«Sexismus und Homophobie nehmen noch zu viel Platz im Rap ein»
Schwesta Ebra aus Wien will Frauen und Mädchen Mut machen beim Coming-out
Aus Österreich kommt die lesbische Rapperin Schwesta Ebra. Auf Songs wie «Deine Dickpics» und «Männer haben» kritisiert sie männliche Gewalt an Frauen und rechnet mit dem vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftssystem ab.
Schwesta Ebra heisst mit bürgerlichem Namen Ebru Sokolova. Aufgrund von rassistischen Beschimpfungen wegen ihres türkischen Namens hat sie sich vor etwa zwei Jahren in Schwesta Ebra umbenannt. Die Rapperin gehört einer türkischen Minderheit in Bulgarien an, aber geboren und aufgewachsen ist sie im niederösterreichischen Waldviertel. Später übersiedelte sie ins Mostviertel, inzwischen hat sie mit ihrer Partnerin Julia, mit der sie bereits fast neun Jahren liiert ist, ihren Lebensmittelpunkt in Wien. Julia ist erfolgreiche Influencerin mit zahlreichen Follower*innen und auch stets an Ebras Seite, um sie zu unterstützen, zum Beispiel, beim Überarbeiten ihrer Text- und Musikbeiträge, aber inspiriert sie auch in ihrer kreativen Phase.
Gemeinsam gestalten die beiden Frauen auch einen eigenen Social-Media-Kanal via YouTube, wo sie über ihre Beziehung regelmässig sprechen. Schwesta Ebra lebt bewusst offen lesbisch. Bereits mit 12 habe sie es ihrer Mutter erzählt, die es verständnisvoll gut aufgenommen hat, im Gegenteil zu ihrem Vater, zu dem sie aber ein Jahr danach, seit der Scheidung ihrer Eltern, auch keinen Kontakt mehr hat. Aber auch ihr acht Jahre jüngerer 15-jähriger Bruder, der mit ihrer Mutter in Niederösterreich auf dem Land lebt, sei nichts anderes gewohnt und sehe die lesbische Beziehung seiner Schwester von Anfang an als selbstverständlich, sagt Schwesta Ebra, die auch hofft, anderen Frauen und Mädchen Mut zu machen beim Coming-out.
Die fast 24-jährige Wienerin ist selbständige Musikerin, vor allem auf Online-Plattformen Instagram und TikTok. Sie hat zwar immer schon Musik gemacht, singt und spielt Gitarre. Bereits im ersten Corona-Lockdown hat sie verschiedene Songs wie beispielsweise von Falco umgetextet und ihre erste Parodie gerappt. Ermutigt von positiven Rückmeldungen ihrer Follower*innen rappt sie nun ihre eigenen Songs und hat im März dieses Jahres ihre erste Single veröffentlicht. Nur leicht ist es nicht, in einer männerdominierten Musikbranche sich als weibliche und lesbische Musikerin durchzusetzen, um als Rapperin bekannt und akzeptiert zu werden.
«Sexismus und Homophobie nehmen immer noch zu viel Platz im Rap ein», sagt Schwesta Ebra gegenüber MANNSCHAFT, «obwohl männliche Rapper dafür bekannt sind, frauenverachtend und gewaltverherrlichend zu texten, sind sie als Heros schnell ganz oben in den Listen der Musikcharts, während bei den Rapperinnen vor allem das äussere Erscheinungsbild und die Texte viel stärker unter die Lupe genommen und kritisiert werden». (Grosse Ausnahme ist der offen schwule Rapper Lil Nas X – MANNSCHAFT berichtete)
Infolge dessen hat sich Schwesta Ebra auch inspiriert von SXTN, zwei Rapperinnen aus Berlin, die sich im Jahr 2014 als deutsches Hip-Hop-Duo gegründet haben und fast vier Jahre lang gemeinsam vermehrt durch provokante Texte polarisierten. Vier Singles hat Schwesta Ebra bereits veröffentlicht: Bei ihren ersten beiden Singles «Deine Dickpics» und «Männer haben» kritisiert sie vor allem die männliche Gewalt an Frauen und rechnet dabei mit dem vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftssystem ab.
Was folgte, war eine grosse Welle an Beschimpfungen seitens der Männer. Besonders als Frau und Lesbe sind verschiedene sexistische, rassistische oder homophobe Beleidigungen und Beschimpfungen im Netz, insbesondere bei feministischen Musikbeiträgen in dem Genre Rap nicht selten, sagt Ebra. Aber sie nimmt es mittlerweile mehr mit Humor und gestaltet daraus ihre neuen Parodien und satirischen Textbeiträge. So löste ihr jüngstes Interview in der österreichischen Tageszeitung Kurier auch viele negative Kommentare aus.
«Als Teil der LGBTIQ Community muss man sich im Laufe des Lebens nicht selten mit Kommentaren, Bemerkungen, Beschimpfungen, Beleidigungen und unangebrachten Fragen von Mitmenschen herumschlagen», sagt Schwesta Ebra. Sie gestaltet daraus humorvoll ihre Parodie zum Thema Dankbarkeit: Es sei einfach lächerlich sei, wenn Menschen mit türkischem Namen kritisiert und ermahnt werden, dankbar zu sein hier zu leben oder das Land verlassen, um in die Türkei zurückzukehren, obwohl sie selbst hier in Österreich aufgewachsen oder sogar geboren wurden.
Derzeit ist ihre Arbeit als Rapperin noch ein Hobby, aber sie plane dennoch mehr, eine fixe verlässliche Einnahmenquelle daraus zu machen. Sie befinde sich noch im Prozess der Selbstfindung, in welche Musikrichtung sie sich weiterentwickeln werde. Sie habe deshalb ihren Gedanken, sich bei dem Fernsehformat «Star Mania» anzumelden, um für schnellen grösseren Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit zu sorgen, wieder verworfen. Schliesslich betrachte sie diese Fernsehformate auch kritisch: Diese machten es schwer, man selbst bleiben zu können, eigene Texte zu schreiben und Musik zu machen, wie sie wolle.
Derzeit studiert die Musikerin auch für das Lehramt auf der Universität Wien die Fächerkombination Spanisch und Geschichte, weil sie auch interessiert sei, die Frauen- und Lesbenbewegung in der Zeitgeschichte sichtbarer zu machen. «Da ist auch noch viel Aufklärungsarbeit bei den Menschen notwendig», sagt sie.
Doch eigentlich liege ihr die Musik mehr, Konzerte zu geben und auf Tourneen zu fahren, aber beides sei eher schwierig hauptberuflich umzusetzen. Jedoch ein paar Jahre habe sie noch Zeit, um sich zu entscheiden, bis sie ihr Studium abschliesst, sagt Schwesta Ebra, die im Sommer 2021 bereits zwei Mal für zwei Konzerte nach Deutschland gereist ist. Sie habe als Musikerin und Rapperin bei ihren Auslandsauftritten das meiste Geld verdient, auch wenn sie davon noch nicht reich wurde, sagt sie. Das Musikgeschäft sei vor allem zu Beginn ein Verlustgeschäft. Nicht nur weil sie als umweltbewusste Zugfahrerin andere kostengünstigere Transportmittel wie Flugzeug oder Auto ausschliesse, sie müsse ja auch für Musiklizenzen, die Bearbeitung ihrer Sounds, der Distributor, also das Streaming ihrer Musikbeiträge an alle Plattformen im Social-Media-Bereich und gelegentliche Online-Werbung zahlen.
Aber sie sei es schon gewohnt in ihren eigenen vier Wänden ihre musikalische Karriere selbständig aufzubauen, ohne eigenes Tonstudio. Jedoch zwischen Studium, der selbständigen Arbeit als Musikerin und ihren weiteren Jobs, wie zum Beispiel als Billeteurin bei Veranstaltungen in der Wiener Stadthalle zu arbeiten, erlebt sie erhöhten Zeitstress. Allerdings im erneuten Lockdowns fällt letzteres aus, darum konzentriert sie sich wieder verstärkt auf ihre Prüfungen auf der Universität und danach gestalte sie ihre Musikbeiträge als Rapperin.
Wer auch immer dein Bebi ist oder nicht: Du verdienst Liebe, Respekt und Anerkennung…
Ende November hat sie ihre jüngste CD namens «Bebi», eine Single mit Zusammenschnitt aus verschiedenen Begegnungen aus der LGBTIQ-Szene veröffentlicht: Mit den Worten «Wer auch immer dein Bebi ist oder nicht: Du verdienst Liebe, Respekt und Anerkennung…» rappt Schwesta Ebra klangvoll und rhythmisch mit grossartiger Singstimme.
Im Februar 2022 will sie ihre EP unter dem Titel «Kein Plan» veröffentlichen: Darauf wird die Musikerin Schwesta Ebra verschiedene Songs, mit zwei veröffentlichten Songs wie «Du kannst super Deutsch» und «Bebi», die sie im Sommer 2021 geschrieben hat, zu einem kleinen Album zusammenstellen. Bis dahin bietet die aktuelle österreichische Innenpolitik stets viel Arbeitsmaterial für Schwesta Ebra, um weitere feministische Parodien und satirische Beiträge gegen rechts-konservative Parteien, aber gelegentlich auch über andere zu gestalten.
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