Aus drei mach vier: Es ist ein Junge!

Eine Regenbogenfamilie in NRW

Verständnis und Kompromisse ebnen den Weg, den Max (l.), sein Partner Jan und dessen Frau Lara-Jean nun mit Baby Keno weitergehen (Bild: Lukas Sowada)
Verständnis und Kompromisse ebnen den Weg, den Max (l.), sein Partner Jan und dessen Frau Lara-Jean nun mit Baby Keno weitergehen (Bild: Lukas Sowada)

Jan ist bisexuell, polyamourös und sowohl mit Lara-Jean als auch mit Max zusammen. Im Sommer 2021 statteten wir ihnen in Düsseldorf einen ersten Besuch ab. Seitdem ist viel passiert! Und vor ein paar Monaten kam dann auch noch ein neuer Mensch hinzu: Baby Keno.

Gemeinsam eine Schwangerschaft durchzustehen, die Geburt zu erleben und anschliessend ein Kind zu erziehen, ist eine kräftezehrende Aufgabe. Nicht selten sogar so sehr, dass Partnerschaften daran zerbrechen. «Die Geburt ist das Intensivste, was ich bisher erlebt habe. Körperlich und auch seelisch», erinnert sich Lara-Jean. Zum Glück stand ihr Jan, mit dem sie mittlerweile verheiratet ist, fürsorglich zur Seite.

Aber auch Max unterstützte seinen Partner und dessen Frau, wo es ihm möglich war. «Ich war gerne schwanger und konnte die Zeit geniessen. Während der Geburt kann der Mann bekanntlich nicht viel helfen, aber ohne Jan hätte ich es trotzdem nicht geschafft. Er hat mir durch seine Anwesenheit die Energie gegeben, die ich brauchte», sagt Lara-Jean.

«Max war während der Schwangerschaft ebenfalls immer für mich da und hat mir viel geholfen.» Noch immer scheint das Gespann mehr Vor- als Nachteile aus seiner Verbindung zu ziehen und sich in schwierigen Situationen auf sein wichtigstes Erfolgsrezept verlassen zu können: eine aufrichtige Kommunikation.

(v.l.n.r.), Max, Lara-Jean, Baby Keno und Jan (Bild: Lukas Sowada)
(v.l.n.r.), Max, Lara-Jean, Baby Keno und Jan (Bild: Lukas Sowada)

Gleichberechtigt und umsichtig «Ich wusste von Anfang an, dass Jan und Lara-Jean eine Familie gründen wollen. Von Freund*innen weiss ich, wie schwierig es sein kann, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Es ist nicht selbstverständlich, eine risikofreie Schwangerschaft zu haben und ein gesundes Kind zur Welt zu bringen», sagt Max.

Er selbst hat die Nachricht, dass ein Baby unterwegs war, mit Freude aufgenommen. Befürchtungen, dass dies seine und Jans Beziehung gefährden könnte, gab es erstaunlicherweise nicht. Das lag und liegt aber vor allem daran, dass alle drei viel dafür tun, innerhalb ihres Arrangements gleichberechtigt zu sein. Es gibt kein drittes Rad am Wagen! Stattdessen beweisen Jan, Lara-Jean und Max, dass das Dreieck die stabilste geometrische Form überhaupt darstellt.

«Auch ein Kind bringt das bei uns nicht aus dem Gleichgewicht. Zeitlich sind wir jetzt eingeschränkter als vorher. Herausfordernd, aber nicht unschaffbar», resümiert der Masterstudent in Kulturmanagement und -pädagogik. Jan stimmt zu: «Zwischen Max und mir hat sich zunächst gar nichts geändert, weil wir noch gar nicht wussten, welche Rolle Max für das Kind spielen wollte. Er hat voll hinter uns gestanden. Ich persönlich hatte aber schon Respekt davor, was das alles an unserer Beziehungsdynamik verändern könnte.»

Ganz schön viel los Statt den Vorstellungen und Wünschen von drei Menschen müssen seit der Geburt von Keno im Oktober 2023 gleich vier Bedürfniswelten unter einen Hut gebracht werden. Das kann kompliziert werden. «Der Fokus liegt natürlich auf dem Kleinen», erklärt Max. «Er ist ein Baby, das rund um die Uhr Fürsorge braucht. Da kann ich mich kaum in den Vordergrund drängen. Auch wenn Jan und ich weniger Zweisamkeit haben, versuchen wir trotzdem, die Momente zu nutzen, die sich ergeben.» Für Jan hat sein Sohn tatsächlich absolute Priorität, auch wenn das nicht heisst, dass Lara-Jean oder Max an Bedeutung verloren hätten.

Der Spagat zwischen Kind, Frau und Freund kann schon manchmal belastend werden

«Als Elternteil mit zwei Partner*innen kann der Spagat zwischen Kind, Frau und Freund schon manchmal belastend werden. Ohne das Verständnis beider und viele Kompromisse würde ich schon jetzt an meine Grenzen stossen», meint Jan. Lara-Jean hingegen spürt, dass sich die Bindung zwischen ihr und Jan intensiviert hat. «Wir sind noch viel enger zusammengewachsen, wenn das überhaupt möglich ist», witzelt sie.

«Ihn jetzt als Papa zu sehen, hat mir wieder bewiesen, dass ich mich für den richtigen Mann entschieden habe.» Ihre Gefühle für Max sind indes nach wie vor freundschaftlich. «Ich habe grossen Respekt davor, wie er mit der neuen Situation umgeht und bin ihm sehr dankbar für seine Unterstützung.»

Respekt scheint generell die wichtigste Zutat im Zusammenleben der kleinen Familie zu sein. Sich aufeinander verlassen zu können, zu wissen, dass Befindlichkeiten in unpassenden Momenten zurückgestellt und zu einem späteren Zeitpunkt besprochen werden können, macht die Kombo Jan, Max und Lara-Jean zu einem echten Dauerbrenner. Getreu der Bedeutung seines Namens (Keno als abgewandelte Form von Konrad: «Kühner Ratgeber») sollte es auch dem Jüngsten im Bunde gelingen, zukünftig seine Stimme zu erheben, wenn sie gebraucht wird, um Lösungen für ein reibungsloses Miteinander zu finden.

Kleine grosse Freuden Wir leben in einer Zeit, in der hart erkämpfte Toleranz von einem Tag auf den anderen ins Wanken geraten kann. Abhängig von politischen Entscheidungen, vom gesamtgesellschaftlichen Klima, aber auch von der Sichtbarkeit einzelner Minderheiten und ihrer Schicksale. Keno wächst in einem Umfeld auf, das nicht alltäglich ist. Er lernt nicht nur, dass es neben Frau und Mann auch gleichgeschlechtliche Paare gibt, er wird auch täglich damit konfrontiert, dass ein Mensch Zuneigung, Liebe und Anziehung zu mehr als einer Person gleichzeitig empfinden kann.

Immer wieder werden Stimmen laut, dass dies Kindern schaden und sie in ihrer Entwicklung nachhaltig behindern würde. Wissenschaftliche Belege gibt es dafür nicht. Im Gegenteil: Nahezu alle Studien über frühe Bindungserfahrungen zeigen, dass Kinder davon profitieren, in einer fürsorglichen und liebevollen Umgebung aufzuwachsen. Dass es ihnen dabei hilft, Selbstvertrauen zu entwickeln. Zudem stärkt das offene und reflektierte Sprechen über Gefühle – auch über unangenehme wie Eifersucht, Unsicherheit oder Furcht – die emotionale Kompetenz.

Man kann also davon ausgehen, dass Kenos Rucksack für den weiteren Lebensweg gerade mit vielen hilfreichen Dingen gefüllt wird. Und wenn man dann noch hört, wie seine Eltern und Max von ihm schwärmen, ist klar, dass Keno in seinem Zuhause gut aufgehoben ist. «Der Kleine bringt mein Herz mit seinem Lachen sofort zum Schmelzen», sagt Jan. «Manchmal sitze ich da, schaue ihn an und frage mich, ob das wirklich mein Sohn ist. Es fühlt sich zu schön an, um wahr zu sein.» Lara-Jean ist nicht weniger begeistert: «Meinem Sohn die Welt erklären und zeigen zu können, ist das schönste Geschenk. Ich liebe es zu sehen, wie er jeden Tag etwas Neues entdeckt und lernt. Die seelische Verbindung zum eigenen Kind ist unbeschreiblich. Den Moment des ersten bewussten Anlächelns werde ich nie vergessen.»

Obwohl er sich aufgrund seiner homosexuellen Identität nur schwer vorstellen konnte, dass ein Kind einmal eine Rolle in seinem Leben spielen würde, merkt auch Max, dass Keno seinen Alltag bereichert: «Als Jugendlicher wusste ich nicht, wie man in unserer Gesellschaft als gleichgeschlechtliches Paar eine Familie gründen kann. Ich kannte keine Vorbilder. Nun selbst ein Kind aus nächster Nähe mit grosszuziehen, ist unverhofft und unglaublich. Keno das erste Mal im Arm gehalten zu haben, war ein ganz besonderes Gefühl, und ich bin glücklich, Jan und Lara-Jean so erfüllt zu sehen. Der Kleine ist eine Bereicherung und lehrt mich viel. Ich hoffe, ich kann ihm genauso viel zurückgeben.»

Der Kleine ist eine Bereicherung und lehrt mich viel. Ich hoffe, ich kann ihm genauso viel zurückgeben

Die andere Seite der Medaille Wenn die drei 31-Jährigen von ihren Erlebnissen mit Keno erzählen, klingt alles leicht und unbeschwert. Als gäbe es keine Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Lara-Jean, Jan und Max kämpfen genauso wie alle anderen Erziehenden mit dem typischen Wahnsinn, den ein Säugling mit sich bringt.

Von Schlaflosigkeit über volle Windeln bis hin zur Panik, wenn das Kind schreit, man alles Mögliche schon versucht hat und nicht mehr weiss, wie es noch beruhigt werden könnte. Umso hilfreicher ist es, wenn man dann die Herausforderungen des Elterndaseins nicht auf eine oder zwei, sondern auf gleich drei Personen verteilen kann.

(v.l.n.r.), Lara-Jean, Max mit Baby Keno und Jan (Bild: Lukas Sowada)
(v.l.n.r.), Lara-Jean, Max mit Baby Keno und Jan (Bild: Lukas Sowada)

«Ich merke, dass meine Geduld beim Zubettbringen oft auf die Probe gestellt wird. Aber zum Glück teilt man sich auch die anstrengenden Seiten», sagt Jan. «Natürlich sind vor allem die Nächte schwierig oder wenn man nicht gleich versteht, wo Keno der Schuh drückt. Aber am schlimmsten ist die Angst, dass meinem Sohn etwas zustossen könnte», gesteht Lara-Jean. Am liebsten würde sie ihn vor allen Gefahren schützen, die da draussen lauern, auch wenn sie schmerzlich feststellen muss, dass das eine Mammutaufgabe ist, bei der man eigentlich scheitern muss. Denn leider gibt es unter den Menschen viel Engstirnigkeit und Missgunst.

Dickes Fell inklusive «Die, die schon negativ darauf reagiert haben, dass wir so leben, wie wir leben, sind natürlich auch nicht begeistert, dass wir Kinder bekommen», sagt Jan. Viele Menschen hätten Bedenken, ob eine polyamore Beziehung überhaupt mit dem Elternsein vereinbar sei.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass mehr Bezugspersonen für ein Kind von Vorteil sind. Je mehr Zuwendung und Liebe, desto besser

Doch Jan macht sich Mut: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass, solange wir uns einig sind, mehr Bezugspersonen für ein Kind von Vorteil sind. Je mehr Zuwendung und Liebe, desto besser.» Max hat sich hingegen angewöhnt, Kommentare, die er für unqualifiziert hält, zu überhören: «Negative Stimmen blende ich oft und schnell aus.»

In seinem engsten Umfeld habe er jedoch viel Unterstützung erfahren. «Alle haben sich sehr gefreut und mitgefiebert. Unsere Familie wächst, egal wie. Es ist toll, diesen Rückhalt zu spüren.» Ausserdem sei er sich bewusst, dass die Übernahme von Verantwortung und die damit verbundenen Einschränkungen per se schon anstrengend seien und es da nicht noch wuchernde Selbstzweifel brauche. «Es mag abgedroschen klingen, aber Care-Arbeit ist ein Vollzeitjob. In manchen Aussagen schwingt einfach ein neidischer Unterton mit.»

Hoffnungsvoll Lara-Jean, Jan und Max haben sich in der Vergangenheit nie davor gedrückt, sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, einen unkonventionellen Lebensentwurf zu verfolgen. Ihre Träume für die Zukunft sind allerdings welche, die man auch ohne Kinder oder ohne in einer polyamoren, queeren Beziehung eingebunden zu sein, nachvollziehen kann.

«Ich möchte meinem Kind all das mitgeben, was ich mir selbst sehnlichst gewünscht habe. Keno soll erfahren, dass er gut ist, so wie er ist. Er kann leben, wie er möchte, und lieben, wen und wie er will», macht Jan deutlich. «Ich wünsche mir, dass wir als Team weiterwachsen und stärker werden», sagt Lara-Jean. «Ich hoffe, dass wir unsere Kommunikation nie aus den Augen verlieren und Keno zeigen können, wie schön es ist zu lieben und geliebt zu werden.»

Es gibt leider viel zu wenig Vorbilder und Modelle dafür, dass man auch fern eines heteronormativen Verständnisses glücklich sein kann. Umso bereichernder ist es, Aussagen wie denen von Max, Jan und Lara-Jean eine Plattform geben zu können.

Den Horizont zu erweitern ist essenziell für ein friedliches Zusammenleben in unserer vielfältigen Gesellschaft

«Danke für euer Interesse und die Möglichkeit, sichtbar zu werden. In vielen Gesprächen mit Freund*innen, Familienmitgliedern, Kolleg*innen oder auch Fremden, zum Beispiel beim Erste-Hilfe-Kurs für Babys, den ich kurz nach der Geburt gemacht habe, gab es immer wieder Fragen und manchmal erhellende Momente, wenn ich geantwortet habe», erklärt Max und schliesst mit einer Aussage, die man sich nicht oft genug zu Herzen nehmen kann: «Den Horizont zu erweitern ist essenziell für ein friedliches Zusammenleben in unserer vielfältigen Gesellschaft.»

Die queere Regisseurin mit indigenen Wurzeln spricht über ihren Werdegang und über die Entwicklung der Hollywood-Industrie, die bis vor zehn Jahren noch behauptete, Native Americans hätten vom Filmemachen keine Ahnung und könnten weder schreiben noch spielen (MANNSCHAFT+).

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