintergrund: all das waren übrigens auch Themen, die unsere historischen Vorbilder der Weimarer Republik beschäftigt haben. Das versuchen wir mit ‹Lila Lied›.»
Erwähnt werden sollte hier, dass Obst und sein queeres Operettenkollektiv tutti d*amore Fördergelder vom Senat bzw. vom Bund durchaus dankend annehmen, um ihre «nicht-kommerzielle» Vision von Operette umzusetzen und sich selbst ein Gehalt auszuzahlen. Dabei ist es scheinbar kein Problem, dass solche Fördergelder = Steuergelder durch den «Kapitalismus» zur Verfügung gestellt wurden. Erwähnen könnte man auch, dass Spoliansky und seine Partner*innen allesamt kommerziell arbeiteten, denn vor 1933 war Operette eine rein privatwirtschaftliche Form des Unterhaltungstheaters. Daraus zog das Genre seinen Innovationsgeist, genau wie das Musical es in der anglo-amerikanischen Welt bis heute tut.
Herausforderung und Geschenk Die «Operette für zwei schwule Tenöre» geht Anfang Oktober im BKA in Premiere. Das «Lila Lied» gibt’s schon vom 9. bis 11. September im SchwuZ. Es lohnt, beide Produktionen kombiniert zu schauen, als Kontrastprogramm. Wer dann neugierig ist auf mehr, kann weiterziehen zur Komischen Oper, wo Barrie Koskys Genderfuck-Produktion von Oscar Straus‘ «Eine Frau, die weiss, was sie will» mit Adam Benwzi, Dagmar Manzel und Max Hopp als Wiederaufnahme zu erleben ist. Und gerüchteweise soll sogar «Alles Schwindel» ans Gorki zurückkehren mit Shooting Star Jonas Dassler.
Es tut sich also einiges an der queeren Operettenfront. Was genau, das bespricht am 24. August ab 20 Uhr Johannes Kram mit Stephanie Kuhnen («Lesben raus») und Sigrid Grajek, Jeff Mannes und den Solisten.
Auf die Frage, wie viel von ihm selbst in seiner Rolle in «Operette für zwei schwule Tenöre» stecke, sagt Felix Heller zu MANNSCHAFT: «Tatsächlich eine ganze Menge. Natürlich sind für ‹Jan› an einigen Stellen andere Dinge wichtig als mir, aber er spricht schon meine Sprache. Unsere Autoren haben Ricardo, den zweiten Tenor, und mich von Anfang an in die Erschaffung der Figuren einbezogen. Wir durften unsere eigenen Erfahrungen, wie den Umgang unserer Eltern mit unserer Sexualität, in die Figuren einbauen. Sprachlich haben wir unsere eigenen Sprechweisen angeglichen und überhaupt fühle ich mich durch meine persönliche Entwicklung sehr mit Jan verbunden. Das Tolle an meiner Rolle ist, dass sie privaten Gefühlen und Konflikten von mir eine Stimme gibt, die ich so besser verstehen, mitteilen und bewältigen kann und konnte. Sie wird jeden Abend wieder eine Herausforderung und ein Geschenk sein.»
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