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«Solange sich niemand um LGBTIQ-Flüchtlinge kümmert, tun wir es»

Ein Porträt über die Supportgruppe «Eclipse» in Griechenland

In Griechenland bestehen für LGBTIQ-Flüchtlinge praktisch keine Anlaufstellen. Gemeinsam mit anderen Engagierten haben Alex Aronsky und Marc Baumgartner in Thessaloniki die Supportgruppe «Eclipse» gegründet. Wegen fehlenden Geldern setzen sie auch ihr Erspartes ein.

Die Bilder von Menschen auf der Flucht liessen Alex Aronsky keine Ruhe. Als die Flüchtlingskrise vor über zwei Jahren einen ersten Höhepunkt erreichte, beschloss die 28-jährige Schweizerin, sich für einen Monat in Griechenland als Freiwillige zu engagieren. «In der Schweiz haben viele Menschen das Privileg, finanziell gut abgesichert zu sein», sagt sie. «Dieses Privileg wollte ich sinnvoll nutzen.»

Aus Monaten sind Jahre geworden, und Alex ist immer noch hier. «Wenn man diese Menschen kennen lernt und ihre Situation sieht, kehrt man nicht einfach zurück», sagt sie. «Man baut Freundschaften mit Personen auf, die eine grosse Scheisse durchlebt haben. Dann kann man nicht sagen: Tschüss, ich geh dann mal wieder.»

«Man baut Freundschaften mit Personen auf, die eine grosse Scheisse durchlebt haben. Dann kann man nicht sagen: Tschüss, ich geh dann mal wieder.»

In Idomeni traf Alex über andere Freiwillige erstmals auf Natasha, die zu dieser Zeit als Mann lebte, «weil es einfach zu gefährlich war, im Camp offen als trans Frau zu leben.» Immer wieder wurde sie beschimpft, oder man brach in ihr Zelt ein, um ihre wenigen Habseligkeiten zu stehlen. Gemeinsam sammelten sie Geld, um für Natascha und einen schwulen Syrer, der ebenfalls in Idomeni lebte, eine Wohnung zu organisieren. «Ich war überrascht, dass für LGBTIQ-­Flüchtlinge absolut keine Hilfe vor Ort war. Weder vom UNHCR noch von anderen Organisationen.»


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Mundpropaganda verbreitet sich schnell. In Flüchtlingslagern noch schneller. Alex und ihr Team wurden von weiteren queeren Geflüchteten angesprochen oder erhielten Hinweise von jemandem, der jemanden kannte. Man beschloss wöchentliche Treffen, um die Anfragen besser bewältigen zu können, aber auch, damit sich die Flüchtlinge untereinander kennen lernen konnten. «Flüchtlinge sind allgemein sehr isoliert, LGBTIQ-­Flüchtlinge noch um einiges mehr», sagt sie. Der Grundstein für Eclipse war gelegt.

Heute bietet Eclipse eine Bandbreite von Aktivitäten und Dienstleistungen an, darunter Englisch- und Griechischunterricht, eine wöchentliche Aerobic­stunde, Aufklärung über Geschlechtskrankheiten sowie das Organisieren von ärztlichen Terminen. Zudem beraten Alex und eine Kollegin die Flüchtlinge in grundlegenden Rechtsfragen. Für konkrete Fällen stellt Eclipse eine Verbindung zu griechischen Anwält*innen her, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen, oft zuerst aber auf die spezifische Lage von LGBTIQ sensibilisiert werden müssen. «Viele Anwält*innen haben null Erfahrung im Umgang mit LGBTIQ-Flüchtlingen. Wir suchen ihnen oft Leitentscheide oder Länderanalysen bezüglich LGBTIQ heraus», sagt Alex. «Es ist nicht schwierig, diese Informationen zu finden, aber die Anwält*innen sind so überarbeitet, dass sie oft nicht dazu kommen.»

Die wohl wichtigste Dienstleistung von Eclipse ist das Bereitstellen eines Safe Spaces, einer sicheren Umgebung im Herzen von Thessaloniki, wo sich LGBTIQ-­Flüchtlinge treffen, austauschen oder auch nur erholen können, und sei dies nur für wenige Stunden. Wenn immer möglich stellt Eclipse Lebensmittel bereit oder organisiert Partys in gemütlicher Runde. Die genaue Adresse ist geheim, Fotos innerhalb des Safe Spaces sind zum Schutz der Geflüchteten untersagt. Bevor ein weiterer Flüchtling die Gruppe besuchen kann, möchte Alex oder jemand anderes aus dem Team ihn zuerst im Rahmen eines persönlichen Treffens kennen lernen.


«Gegenwärtig können wir die Unterkunft für fünf Flüchtlinge bezahlen, in den Camps warten aber viele mehr.»

Die grösste Herausforderung für Eclipse ist das Fundraising. Als unabhängige Supportgruppe ist sie keiner NGO angeschlossen, offizielles Geld von Griechenland oder der Schweiz erhält sie nicht. «Uns fehlen die Mittel, um Wohnungen für weitere Flüchtlinge bereitzustellen», sagt Alex. «Gegenwärtig können wir die Unterkunft für fünf Flüchtlinge bezahlen, in den Camps warten aber viele mehr.»

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Aus Deutschland und der Schweiz erhielt Eclipse bereits eine finanzielle Unterstützung von Queeramnesty oder von LGBTIQ-Partys, die ihre Einnahmen spendeten. «Ihnen sind wir sehr dankbar», sagt Alex. Dabei sei die Lage in der Schweiz für LGBTIQ-Flüchtlinge nicht viel besser. «Auch dort sind sie in Asylunterkünften oft der Gewalt und der Diskriminierung durch ihre Landsleute ausgesetzt. Deutschland hat das Problem erkannt und für LGBTIQ-Menschen separate Unterkünfte bereitgestellt, zumindest in den grösseren Städten.»

Alex selbst investiert ihr ganzes Geld in Eclipse. Den Winter verbrachte sie während mehreren Monaten zuhause in der Schweiz und arbeitete als Skilehrerin. «Wenn man zuhause bei den Eltern wohnt, reicht ein Schweizer Gehalt, um mehrere Monate in Griechenland zu leben», sagt Alex.

«Das hat nichts mit Heldentum zu tun», sagt Alex. «Es ist nicht so, dass wir das hier ums Verrecken machen wollen. Aber solange sich hier niemand um diese Menschen kümmert, tun wir es.»

Freund*innen in der Schweiz bewundern das Engagement von Alex und den anderen aus Westeuropa, die sich in Griechenland für LGBTIQ-Flüchtlinge einsetzen. «Das hat nichts mit Heldentum zu tun», sagt Alex. «Es ist nicht so, dass wir das hier ums Verrecken machen wollen. Aber solange sich hier niemand um diese Menschen kümmert, tun wir es.»

Viele NGOs und auch der UNHCR haben sich der Sicherheit von besonders verletzlichen Geflüchteten verschrieben. Ihnen stellt das UNHCR separate Unterkünfte zur Verfügung. Das Angebot kann die Nachfrage allerdings nicht decken und ist auch kein Garant für einen Safe Space für LGBTIQ-Personen. «Natürlich wäre es besser, wenn NGOs mit ihren finanziellen Mitteln unsere Arbeit täten», sagt Alex. «Gerade das UNHCR hat intensive Vorarbeit geleistet mit Analysen und Zielen für LGBTIQ-Flüchtlinge. In der Umsetzung sind sie aber noch nirgends, jedenfalls nicht hier.»

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Die fünf in der Mannschaft porträtierten Menschen stammen aus verschiedenen Ländern und erzählen alle eine unterschiedliche Fluchtgeschichte. Nebst einer waghalsigen Überfahrt über das Mittelmeer haben sie eines gemeinsam: Ihr Anderssein, das von ihrem Umfeld mit viel Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt unterdrückt wurde. Der Hass ist so gross, dass er die Geflüchteten oft auch im Ausland einholt, wie zum Beispiel den Iraker Ahmed, der in Istanbul von seinen Nachbarn mit dem Tod bedroht wurde.

Aus Gründen des Selbstschutzes haben die Flüchtlinge für ihren Auftritt in dieser Reportage ein Pseudo­nym gewählt oder sich nur von hinten fotografieren lassen. «Auch wenn diese Bilder und Geschichten nur im deutschsprachigen Raum erscheinen ist es besser, auf der sicheren Seite zu sein», sagt Alex Aronsky, die die Supportgruppe Eclipse mit drei anderen Personen vorantreibt. «Man weiss nie, wer sie plötzlich zu Gesicht bekommen kann.»

«Ihre persönliche Geschichte kenne ich oft nicht und ich frage sie auch nicht danach»

Fast alle LGBTIQ-Geflüchtete haben Schreckliches durchgemacht und dabei viel psychische und physische Gewalt erlebt. «Ihre persönliche Geschichte kenne ich oft nicht und ich frage sie auch nicht danach», sagt Alex. «Im Laufe ihrer Flucht müssen sie ihre Geschichte vielen fremden Menschen anvertrauen, das ist nicht immer einfach. Wenn sie mir etwas erzählen wollen, dann dürfen sie das selbstverständlich.»

Das Distanzieren ist Alex nicht immer einfach gefallen. Als sie vor zwei Jahren zum ersten Mal als Freiwillige in ein Flüchtlingscamp reiste, konnte sie es nicht. «Es gibt viele Freiwillige, die ein Burn-out erleiden oder an einen Punkt kommen, an dem sie nichts mehr an sich ranlassen», sagt sie. Diesen Punkt habe sie letztes Jahr erreicht. «Kaum hat das Handy geklingelt, bin ich gerannt. Egal, ob es mitten in der Nacht war.» Mittlerweile habe sie erkannt, dass sie zwei freie Tage in der Woche brauche und nicht immer überall dabei sein könne. «Wenn es nicht gerade buchstäblich um Leben oder Tod geht, kann es bis Montag warten.»

Wenn in den Medien von LGBTIQ-Geflüchteten die Rede ist, kommen meistens schwule Männer oder trans Frauen zur Sprache. Das soll nicht heissen, dass es keine lesbischen Flüchtlinge gibt. Im Gegenteil: Eclipse betreut zwei lesbische Frauen, eine von ihnen leitet die wöchentliche Aerobic-Stunde im Safe Space.

«Egal, ob lesbisch oder heterosexuell: Jede Frau, die alleine reist, setzt sich grösseren Gefahren aus als ein Mann.»

Es sei aber schon so, dass lesbische Frauen weniger auf der Flucht sind als schwule Männer. «Das hängt aber damit zusammen, dass Lesben in den Herkunftsländern allgemein weniger sichtbar sind», sagt Alex. In muslimischen Ländern würden Frauen nicht als sexuelle Wesen wahrgenommen werden, selbst Frauen würden sich nicht als solche sehen. «Man kommt gar nicht darauf, dass man überhaupt auf Frauen stehen könnte. Diese Verkettung führt dazu, dass viel weniger Frauen sich als lesbisch outen oder von ihrem Umfeld als homosexuell ausgegrenzt werden könnten.» Ein weiterer Punkt sei die Tatsache, dass es für eine Frau in einem muslimischen Land viel schwieriger ist, alleine das Land zu verlassen. «Egal, ob lesbisch oder heterosexuell: Jede Frau, die alleine reist, setzt sich grösseren Gefahren aus als ein Mann.»

Das Team hinter Eclipse hat die Supportgruppe gegründet, um eine Lücke zu füllen in der oft löchrigen Umsetzung der Flüchtlingspolitik innerhalb der griechischen Auffanglager. LGBTIQ-Geflüchtete fallen bei den Asylbehörden oft durchs Raster, sei es bei der Einstufung als besonders verletzliche Gruppe, sei es beim fehlenden Verständnis der homo- und transphoben Gewaltmechanismen innerhalb der Flüchtlingsgruppen. So komme es beispielsweise immer wieder vor, dass LGBTIQ-­Personen aus Angst vor Ausgrenzung durch andere Geflüchtete dem Englisch- und Griechisch-­Unterricht fernbleiben. «Aus diesem Grund haben wir angefangen, ihnen im Rahmen von Eclipse Englisch und Griechisch beizubringen», sagt Marc Baumgartner, der ein zweites Mal für mehrere Monate in Griechenland ist, um sich ehrenamtlich für Eclipse zu engagieren. «Wir tun das nicht, weil wir das Gefühl haben, wir könnten es besser als die NGOs, die vor Ort sind.»

Dasselbe gilt für die Vermittlung von diskriminierungsfreien Unterkünften, juristischem Beistand und ärztlicher Versorgung. Gerade bei Rechts- und Gesundheitsfragen zu LGBTIQ-Themen hätten Flüchtlinge oft Angst, sich im Beisein ihrer cis-heterosexuellen Landsleute zu äussern. Ausser Eclipse tut dies keine Gruppierung in Griechenland.

«Die Organisationen vor Ort haben nur wenig Kenntnis von LGBTIQ-Themen im Kontext der Flüchtlingskrise. Ich wäre sehr glücklich, wenn eine institutionalisierte Organisation mit Geld im Rücken sich ihrer annehmen würde», sagt Marc. Eclipse definiere sich vor allem über den Safe Space und die Möglichkeit, eine Community aufzubauen. «Egal, wie sich die Flüchtlingssituation weiterentwickelt, dieser Safe Space bleibt bestehen.»


Redaktor Greg Zwygart hat Eclipse in Thessaloniki besucht und sich von der Supportgruppe überzeugen können. Im Sommer sammelte die Mannschaft Geld, um Eclipse bei der Arbeit zu unterstützen. Über 7000 Euro kamen zusammen.

Mehr Porträts liest du hier: mannschaft.com/eclipse


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