«Shwule Grüsse vom Balkan» (35) – Spaghetti al Spionaggio
Mit einer Finte befreit sich Jascha aus den Fängen von De la Verga und trifft sich mit Gustavo, der ihm (nicht nur) pikante Insights verrät.
Jascha sitzt immer noch verwirrt auf der Toilette des Lokals «The Circle» am Flughafen Zürich in Kloten. Dabei ordnet er seine Erlebnisse rund um die WM-Kandidatur von China ein und versucht, die daran beteiligten Personen ebenfalls darin zu verorten: ‹Aleksandars Bruder und Fussballnachwuchs-Profi Alen ist also bi und hat sich bei Gustavo aus Brasilien mit HIV angesteckt. Nicht in Moskau bei der Stripperin, wie er damals bei der Pressekonferenz des Nationalteams sagte. Und Gustavo wiederum hatte eine langjährige Affäre mit dem Alpminera-CEO De la Verga, der noch Frau und Kinder hat. Und dieser zieht nun die Fäden rund um die WM-Kandidatur von China. Zudem missbraucht er mich als eine Art Spion dafür, indem er mich um das Wohl meiner Eltern erpresst. Aber aus welchem Grund genau? Und warum hat mir Gustavo dies alles mitgeteilt?›
«Herr Kokot, geht es Ihnen gut?», ruft De la Verga von aussen an Jaschas Toilettentüre, «brauchen Sie ärztliche Hilfe?» Jascha verdreht die Augen ob so viel Pseudo-Mitgefühl, während er auf der Toilette sitzt und den Anschein gibt, ihm sei schlecht: «Ich glaube, ich habe mir eine Lebensmittelvergiftung an Bord des Rückflugs von Brasilien geholt. Wären Sie so freundlich und würden mir ärztliche Hilfe holen?» «Ach du lieber Gott, das klingt wahrlich nicht gut. Ich hole Hilfe, bleiben Sie hier», antwortet De la Verga und verständigt das Personal des Lokals.
Während das Lokalpersonal Hilfe holt, bleibt Jascha auf der Toilette sitzen. Er liest weiter auf Gustavos Zettel, den ihm Gustavo im Vorbeilaufen auf dem Weg von der Ankunftshalle zum Lokal in die Jackentasche gesteckt hatte: «Du wirst Fragen haben. Besuch mich darum morgen Mittag um 11:30 Uhr in der Spaghetti Factory am Limmatquai in Zürich. Dort erzähle ich dir alles, was du wissen musst.»
Unterdessen hämmert es von der Aussenseite an Jaschas Toilettentüre: «Hallo, hier ist die Notärztin. Geht es Ihnen gut? Können Sie aufmachen?» Jascha hat kurz davor Sprintübungen im Stehen gemacht und hyperventiliert, um einen kränklichen und schweissgebadeten Eindruck zu vermitteln. Er öffnet die Tür und lässt sich in die Arme der Notärztin fallen. Diese wiederum leitet die nötigen Massnahmen ein, vertreibt De la Verga und lässt Jascha mittels Krankentransport in ein Spital fahren. Dort angekommen erhält er elektrolytische Infusionen, Salzstangen und Zwieback. Nach kurzer Zeit zeigt er eine deutliche Besserung und lässt sich auf eigenes Risiko hin entlassen.
Am nächsten Tag sucht er die Spaghetti Factory auf, um Gustavo zu treffen. Punkt 11:30 Uhr erblickt er Gustavo in der hintersten Ecke des Lokals und steuert direkt auf ihn zu: «Olá, bonito, schön, bist du meiner Einladung gefolgt», strahlt ihm Gustavo entgegen. Jascha, der dank seiner Eltern aus Slowenien mit ex-kommunistischen Wurzeln aus dem Ex-Jugoslawien nie gelernt hat, Emotionen zu zeigen, grüsst Gustavo neutral bis leicht unterkühlt: «Danke für die Einladung.» Eine Fleischtheke wäre im Vergleich zu ihm geradezu heissblütig. Darum presst er noch nach: «Ich finde es auch schön, dich hier wiederzusehen.»
Gustavo, der sich als Brasilianer ganz andere Gefühlsregungen gewohnt ist, kriegt sich kaum ein vor Lachen und schallt heraus: «Hey, sei kein Eisberg, auch wenn sich das Klima erwärmt. Ich hab’s doch schon in Rio gesehen: Du stehst irgendwie auf mich. Lass uns zuerst die ernsten Dinge besprechen und danach gemeinsam etwas Schönes erleben, ok?» Jascha nickt noch halb gefroren, während sein Herz schon halbe Capoeira-Kapriolen schlägt. «Also, hier nun die gesamte Wahrheit, die dich aus De la Vergas Fängen wieder lösen könnte …», beginnt Gustavo.
Jascha ist ganz Ohr: «De la Verga weiss von dir bekanntlich folgendes: Du hast dich in deiner journalistischen Funktion von früher mit dem Massenmord an den Minenarbeitern im Kongo durch die dort ansässigen Warlords beschäftigt. Du weisst auch, dass sich dies unter den Augen von De la Verga und dessen Konzern Alpminera zugetragen hat, allerdings vertuscht wurde. Parallel bist du wegen Fake News aufgeflogen.»
Jascha knickt beim letzten Satz sichtlich ein, was Gustavo merkt und ihm signalisiert, dass dies nicht so schlimm sei: «Und nun kommt hinzu, dass De la Verga als Hauptsponsor der Fussballnationalmannschaft bei der WM mitmischen möchte, um den Mitbewerber-Konzern aus dem Spiel zu nehmen. Dieser ist ebenfalls an einem WM-Sponsoring interessiert.
Und mit China hat De la Verga einen zahlungskräftigen und einflussreichen Partner an der Hand, der ihm finanziell und politisch hilft. Das Interesse Chinas dreht sich natürlich um die WM-Kandidatur selbst: Schliesslich ist die WM schon lange ein Prestigeobjekt, das China neben anderen Interessen wie Taiwan, Seidenstrasse und Afrika als globales Einflussgebiet verfolgt.»
«Und wie passt da Alen in die ganze Geschichte rein?», fragt Jascha etwas ermattet von Gustavos Ausführungen. «Sagen wir es mal so: Alen war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort – so wie ich und du: Alen hatte mit mir eine Affäre und sich mit HIV infiziert, was ihm im cis-heterosexuellen Fussballumfeld das Karriereende hätte bedeuten können. De la Verga war immer noch sauer, dass ich meine Affäre mit ihm beendet und mit Alen was angefangen hatte. Deshalb hat er mich geschlagen und erpresst, ihm bei seinen Intrigen zu helfen. Und da kam ihm die Affäre mit Alen recht, weil er gleich drei Personen ins Boot holen konnte: mich, Alen und dich. Mich wegen der Kokserei und meinem Job, bei dem ich Jugendliche mit Suchtproblemen betreue. Alen wegen der HIV-Infektion, die nicht bisexueller Natur sein durfte. Und dich, weil du an etwas dran warst, das ihm widerstrebte, du aber gleichzeitig über den Fake-News-Skandal gestolpert bist. Du siehst: Keiner von uns ist freiwillig an Bord von De la Vergas Vorhaben.»
«Und was sollen wir nun deiner Meinung nach tun?», fragt Jascha, etwas Naivität vorgaukelnd, um Gustavos ganze Aufmerksamkeit zu erhaschen. «Du bist der Journalist, ich die Quelle. Bringen wir diesen Skandal ans Licht. Das könnte dich rehabilitieren und die ganze Welt darüber aufklären, wie dreckig die Fussball- und Minengeschäfte weltweit laufen. Zudem würde es De la Verga endlich hinter Gitter bringen und uns alle aus seinen Fängen befreien.»
«Einverstanden. Was nun?» Jascha beugt sich über seinen leergegessenen Spaghetti-Teller, seine Ellbogen aufstützend und seine Hände faltend, auf die er sein Kinn stützt. «Nun kommen wir zu dem Teil, bei dem wir etwas Schönes miteinander erleben», kontert Gustavo und gibt dem Servicepersonal das Zeichen, die Rechnung begleichen zu wollen.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Pride
Shakira, Sport und Strassenfeste: So soll die World Pride 2025 werden
Vom 17. Mai bis 8. Juni 2025 findet in Washington, D.C. die World Pride statt. Erste Details sind nun bekannt.
Von Newsdesk Staff
Musik
Sport
Sport
Förderprogramm nimmt ersten offen schwulen Wrestler unter Vertrag
Als erster offen schwuler Wrestler wurde Aaron Rourke Teil des neu gestarteten Rekrutierungsprogramms von World Wrestling Entertainment. Sein Spitzname «Evil Gay» könnte nicht treffender sein, denn Rourke ist entschlossen, die Wrestling-Welt zu erobern.
Von Newsdesk Staff
Schwul
News
Queerfeindlichkeit
Homophobe Beleidigung: Ralf Schumacher ist «nicht böse»
Der Vater von Formel-1-Pilot Sergio Pérez hat die Kritik an seinem Sohn satt. Er leistet sich dabei eine Entgleisung. Ralf Schumacher bringt sogar Verständnis auf.
Von Newsdesk/©DPA
News
Sport
Kurznews
Berliner Polizei rät Queers in bestimmten Gegenden zu mehr Vorsicht
Viele Menschen jüdischen Glaubens sagen, dass sie bestimmte Berliner Gegenden nicht mit sichtbaren Symbolen betreten, Queers agieren ähnlich. Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht von nötiger Wachsamkeit.
Von Newsdesk/©DPA
Polizei
Deutschland