Studie: Sexuelle Fluidität bei Menschen über 65 besonders hoch
In einem Langzeitprojekt wurden 23‘000 Menschen in Grossbritannien untersucht
Eine Studie der Universität von Lancaster in Grossbritannien und der Universität von Alberta in Kanada hat 23‘000 Menschen innerhalb von sechs Jahren zweimal nach ihrer sexuellen Orientierung befragt. Dabei ergaben sich besonders für Frauen über 65 neue Erkenntnisse.
Professor Yang Hu von der Universität in Lancaster erklärt: «Wir haben diese Untersuchungen durchgeführt, weil wir zwar wussten, dass die sexuelle Identität fluide ist, aber nicht, wie fluide sie genau ist. Ausserdem wollten wir herausfinden, wie unterschiedlich eine entsprechende Fluidität in verschiedenen Altersgruppen ist.»
Die Ergebnisse wurden im Juni im Magazin Demography veröffentlicht unter der Überschrift «Sexual Orientation Identity Mobility in the United Kingdom: A Research Note». Zu den zentralen Erkenntnissen der Untersuchung zählt: 6,6 Prozent aller Personen wechselten ihre sexuelle Identität innerhalb des sechsjährigen Untersuchungszeitraums, das entspricht einem*einer Person von 15.
Die Gruppe mit der grössten Mobilität in diesem Kontext sind Menschen zwischen 16 und 24 Jahren (7,9 Prozent) sowie Erwachsene, die 65 Jahre und älter sind (7,4 Prozent). Bei allen anderen Altersgruppen – 25 bis 64 – lag die Zahl zwischen 5 und 6,2 Prozent.
«Nicht nur auf Teenager konzentrieren» Dr. Nicole Denier von der Universität in Alberta hebt hervor, dass diese Ergebnisse bisherige Annahmen in Frage stellten, wonach sexuelle Fluidität vor allem etwas sei, das bei jüngeren Menschen zu beobachten sei. Die britische Zeitung The Guardian zitiert Denier, dass die Annahme, sexuelle Fluidität würde nur bei jüngeren Altersgruppen vorkommen, dazu geführt habe, dass viele Untersuchungen sich auf Teenager konzentrierten – als kritisches Alter für die Entwicklung der sexuellen Identität: «Aber die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass der Wandel sexueller Identität ein genauso wichtiges Untersuchungsthema bei Älteren ist und über alle Lebensphasen hinweg.»
Die Kategorie, wo sich die grösste Mobilität zeigte, war die der selbstidentifizierten Bisexuellen (MANNSCHAFT berichtete).
Im Vergleich dazu wurde die niedrigste Mobilität bezogen auf sexuelle Identität bei jenen beobachtet, die sich als heterosexuell beschrieben. Bei ihnen änderten demnach nur 3,3 Prozent ihre sexuelle Identität innerhalb der sechs Jahre des Untersuchungszeitraums: 0,2 Prozent von ihnen beschrieben sich bei der zweiten Umfrage als «schwul/lesbisch», 0,8 Prozent als «bisexuell», 0,6 als «andere Identität» und 1,7 Prozent wollten keine Angabe machen.
Bildungsgrad und Minoritätenstress Die Studie ergab zudem, dass es bei nicht-weissen Menschen und solchen mit niedrigerem Bildungsgrad wahrscheinlicher sei, dass sie einen Wandel bei ihrer sexuelle Identität angaben. Die Zahlen bei nicht-weissen Studienteilnehmer*innen waren besonders hoch: 15,5 Prozent aus sogenannten ethnischen Randgruppen zeigten Formen von Mobilität in Bezug auf ihre sexuelle Identität. Das ist eine dreimal höhere Zahl als bei weissen Teilnehmer*innen (5 Prozent).
Bei Männern sei ein solcher Wandel 10 Prozent weniger wahrscheinlich als bei Frauen, heisst es. Dr. Denier sagt dazu: «Frühere Theorien legten die Vermutung nahe, dass rigide Gesellschaftsnormen in Bezug auf ‹Männlichkeit› bedeuten, Männer könnten weniger flexibel und fluid sein, wenn es darum geht, ihre sexuelle Identität auszudrücken.»
Was ethnische Randgruppen angeht und solche mit niedrigerem Bildungsgrad, so sagte Denier, diese Gruppen seien «verschiedenen Formen von sozialem Druck und Minoritätenstress stärker ausgesetzt», was Einfluss auf ihre Angaben zu ihrer sexuellen Identität habe.
«Es handelt sich nicht um einen Trend» Im Interview mit dem Guardian begrüsste der Forscher Ibtisam Ahmed von der LGBT Foundation in Grossbritannien die Untersuchung. Er sagt: «Wir hoffen, dass die Ergebnisse der Studie mehrere gesellschaftliche Grundannahmen in Frage stellen – und daran erinnern, dass jeder mehr als einmal ein Coming-out erleben kann, dass so etwas weitverbreitet ist und dass es akzeptiert werden sollte als Teil der individuellen Lebensentwicklungen.»
Ahmed weiter: «Durch die Ergebnisse der Studie werden auch Annahmen in Frage gestellt, die besonders in Mainstreammedien und der Gesamtgesellschaft zurzeit vorherrschen, dass nämlich LGBTIQ-Personen eher jünger seien und dass es sich um einen ‹Trend› handle, der nur bei jungen Menschen zu beobachten ist. Die Studie macht klar, dass es Coming-outs in allen Phasen eines Lebens geben kann – und gibt!»
Die Baseball-Legende Maybelle «Mae» Blair wartet mit ihrem Coming-out bis sie 95 Jahre alt war (MANNSCHAFT berichtete).
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