Reform für Transsexuellengesetz: «alter Wein in neuen Schläuchen»
Der Gesetzentwurf für die «Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags» wird von vielen Seiten kritisiert
Nach jahrelangen Kämpfen für die Abschaffung des diskriminierenden, in weiten Teilen bereits für verfassungswidrig erklärten Transsexuellengesetzes (TSG) liegt nun ein Referentenentwurf vor, demzufolge der Geschlechtseintrag für trans*-Personen neu geregelt werden soll. Der Entwurf sieht vor, die bisher im § 45b des Personenstandsgesetzes (PStG) bzw. im TSG angesiedelten Regelungen für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen für inter- und transgeschlechtliche Personen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zusammenzubinden. Das TSG soll damit ersetzt werden.
Die Bundesvereinigung Trans* (BVT*) kritisiert den Gesetzentwurf von Justiz- und Innenministerium (BMJV & BMI) für die «Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags» als völlig unzureichend und inakzeptabel. Im Entwurf wird trans* Menschen erneut das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung versagt. Die trans Abgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) aus Bayern nannte den Entwurf am Donnerstag «entwürdigend».
Adrian Hector, Geschäftsführender Vorstand der BVT*, sagt dazu: «Mit geschlechtlicher Selbstbestimmung hat dieser Entwurf nichts zu tun. Nach wie vor entscheidet ein Gericht über den Antrag. Grundlage für die Entscheidung ist die Empfehlung nach einer Pflichtberatung – sprich Begutachtung. Wir fordern seit Jahren einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag ohne Wenn und Aber. Ohne Gerichte, ohne Gutachten oder gutachtenähnliche Beratung. Unter Mitarbeit der BVT* hat eine interministerielle Arbeitsgruppe 2017 einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt.» Davon sei der jetzige Entwurf von BMJV und BMI Lichtjahre entfernt.
Institutionelle Diskriminierung und Fremdbestimmung von trans* Menschen würden darin gesetzlich erneut festgeschrieben, stellenweise sogar verschärft. Der Entwurf verstosse gegen das grundgesetzlich garantierte Persönlichkeitsrecht, zu dem die geschlechtliche Identität und die selbstbestimmte Wahl des Geschlechtseintrags gehörten.
Die Verbesserungen für Antragstellende gegenüber dem bestehenden TSG seien marginal: Kosten für Gutachten entfallen. Eine Pflichtberatung statt zweier Gutachten, die Beratung hat aber Gutachtencharakter. Jugendliche ab 14 Jahren und Ausländer*innen können einen Antrag stellen.
UMFRAGE: Wie viele Dating-Apps nutzt du?
Ehepartner*innen von Antragsteller*innen sollen vor Gericht angehört werden In zwei Punkten verschärft der Entwurf die bisherigen Regelungen: Ehepartner*innen von Antragstellenden sollen vor Gericht angehört werden. Neuanträge sind erst nach drei statt wie bisher zwei Jahren möglich.
Justiz- und Innenministerium haben die Fremdbestimmung in ihrem Entwurf mit dem «öffentlichen Interesse an der Validität der Eintragungen in den Personenstandsregistern» begründet.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kritisiert die vorgeschlagene Neuregelung als unnötig bürokratisch, zu kostenintensiv und vermisst vor allem eine – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – auf das Selbstverständnis der Person bei ihrer geschlechtlichen Identität als konstituierendem Bestandteil ihrer eigenen Persönlichkeit ausgerichtete Lösung.
Doris Achelwilm, queerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, erklärte: «Die gute Nachricht: Der zweifache Gutachtenzwang und damit verbundene Kostenaufwand fällt weg, was dem kontinuierlichen Druck der Betroffenen, ihrer Verbände und politischen Unterstützer*innen zu verdanken ist. Abgesehen davon ist der Entwurf eine herbe Enttäuschung. Denn für geschlechtliche Selbstbestimmung und weitgehende Entdiskriminierung sorgt er bei weitem nicht. Hier muss deutlich nachgesteuert werden.
Auch von Jens Brandenburg, Sprecher für LGBTIQ der FDP-Bundestagsfraktion, kam Kritik: «Die knappe Rückmeldefrist von zwei Tagen zur Bewertung eines umfangreichen Gesetzes ist eine Unverschämtheit. An einer ehrlichen Debatte über die Reform des Transsexuellenrechts sind Frau Barley und Herr Seehofer offenbar nicht interessiert. Eine Gängelung trans- und intergeschlechtlicher Menschen mit umfangreichen Screenings und belastenden Gerichtsverfahren lehnen wir entschieden ab.»
Die Mai-Ausgabe der MANNSCHAFT ist da!
Über die geschlechtliche Identität eines Menschen könne niemand besser urteilen als dieser Mensch selbst. «Eine verpflichtende Ehegattenbefragung vor Gericht wäre eine unnötige Schikane von Menschen, die schon genug mit gesellschaftlicher Diskriminierung zu kämpfen haben. Sie haben kein Misstrauen, sondern Anerkennung und Unterstützung verdient.» Die Kosten für alle geschlechtsangleichenden Behandlungen müssten endlich einheitlich von den Krankenkassen übernommen werden.
Das könnte dich auch interessieren
Wien
Ein Leuchtturm namens Magnus: Das neue Zentrum für sexuelle Gesundheit
Wien bekommt ab 2026 ein neues Zentrum für sexuelle Gesundheit: Magnus* Ambulatorium für sexuelle Gesundheit: ein einzigartiges Kompetenzzentrum für Prävention, Testung, Behandlung und Beratung.
Von Newsdesk Staff
Gesundheit
News
HIV, Aids & STI
Österreich
Kommentar
«Man tritt nicht nach Schwächeren, die schon fast am Boden liegen»
Jacques Schuster, Chefredakteur der Welt am Sonntag hat einen in vielerlei Hinsicht gestrigen Text gegen LGBTIQ verfasst. Unser Autor antwortet mit einem Gegenkommentar*.
Von Kriss Rudolph
Pride
Deutschland
Queerfeindlichkeit
Podcast & Radio
«Wir waren das erste homosexuelle Paar auf dem Roten Teppich in Cannes»
Jannik Schümann war am Sonntag Gast in der «Hörbar Rust» von Radioeins (RBB). Der offen schwule Schauspieler, Musicaldarsteller und Synchronsprecher sprach über seine Spielleidenschaft, über Rosenstolz und sein Coming-out.
Von Newsdesk Staff
Deutschland
Schwul
Deutschland
CSD in Grevesmühlen feiert Premiere – Rechte halten dagegen
Mit dem Motto «Unsere Liebe ist stärker als Euer Hass» setzt der CSD Grevesmühlen ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz. Doch nicht alle teilen diese Werte, wie Teilnehmer*innen einer Gegendemo zeigten.
Von Newsdesk/©DPA
Pride
Queerfeindlichkeit
News