Schwuler Priester Wolfgang Rothe: «Werde nicht mehr schweigen»
Über die Hoffnung, dass sich in der Kirche etwas ändert – und die Angst, dass alles so bleibt
2021 segnete der katholische Priester Wolfgang Rothe schwule und lesbische Paare – gegen den erklärten Willen des Vatikan. Kurz nach der Aktion #OutInChurch bringt er nun ein Buch heraus über das «Queer-Sein in der katholischen Kirche».
Die Aktion erregte Aufsehen: 125 Priester und andere Beschäftigte der katholischen Kirche outeten sich in der vergangenen Woche unter dem Motto «#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst» als queer und forderten eine Reform des Arbeitsrechts (MANNSCHAFT berichtete). Denn auch im Jahr 2022 kann es Beschäftigte dort den Job kosten, wenn sie ihren gleichgeschlechtlichen Partner heiraten wollen. Der Münchner Priester Wolfgang Rothe hat sich schon vor Jahren als schwul geoutet und bringt nun ein Buch heraus mit dem Titel «Gewollt. Geliebt. Gesegnet. – Queer-Sein in der katholischen Kirche». An diesem Montag kommt es auf den Markt.
Darin schreibt beispielsweise der Priesteramtsanwärter Henry Frömmichen, wie er nach einem Selfie mit dem Star der schwulen Datingshow «Prince Charming» aus dem Priesterseminar flog (MANNSCHAFT berichtete). Und der Schlagersänger und Katholik Patrick Lindner schreibt über sein Coming-out und erzählt, warum es ihm so wichtig war, die Ehe mit seinem Mann in einer katholischen Kirche segnen zu lassen.
Im Interview mit Britta Schultejans von der Deutschen Presse-Agentur spricht Herausgeber Rothe über Hoffnungen, dass sich in seiner Kirche etwas ändert – und die Angst, dass alles so bleibt.
Ihr Buch kommt eine Woche nachdem mehr als 100 Mitarbeiter der katholischen Kirche sich im Rahmen von «Out in Church» als queer geoutet haben auf den Markt. Wie wichtig war diese Aktion? Diese Aktion ist ein echter Meilenstein. Ich war zwar nicht daran beteiligt, da ich ja schon länger kein Geheimnis mehr um meine sexuelle Identität mache und mich auch schon länger gegen die Diskriminierung queerer Menschen engagiere. Wo wir aber bislang Einzelkämpfer waren, gibt es nun eine breite Bewegung. Das macht mich sehr hoffnungsvoll.»
Sie haben als Herausgeber des Buches zahlreiche Geschichten von Menschen gesammelt, denen die katholische Kirche das Leben schwer macht. Welche hat Sie am meisten beeindruckt? Es gibt kaum einen Beitrag, der mich nicht zutiefst beeindruckt und erschüttert hätte. Beim Lesen vieler Beiträge bin ich erst einmal in Tränen ausgebrochen. Ich hoffe, dass es den Leserinnen und Lesern des Buchs ebenso geht, dass sie das Leid der Betroffenen spüren und sich dafür einsetzen, sie von ihrem Leid, ihrem Druck und ihrer Angst zu erlösen.»
Was bedeutet es, dass 17 der Autoren ihren Namen nicht veröffentlichen wollten? Ich wollte in meinem Buch die Realität queerer Menschen in der katholischen Kirche abbilden. Und zu dieser Realität gehört nach wie vor die Angst vor Herabsetzung, Diskriminierung und Ausgrenzung, die Angst vor gesellschaftlichen und beruflichen Konsequenzen. Dass ein Teil der Autorinnen und Autoren Angst hatte, mit Namen aufzutreten, ist Teil dieser Realität.»
Sie engagieren sich schon seit Jahren für die Rechte queerer Menschen in der katholischen Kirche – haben im vergangenen Jahr gegen den erklärten Willen des Vatikan schwule und lesbische Paare gesegnet. Welche Konsequenzen hat dieses Engagement für Sie in Ihrem Job? Auf der einen Seite spüre ich viel Unterstützung, auf der anderen Seite aber auch Misstrauen, Ablehnung und mitunter sogar Hass. Ich bin froh, meinen Job nach wie vor unbehelligt ausüben zu können. Aber egal, welche beruflichen Konsequenzen mein Engagement auch haben sollte: Schweigen werde ich nicht mehr.»
Erst kürzlich forderte der konservative Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer eine Debatte darüber, ob der Synodale Weg in seinen Veröffentlichungen eine gendergerechte Sprache verwenden dürfe, da diese doch gegen die Bibel verstosse (MANNSCHAFT berichtete). Wo sehen Sie da Hoffnung auf Besserung oder überhaupt einen Ansatz zur Diskussion? Ich weiss nicht, welche Bibel Bischof Voderholzer liest, aber in meiner Bibel steht nichts über gendergerechte Sprache. Wer in der Bibel Antworten auf Fragen sucht, die zu biblischer Zeit niemand gestellt hat, will vermutlich nur seine Vorurteile bestätigt wissen. In meinen Augen ist das nichts anderes als ein Missbrauch der Bibel.
Kardinal Reinhard Marx hat am Donnerstag in seiner Stellungnahme nach dem verheerenden Missbrauchsgutachten dem Grunde nach gesagt, es sei egal, ob ein Priester homo- oder heterosexuell sei – so lange er enthaltsam lebe. Wie bewerten Sie diese Aussage? Das ist nett, aber nicht neu. Homosexualität an sich gilt nach dem Katechismus auch bislang nicht als sündhaft und auch nicht nach dem Kirchenrecht als strafbar. Neu und notwendig wäre es, dass sich die Kirche künftig komplett aus den Schlafzimmern ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heraushielte – zumal jetzt, wo sie nach den immer neuen Missbrauchs- und Vertuschungsskandalen ohnehin jede moralische Autorität verspielt hat.
Sie haben nicht nur dieses neue Buch herausgebracht, sondern auch eins geschrieben, dass «Missbrauchte Kirche» heisst und sich mit dem nicht enden wollenden Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche befasst. Hat das Gutachten Sie noch erschüttert? Ich habe in dem Gutachten viele Haltungen und Handlungsweisen kirchlicher Verantwortungsträger wiedergefunden, die ich auch selbst erlebt habe. Nachdem ich meine eigenen Missbrauchserfahrungen in dem von Ihnen genannten Buch öffentlich gemacht habe, hat sich noch keiner der Verantwortlichen bei mir gemeldet und um Entschuldigung gebeten. Und das, obwohl der Bischof, den ich darin des Missbrauchs beschuldige, gegen mein Buch geklagt hat und mittlerweile in zweiter Instanz gescheitert ist.
Eine Kirche, die Angst verbreitet, braucht niemand.
Viele sagen, die katholische Kirche habe nur dann eine Chance, gesellschaftlich relevant zu bleiben, wenn sie sich von Grund auf erneuert. Wie stehen die Chancen, dass das zu unseren Lebzeiten noch passiert? Diese Frage stelle ich mir tagtäglich selbst – ohne sie beantworten zu können. Aber gesellschaftliche Relevanz ist ohnehin nicht das, worum es der Kirche gehen sollte. Die Kirche hat vielmehr die Aufgabe, den Menschen die Kernbotschaft Jesu zu vermitteln. Und die lautet: ‚Fürchtet euch nicht!‘ Eine Kirche, die Angst verbreitet, braucht hingegen niemand.
Wolfgang Rothe ist katholischer Priester und hat sich schon vor geraumer Zeit offen zu seiner Homosexualität bekannt. Im vergangenen Jahr segnete er im Rahmen der Aktion «Liebe gewinnt» mehrere homosexuelle Paare – gegen den erklärten Willen des Vatikan. Er ist Doktor der Theologie und des Kirchenrechts. Ausserdem gilt er als Experte für schottischen Whisky und wurde als «Whisky-Vikar» bekannt. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch «Missbrauchte Kirche» über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche.
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