«Wie bekomme ich Lust?» – Wenn die Libido leidet
Ein Paar- und Sexualberater aus Zug gibt Rat
An der Bettkante kann die Lust abspringen, der Selbstwert bluten, der Alltag die Begierde wegstossen, der Kopf sich vom Körper scheiden. Was tun, wenn der Sex zu Leistungsdruck wird? Der Sexualtherapeut David Siegenthaler berät elf fiktive Leidende.
Bea: «Unser Sex ist monoton.» Meine Freundin und ich sind seit acht Jahren zusammen. Wir lieben uns und finden, dass wir eine gute Beziehung haben. Leider ist unser Sexleben monoton und für uns beide nicht mehr so befriedigend. Zwar kommen wir jedes Mal gemeinsam, was an sich toll ist, aber der Weg dorthin ist immer der gleiche: Wir küssen und stimulieren uns an den gleichen Stellen, folgen dem immer gleichen Ablauf unseres bewährten Oralsex. Obwohl wir über unser Sexleben sprechen, haben wir noch keine Lösung gefunden.
Einschätzung von David: Bea und Anna empfehle ich die Streichelübung «Sensate Focus» (Anm. d. Red.: siehe Experteninterview unten) oder das ideale sexuelle Szenario nach dem deutschen Sexualtherapeuten Ulrich Klement, dessen Bücher alle empfehlenswert sind. Beide schreiben jeweils einen eigenen Brief über ein ideales sexuelles Szenario, das sie zusammen erleben möchten.
Eine Szene, wo sie sich befinden, wie es dort aussieht, schmeckt, welche Jahreszeit ist, wie es sich anfühlt, wie sie sich treffen, was sie einander sagen, was sie anhaben, wie es sich weiterentwickelt und zum Sex kommt, wie es endet, was sie danach machen.
Zum Schluss besprechen Bea und Anna, ob sie die Briefe austauschen und was sie von dem Gelesenen halten. Sexualität ist der Versuch, das Gegenüber für das eigene Projekt zu gewinnen. Man diskutiert es so lange, bis beide es gut finden und ausprobieren möchten. Was sich auch eignen kann: über Fantasien zu sprechen, erotische Filme oder Literatur einzubeziehen oder zum Beispiel einen Kurs in Tantra zu absolvieren.
Vadim: «Ich komme immer zu früh.» Beim Sex bin ich der Aktive und kann manchmal nicht so lange, wie ich gerne möchte. Oft komme ich früher, als ich mir das vorstelle. Mein Freund sagt mir, dass es nicht so schlimm sei, da er trotzdem auf seine Kosten komme. Ich denke oft schon davor, heute muss es klappen. Ich habe deshalb auch schon die passive Rolle eingenommen, aber eigentlich will ich das gar nicht. Das Ganze macht mir Druck und ich weiss nicht, wie ich damit umgehen soll.
Einschätzung von David: Ich bin Fan von guten sexuellen Erlebnissen und empfehle eher keinen statt schlechten Sex zu haben. Denn das Gegenüber merkt es, wenn einem etwas nicht gefällt und dann haben beide ein schlechtes Erlebnis.
Meine erste Empfehlung für Vadim ist, dass beide ein schönes Erlebnis bekommen. Und da sein Partner sagt, dass es für ihn stimmt, während Vadim meint, es passe nicht, er müsse mehr leisten, deutet das auf kein beziehungsdynamisches Problem hin, sondern auf ein individuelles von Vadim.
So könnte Vadim sich folgende Fragen stellen: Was haben die hohen Ansprüche mit mir zu tun? Woher kommt die Idee, dass ich denke, ich muss länger penetrieren können? Was verbinde ich damit? Fühle ich mich nicht männlich genug in dem Moment? Muss mein Penis etwas kompensieren, auf das zu kompensieren er keine Lust hat.
Chris: «Soll ich meine erotischen Vorlieben mitteilen?» Mein Mann und ich führen seit sechs Jahren eine schöne Beziehung. Wir haben auch guten Sex. Aber ich habe ihm nie gesagt, dass ich dominantes und unterwürfiges Verhalten erotisch finde. Aus Angst, er wäre schockiert oder würde mich gar verlassen. Macht es Sinn, den Partner über solche Vorlieben oder Fantasien zu informieren?
Einschätzung von David: Chris scheint nicht zu wissen, wie er seine erotischen Vorlieben mitteilen soll, und hat Angst, dass sein Partner deswegen schockiert ist oder ihn sogar verlässt. Doch dafür gibt es keine Sicherheit. Wenn ich mich so zeige, wie ich bin, besteht das Risiko, dass mein Gegenüber sagt, so nehme ich dich nicht. Brauche ich einen Partner, der mich akzeptiert, wie ich bin, oder will ich mich weiterhin verstecken und dafür mit dieser Person zusammenbleiben?
Welchen Preis bin ich bereit zu zahlen, um die Beziehung zu erhalten? Oder was bin ich bereit zu riskieren? Möchte ich einen Partner, der mich so sieht, wie ich bin? Es kann als Zeichen von Vertrauen gedeutet werden, wenn ich mich und meine Bedürfnisse zeige. Für die Beziehung kann es eine Chance für Entwicklung sein: Wir können uns mit den Bedürfnissen auseinandersetzen und uns fragen, was machen wir jetzt damit?
Stefan: «Ich finde meinen Körper nicht mehr attraktiv.» Seitdem ich die Fünfzigergrenze geknackt habe, fühle ich mich zunehmend unwohler in meinem Körper. Mein Gesicht hängt, mein Bauch schlabbert, meine Hoden schrumpeln. Und seit ich einen deutlich jüngeren Mann date, schäme ich mich für meinen Körper. Er sagt zwar, dass ihm der Altersunterschied egal sei, aber ich bekomme es nicht aus meinem Kopf, wenn er mich nackt sieht. Ich schäme mich und das hemmt mich beim Sex. Wie komme ich darüber hinweg?
Einschätzung von David: Stefan kommt ins Alter und scheint Mühe zu haben, seinen Körper zu akzeptieren. Wie kann er sich so akzeptieren, wie er ist? Ich rate ihm, seine Achtsamkeit für die eigenen Gefühle und den Körper zu trainieren. Unterstützende Themen sind Selbstfürsorge, Selbstbewusstsein und eine gesunde Lebensweise, aber auch eine neue Definition von Attraktivität.
Was macht mich jetzt attraktiv? Kann ich Körperteile finden, die trotzdem schön sein dürfen? Es geht auch nicht nur um den Körper. In einem Experiment haben wir Paare gefragt, welches das wahre Bild der Partnerin oder des Partners ist. Wir hatten acht Fotos, bei einigen haben wir sie hässlicher gemacht, bei anderen schöner. Zufriedene Paare wählten das attraktivere Bild, während unzufriedene das hässlichere wählten.
Also hat die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen und welchen Charakter wir haben, eine starke Wirkung auf die Attraktivität und Anziehung. Wenn ich meine Paare frage, was sie am anderen scharf oder attraktiv finden, nennen sie oft die Augen oder das Lächeln.
Kim: «Wie bekomme ich Lust?» Meine Freundin und ich sind schon seit zehn Jahren ein Paar. Wir haben eine innige Beziehung. Auch als ich mich als trans outete, sind wir zusammengeblieben. Doch seit ich Hormone nehme, spüre ich weniger Lust und habe Angst davor, dass meine Freundin denkt, dass ich sie nicht mehr begehre.
Einschätzung von David: Wie kann ich daran arbeiten, dass ich mich akzeptiere, wie ich bin? Für diese Antwort muss ich zuerst erkennen, wie ich bin. Wie bin ich denn jetzt, wenn ich mich so verändert habe? Woran merke ich, dass ich mich jetzt wirklich als Mann oder Frau fühle? Wie definiere ich das? Woran merke ich das? An meinem Aussehen? In meinem Verhalten, in der Art, wie ich mich anziehe, wie ich mich gebe?
Und dann besteht die Angst darin, dass mich die Freundin, wenn ich wieder Lust habe, nicht mehr so will. Ist das wirklich so? Wäre es schlimm, weniger Sex zu haben? Dem Paar empfehle ich, folgende Frage zu diskutieren: Woran merkst du, dass du sexuell grundsätzlich zufrieden bist? Zuerst sollten sie schauen, was vorhanden ist. Oft interpretieren wir zu schnell und denken, es sei dies oder das, ohne es zu überprüfen und die Realität zu berücksichtigen.
Eine Geschlechtsanpassung ist eine grosse Veränderung, und alle Übergänge im Leben erfordern eine hohe Anpassungsleistung. Das kann anstrengend sein, aber Flexibilität ist die Superkraft der Menschen.
Nathalie: «Ich finde mich hässlich – was kann ich tun?» Fett hier, Fett dort, Falten im Gesicht, Pickel auf dem Rücken – ich finde mich hässlich. Meine Freundin, mit der ich seit acht Jahren zusammen bin, sagt mir zwar immer wieder, dass sie mich schön finde. Ich kann das gar nicht richtig glauben. Immer wenn ich mich betrachte, sehe ich bloss Dinge, die ich nicht mag. Und beim Sex schaffe ich es nicht, diese Gedanken abzuschalten. Was kann ich tun?
Einschätzung von David: Bei Nathalie scheint sich das Thema um die Kraft der persönlichen Definition gegenüber äusseren Meinungen zu drehen. Natalie könnte von Tausenden als attraktiv angesehen werden, aber solange sie nicht selbst daran glaubt, bleibt es oberflächlich. Selbstakzeptanz ist entscheidend, denn sie ist stärker als die Fremdwahrnehmung.
Der Glaube an sich selbst ist essenziell. Wenn man sich selbst nicht akzeptiert, können auch Lob und Bestätigung von aussen nicht überzeugen. Es geht darum, ein starkes Selbstbild zu entwickeln und zu verinnerlichen, sich selbst liebevoll zu behandeln und frühere Ablehnung zu überwinden.
Eine nützliche Technik ist der bewusste Gedankenstopp beim Sex, um sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren und sich neu auszurichten. Wenn Nathalie merkt, dass sie abdriftet und über ihr Aussehen nachdenkt, dass sie einen Switch in den Körper macht. Wie fühlt es sich jetzt an? Was nehme ich wahr? Was sehe ich? Tiefes, ruhiges Atmen beruhigt das vegetative Nervensystem. Das ist wichtig für die Sexualität. Nur wenn man sich sicher fühlt, kann man guten Sex haben.
Eva & Therese: «Wir wollen keinen Sex.» Wir sind seit bald 30 Jahren zusammen, verstehen uns gut und unternehmen viel miteinander. Sexuell läuft aber praktisch nichts mehr, was mich nicht gross stört, und wie es mir scheint, auch meine Freundin nicht. Kann es der Beziehung schaden, wenn man keinen Sex hat?
Einschätzung von David: Eva und Therese wollen keinen Sex. Bei ihnen geht es um das Sichtbarmachen. Was wollen sie beide? Ist kein Sex ein Problem? Falls sie sich damit wohlfühlen, dann leiden sie nicht und es passt. Dann können sie damit leben. Oder wollen sie eine andere Form wählen ohne Penetration? Streicheln, küssen, masturbieren, umarmen, Händchen halten. Wenn beide sagen, dass es für sie stimmt, wenn es keinen Sex mehr gibt, und sie es im Alltag schön haben, dann reicht das.
In der Psychologie gibt es eine Faustregel, die besagt: Wenn kein Leidensdruck entsteht, bei mir und beim Gegenüber, dann ist es in Ordnung. Die Auseinandersetzung als Paar mit dem Thema, ob Zärtlichkeit und Sexualität benötigt wird, und wenn ja, wie, ist ein Prozess, welcher der Beziehung Orientierung geben kann über die unterschiedlichen Bedürfnisse.
Milo: «Ich komme nicht.» Mein Sexpartner hat mir fast eine Stunde einen geblasen, aber ich bin nicht gekommen. Dazu muss ich sagen, dass ich keine Probleme habe, wenn ich beim Masturbieren Pornos schaue. Liegt das an übermässigem Pornokonsum?
Einschätzung von David: Nicht alle Männer kommen beim Oralsex. Dafür kann es viele Gründe geben. Masturbiere ich sehr intensiv? Ist die Reibung sehr fest? Ein Mund kann nicht die gleiche Intensität wie eine Hand erreichen. Kann ich mich ohne Porno befriedigen? Geht es, dass mein Partner mich mit der Hand befriedigt? Sexualität ist auch Übungssache.
Milo empfehle ich den Partner anzuleiten, also dessen Hand zu führen und ihm zu zeigen, wie er gern berührt werden möchte – mit welchem Druck, welcher Geschwindigkeit und in welcher Position, wo am Penis. Es braucht Geduld und Zeit, um einander ausgiebig kennenzulernen, aber wenn man sich erst einmal eingespielt hat, kann es sich befriedigend anfühlen und es flutscht wie geschmiert.
Anton: «Bisexuell und unbefriedigt.» Ich bin bisexuell und date seit mehr als 20 Jahren über schwule Datingportale, jedoch ohne befriedigenden Sex zu haben. Beim Chatten habe ich immer grosse Lust, die aber bei einem Treffen weg ist. Mit Frauen geniesse ich den Sex, doch mit Männern noch nicht. Wie finde ich einen Weg zu einer erfüllenden Sexualität mit beiden Geschlechtern?
Einschätzung von David: Wichtig ist zu wissen, dass sexuelle Fantasie und Realität nicht deckungsgleich sind. Was wir uns in der Fantasie vorstellen, kann in der Realität schlecht sein. Es gibt das klassische Beispiel, dass sich eine Person vorstellt, wie sie sexuell vergewaltigt wird. In unserer Fantasie sind wir Drahtziehende, in der Realität hingegen nicht.
Was stellt sich Anton vor, was er und die Männer zusammen machen? Was ist der Unterschied zur Realität? Was macht er mit den Frauen anders und braucht er das von den Männern auch? Oder ist es die Fantasie, die ihm gefällt mit den Männern? Oder das Flirten? Oder das Gefühl, dass die Männer ihn wollen? Kann er einen Teil von dem, was er mit den Frauen macht, auch mit den Männern machen – natürlich innerhalb der gesetzten physischen Grenzen.
Oli: «Mein Schwanz bleibt schlaff.» Ich habe Mühe, beim Sex eine Erektion zu halten, schaffe es gar nicht zum Orgasmus zu kommen oder ich brauche ewig, um abzuspritzen. Selbst wenn ich Hand anlege, kommt es vor, dass der Penis ohne Orgasmus einfach nur schlaff wird. Beim Onanieren ist der Penis jedoch immer steinhart. Was läuft da falsch?
Einschätzung von David: Es gibt Männer und Frauen, die sich so fest darauf fokussieren, dass es funktionieren muss oder sie kommen müssen, und dadurch verlieren sie den Genussmodus. Der Weg ist das Ziel. Wie geht es, ohne den Druck etwas leisten zu müssen? Denn wenn wir Angst haben, geraten unsere Muskeln in den Abwehrmodus, sprich, sie spannen sich an, inklusive der Muskeln unseres Beckenbodens und jenen um den Penis, wodurch kein Blut in den Penis fliessen kann. Somit ist eine Erektion quasi nicht möglich.
Timo: «Ohne Poppers kann ich nicht mehr.» Sex ohne Poppers kann ich mir nicht mehr vorstellen. Seit ich es vor ein paar Jahren das erste Mal genommen habe, komme ich nicht mehr davon weg. Für mich als Passiver ist es einfach entspannter und geiler mit als ohne. Aber langsam sorge ich mich auch um meine Gesundheit beziehungsweise habe ich keine Lust darauf, von dem Zeug abhängig zu sein.
Einschätzung von David: Timo darf sich Zeit geben, um seinen Schliessmuskel kennenzulernen. Und da empfehle ich viel Geduld, da es sich eher um Monate statt ein paar Wochen handeln kann. Sobald er weiss, wie er funktioniert, kann er lernen, ihn zu entspannen. Eine Atemübung für den Bauch kann dabei helfen. Wenn wir tief in den Bauch atmen, signalisieren wir unserem Körper Sicherheit und können dementsprechend entspannen. Timo kann seinen Schliessmuskel mit den Händen und Fingern langsam kennenlernen und sich wirklich Zeit nehmen. Das kann auch mit Toys funktionieren, z. B. mit Plugs.
Aber das Positive an Poppers ist, dass es schnell geht. Es ist wie Fastfood. Allerdings ist es nicht so genussvoll wie ein Fünf-Gang-Menü, für das man sich Zeit nimmt, um es zu geniessen. Es hilft auch, einen Partner auszuwählen, der empathisch ist und sich Zeit nimmt. Das Kennenlernen kann man zu zweit machen, mit Fingern, Zunge, Penis.
David Siegenthaler
…ist Sexualtherapeut, Paarberater und Mediator. Er arbeitet für den Kanton Zürich und betreibt eine eigene Praxis in Zug, in der er unter anderem auf LGBTIQ-Themen spezialisiert ist. Mehr Infos: sexual-und-paarberatung.ch
«Das Vorspiel fängt nach dem Sex an»
David, mit welchen Problemen kommen die Menschen zu dir? Mit Sexual- und Beziehungsproblemen. Aus diesen Hauptthemen leiten sich andere ab wie individuelle Ängste und unerfüllte Wünsche, Selbstwertthemen, Coming-out.
Wie viel der Patient*innen leiden unter Leistungsdruck beim Sex? Zu mir kommen 75 Prozent, bei denen die Sexualität ein Problem ist und die als Paar unter Druck stehen. Gary Chapman hat die fünf Sprachen der Liebe definiert, mit denen wir unsere Liebe zeigen. Eine davon ist Sexualität und Zärtlichkeit. Wenn ein Paar durch sie Nähe und Verbundenheit herstellt und diese dann nicht mehr vorhanden sind, kann das Druck erzeugen.
Welches ist das häufigste Leiden? Die Lustlosigkeit und eng damit verbunden Erektionsprobleme, gefolgt von Schwierigkeiten mit dem Orgasmus, zu früh oder gar nicht kommen, sowie Denkmuster wie «Ich bin nicht attraktiv genug.» oder «Ich kann nicht genug bieten.»
Können Menschen diese überwinden und wie? Die Lösungswege sind sehr unterschiedlich. Ein grosses Thema in der Sexualität ist das Tempo; die Beziehungsdynamik beeinflusst den Sex stark. Es gibt einen Spruch in der Sexualtherapie: Das Vorspiel für den Sex fängt nach dem Sex an. Also alles, wie wir zusammenleben, miteinander umgehen, hat einen Einfluss darauf, wie wir Sexualität erleben. Darüber hinaus spielen das Körpergefühl, Selbstwertgefühl, die Akzeptanz von sich selbst und die Kommunikation eine grosse Rolle.
Welche Übung gibst du Paaren mit nach Hause? Ein klassisches Beispiel ist das «Sensate Focus» nach Masters und Johnson. Dabei geht es darum, den Druck aus der Sexualität zu nehmen, sich bewusst Zeit füreinander zu nehmen und offen über die eigenen Empfindungen zu sprechen. Eine Person legt sich hin und lässt sich berühren, die andere Person berührt und streichelt. Von den Zehen bis zur Kopfhaut wird alles einbezogen ausser die erogenen Zonen und Geschlechtsorgane.
Wie fühlt es sich an, wenn ich langsam oder schnell, mit viel Druck oder weniger berühre? Nach 10 bis 15 Minuten wechselt man die Rollen und spricht danach darüber, wie man es empfunden hat. Dabei gibt es drei verschiedene Varianten der Berührung. Die eine Variante ist, dass man überlegt, wie das Gegenüber berührt werden möchte. Die andere legt den Fokus auf das eigene Bedürfnis, also wie man das Gegenüber berühren möchte. Die dritte Variante ist dynamisch wie bei einer Katze, die bei Berührung mitgeht und durch ihre Bewegung zeigt, ob sie es mag oder nicht.
Was sind Knacknüsse in einer Paarberatung? Die grösste Knacknuss am Anfang ist, sich wohl fühlen zu können, um über Intimes zu reden. Herausfordernd sind auch Konflikte mit verhärteten Fronten nach dem Motto: Du bist schuld. Wenn du wieder Lust hättest, hätten wir ein gutes Leben.
Sobald die sogenannten apokalyptischen Reiter auftauchen, wird es schwierig: das Gegenüber beschuldigt, mauert, hört nicht mehr zu, schätzt nicht mehr und ist nicht bereit zur Reflektion. Ein weiteres Thema ist, wenn die Liebe oder die Lust verflogen ist, dass es sich wie Bruder oder Schwester anfühlt.
Kann man das Geschwisterwerden aufhalten? Ja, oft ist dabei der grösste Feind der Alltag, wenn beide anfangen, die Energie in andere Themen ausserhalb der Beziehung zu investieren, in Beruf, Hobby, Freund*innen, Familie. Es ist ein Langzeitbeziehungsthema, dass man aktiv sein muss, sich immer wieder miteinander auseinandersetzt, Energie in Zärtlichkeit, Sexualität und Gespräche investiert, einander sagt, was man schätzt, oder auch mit kleinen Geschenken und Gesten, die von Herzen kommen. Liebe ist wie ein Pflänzchen, wenn du aufhörst es zu giessen, welkt es dahin. Dafür braucht es kein grosses Drama mit Lug und Betrug. Der Alltag reicht aus.
Zu dir kommen hetero und queere Paare. Wie unterscheiden sich ihre Anliegen? Es gibt viele gemeinsame Themen wie den sexuellen Druck. Bei Queers kommen Aspekte hinzu wie das Coming-out oder die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht oder der sexuellen Präferenz. Oftmals sind queere Paare reflektierter in ihrer Sexualität und offener für alternative Beziehungsmodelle, da sie weniger mit traditionellen Rollenklischees kämpfen.
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