«Was Queerness ist, entscheiden wir individuell für uns selbst»
MANNSCHAFT+-Interview zum Buch «Wo wir uns berühren»
Lauren John Joseph hat sich einen Namen als nicht-binäre*r Perfomance-Künstler*in, Autor*in und Journalist*in gemacht. Lauren John Joseph ist mit Solo-Theaterstücken auf der ganzen Welt aufgetreten, diverse Preise gewonnen. «Wo wir uns berühren» ist das Roman-Debüt.
Von Josia Jourdan
Im zehnten Stock eines schicken Berliner Hotels sitze ich an der Bar und warte. Lauren John Joseph ist in der Hauptstadt, um den vor kurzem auf Deutsch erschienenen Debütroman «Wo wir uns berühren» vorzustellen. Schick gekleidet, frisch frisiert und mit viel Klasse betritt Lauren John Joseph den Raum und ich habe das Gefühl, die Hauptfigur des Romans plötzlich vor mir stehen zu haben. Wir begrüssen uns mit einer Umarmung, bestellen Drinks. Eine Cola für mich, ein Negroni für Lauren.
Wir folgen in «Wo wir uns berühren» JJ, die vom Schreiben leben möchte, sich in der queeren Subkultur bewegt und eine toxische, sehr sexuelle Beziehung mit einem Mann beginnt. Das Buch wird als Autofiktion beworben. Wie hast du entschieden, was auf deinem Leben basiert und was fiktional sein wird? Es ist immer Fiktion, denn selbst, wenn ich versucht hätte, eine ganz reale Geschichte zu erzählen, wäre es nur meine Perspektive, ich hätte Details ausgelassen und Entscheidungen treffen müssen, wie ich die Geschichte erzähle. In diesem Buch versuche ich das aber nicht. Es ist vor allem autofiktional, dadurch dass das Schreiben dieses Buch im Text selbst behandelt wird, aber auch dass es Teils auf realen Erlebnissen basiert. So habe ich wirklich einen geliebten Menschen verloren, was die Hauptmotivation zum Schreiben dieses Buches war.
Wie sehr hat dich das Schreiben den Schmerz nochmals durchleben lassen? Hast du beim Schreiben viel geweint? Ich habe fast durchgehend geweint. Beim Schreiben, Überarbeiten, erneut durchlesen und bei der finalen Abgabe an den Verlag sind die Tränen geflossen. Gleichzeitig kam danach ein wunderschönes Gefühl von Erleichterung. Der Schmerz ist verschwunden und es hat sich angefühlt, wie aus einem schlechten Traum aufzuwachen.
Du beschreibst im Text, dass du wusstest, du musst dieses Buch schreiben, weil dich die Idee sonst nicht loslassen würde. Wie sah dieser Prozess aus? Ich habe das Buch in knapp 3 Monaten geschrieben. Ich bin jeweils einen Monat an 3 unterschiedliche Orte gereist, um zu schreiben. Ich war teilweise wie besessen und habe gar nicht mehr aufgehört zu schreiben. Da war etwas in mir, was mich angetrieben und nicht mehr losgelassen hat, bis das letzte Wort geschrieben war.
Die Suche nach der eigenen Identität beschreibt die Protagonistin als Weg mit einzelnen Schritten von bisexuell, zu schwul, zu queer bis hin zum Coming-out als trans Frau. Warum braucht es diese kleinen Schritte? Ich habe auch lange gebraucht, rauszufinden, wie ich mich lable und wer ich bin. Für manche ist es eine Reise, andere finden früh ein Wort, dass für sie passt und wieder andere beschliessen, sich gar nicht zu benennen. Ich glaube, was Queerness oder trans sein ist und sein kann, entscheiden wir alle individuell für uns selbst und ist nicht in Stein gemeisselt.
Auch wenn die Geschlechtsidentität und Sexualität der Hauptfigur keine zentrale Rolle spielt, so konfrontierst du deine Leser*innen, damit, dass eine trans Frau ihren Partner beim Sex penetriert. Wie fühlt es sich an, so offen über das eigene Sexleben zu schreiben? Ich habe nie ein Buch über eine trans feminine Person, die sexuell als Top unterwegs ist, gelesen und wollte das zu Papier bringen. Zudem ist es ein essenzieller Grund, weshalb sie die Beziehung mit Thomas James überhaupt weiterführt. Die beiden streiten viel, sind sich oft uneinig und trotzdem ist da eben eine sehr intensive, besondere sexuelle Verbindung, die sie beide auch immer wieder zusammenbringt.
In einer Szene erzählt die Hauptfigur, wie es für sie war, das erste Mal eine Schwulenbar zu betreten. Du beschreibst es als Eintritt in eine Parallelwelt, in der andere Regeln gelten. Wie siehst du das heute und trifft man dich in solchen Etablissements immer noch an? Nicht mehr so oft. Ich lebe in London und Gay Bars in London zählen nicht gerade zu meinen Liebsten. Aber ich habe viele grossartige Erinnerungen an Partys und Bars auf der ganzen Welt verteilt und ganz besonders hier in Berlin war und bin ich immer wieder gerne unterwegs. Gerade im Silver Future habe ich viele Freunde gefunden.
Was würdest du jungen queeren Menschen gerne sagen? Es kommt wirklich drauf an, in welcher Situation sich junge Queers befinden. Sollte das Umfeld nicht akzeptierend sein, empfehle ich eine gute Ausbildung zu machen. Plant euch eine schönere Zukunft, solange die Gegenwart noch bedrückend ist und geht, sobald es sicher genug dafür ist. Ansonsten glaube ich, es ist wichtig, dass wir uns vernetzen, queere Freunde finden und als Community zusammenhalten.
Neben der komplizierten Dreiecksbeziehung mit zwei jungen Männern, spielen auch Freundschaft und vor allem die selbstgewählte Familie eine zentrale Rolle im Text. Worin liegt für dich die Schönheit einer Chosen Family? Ich glaube, die Familie wählt dich. Es ist wie Magie, du weisst schliesslich nicht, dass aus der Begegnung an einer Party eine Beziehung entsteht, die so essenziell für dein Leben wird. Menschen, mit denen du nicht nur wächst und gemeinsamen Schmerz aufarbeitest, sondern vor allem auch so viele starke Erinnerungen schaffst. Du hilfst bei den schlimmsten Fehlern aus, vertraust dich einander an deinen schwächsten Punkten an und dadurch entsteht eine Verbundenheit, die sich nicht erklären lässt.
Die Hauptfigur ist oft verloren, lässt sich von anderen leiten und obwohl sie davon träumt, irgendwann ein Buch zu veröffentlichen, tanzt sie stattdessen in Stripclubs, performt in schäbigen Theatern und lässt sich auf jeder Promiparty blicken, in der Hoffnung Kontakte zu knüpfen. Wie war dein Weg zum Schreiben? Ich schreibe seit ich acht bin und nachdem ich mit der Universität fertig war, habe ich für diverse Magazine und Zeitungen geschrieben und auch wenn ich immer ein Buch schreiben wollte, hat es aufgrund der sehr konservativen Strukturen in der Buchbranche lange nicht geklappt. Also habe ich ganz viel anderes geschrieben. Theaterstücke, Monologe, Artikel – eigentlich alles, was mir sinnvoll vorkam, um mir einen Namen zu machen. Bis ich meine Agentin auf einer Veranstaltung kennengelernt habe und es geklappt hat.
Zum Buch «Wo wir uns berühren»
Mexico City an einem 29. Februar. Es ist der Geburtstag von Thomas, JJs Liebhaber, der nach Ende der turbulenten Beziehung verunglückt ist. Getrieben von dem Wunsch, den Tanz von Anziehung und Abstossung, der die beiden jahrelang verbunden hat, endlich zu verstehen und die Trauer zu verarbeiten, taucht JJ in Erinnerungen ein, schreibt fieberhaft und sucht den Toten als Gegenüber wiederauferstehen zu lassen.
London, zehn Jahre zuvor. Im Sommer nach dem Universitätsabschluss muss JJ sich klar werden, wohin die weitere Reise gehen soll – sowohl, was die berufliche Zukunft, als auch die eigene geschlechtliche Identität angeht. In der queeren Subkultur trifft JJ auf Thomas James, einem arroganten aufstrebenden Fotografen. Es folgt eine Affäre, gleichermassen leidenschaftlich wie toxisch, die in einer Tragödie endet.
Drags und Queers für historische Serie gesucht. Die Dreharbeiten sollen im April in Köln stattfinden (MANNSCHAFT berichtete).
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