Ralf König: «Hey, ich werd 60 – die Zeit läuft!»
Der Kölner Comic-Zeichner hat Geburtstag
Der Kölner Comic-Meister Ralf König hat am 8. August Geburtstag, und dann wird er auch noch 60. Ein Interview über das lästige Altern, Social Media und die positiven Effekte der Pandemie.
Ralf, die wichtigste Frage zuerst: Hast du durch Corona auch so zugenommen? Nein, ich bin ektomorph. Das klingt schön pervers, heisst aber nur ‚dünn‘. Und ich mach dieses Intervallfasten, damit wenigstens das Bäuchlein weg bleibt.
Du warst anfangs gar nicht böse über die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen, oder? Nein, für mich war das mit dem Lockdown ein Geschenk. Die Kölner Innenstadt war still wie sonst nur Heiligabend, wochenlang und im Frühling! Und ich hatte gerade den Griffel in der Hand und wollte anfangen mit einem Buch über die Streitereien in der queeren Szene und Political Correctness und Gender und Metoo, da passierte das mit der Vollbremsung. Und plötzlich redete kein Mensch mehr über diese Themen, das ganze Meinungsgezeter im Internet, alle hielten mal die Klappe. Also in jeder Hinsicht Entspannung, es war wie Urlaub für die Nerven. Das hat mir auch zu denken gegeben.
Ist das irgendwann gekippt? Oder hat dich das kreativ noch gepusht? Das hat mich kreativ enorm gepusht, ich war zwei Tage ratlos und irritiert und dann hab ich angefangen mit kleinen Comics zum Lockdown, die hab ich auf Facebook gepostet und da war ein grosses Hallo! ich war bisher sehr zurückhaltend mit Umsonst-Onlineunterhaltung, ich lebe vom Buchverkauf. Aber seitdem poste ich täglich diese kleinen Dinger auch auf Instagram und Twitter und hoffe darauf, dass das später auch gekauft wird, wenn Rowohlt ein Buch draus macht. Es ist ein Experiment, der Werbeeffekt ist womöglich nicht zu unterschätzen, aber vielleicht wollen die Leute nach Corona nichts mehr wissen von Corona.
1980 ist dein erster «Schwulcomix»-Band erschienen. Dass du das 40 Jahre lang machst und damit Geld verdienst, war nicht unbedingt abzusehen, zumal damals noch Paragraf 175 galt und die WHO noch nicht erklärt hatte, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Wie lautete dein Business Plan?
Ich hatte keinen Plan, ich hab damals in Dortmund naiv drauflos gekritzelt. Ich wollte schon von klein auf Comics zeichnen, war als Teenager auf dem Dorf angefixt von Robert Crumbs ‚Fritz the Cat‘ und später beeindruckt von Claire Bretecher, die grosse Französin, die unlängst gestorben ist. Ich hatte frisch mein Coming out hinter mir und in der Schwulenszene gab es Anfang der 80er noch nicht viel zu lachen. Alles, was ich zeichnete, wurde sofort gedruckt und fand sein Publikum, auch wenn es noch sehr unausgegoren war. Ein schwuler Witzezeichner wurde wohl dringend gebraucht.
Hattest du von Anfang an auch eine heterosexuelle Fangemeinde? Ja, in der linken Studentenszene fand man es wohl befreiend, über Schwule lachen zu dürfen, ohne zu diskriminieren. Es gab ja nur diese doofen Detlev-Witze. Mein Zeug lag bevorzugt auf dem WG-Klo. Überhaupt hätte ich ohne meine Heteros im Laufe der Jahre den Stift zur Seite legen müssen. Schwule sind nicht das treueste Publikum und die Comics sind ja mittlerweile nichts mehr, was man zur Identitätsfindung braucht, wie noch ganz zu Anfang.
1994 wurde «Der bewegte Mann» verfilmt, mit Til Schweiger in der Hauptrolle. Würdest du sagen, du hast Schweiger gross gemacht – oder eher er dich?
Ich fand Til Schweiger damals nicht aufregend, aber als das Casting für den Film anstand, fragte ich im Bekanntenkreis rum und die Jungs seufzten verzückt, da dachte ich: Wird schon stimmen. Der Comic von 1987 war bereits seit fünf Jahren ein Riesenerfolg bei Rowohlt, sonst hätte Eichinger das gar nicht verfilmt. Also, ich möchte nicht schuld sein an Til Schweiger.
Bei unserem letzten Interview ging es um dein Buch «Herbst in der Hose» und auch um das Thema Altern. Richtig toll fandest du es damals nicht. Hat sich das jetzt zum 60. geändert? Nein, ich hab vorm Badezimmerspiegel immer noch milde 25 Watt-Birnen, aber was soll man machen? Ich bemerke nur gerade eine altersweise Gelassenheit, die ich interessiert beobachte. Das hat auch mit diesem Lockdown zu tun, plötzlich wurde mir klar, was wichtig ist und was nicht. Ich mach mein Ding, seit 40 Jahren jetzt, ich hab meinen Blick auf die Welt und meinen Humor und muss keinem mehr irgendwas beweisen.
Bei deinen Figuren Konrad und Paul geht es u.a. um Altersgeilheit. Bei mir lässt das mit der Geilheit tatsächlich immer mehr nach .. wie ist es bei dir? Da sagst Du was. Ich hol mir dauernd einen runter, um mir zu beweisen, dass da nichts nachlässt, ob ich geil bin oder nicht, egal. Als mein Vater vor 30 Jahren 60 wurde, gestand er mir, dass er ‚untenrum‘ schon lange eingeschlafen wäre, ohne Pornos. Jetzt werde ich 60 und sehe das ähnlich. Aber die Libido will auch gepusht werden, das ist wie beim Sport. Und gelegentlich ein haariger Arsch vor der Nase hilft auch, das ist wie Koks und wirkt dann ein paar Tage nach.
Rückblickend gefragt: Welcher Nuller-Geburtstag war noch entspannt und ab welchem ging es bergab? 30? 40? 50? Bis 45 hatte ich keine Probleme, danach merkte ich, dass sich langsam was verändert, körperlich. Aber lass uns aufhören, vom altern zu reden, meinen Paul in den Facebook-Comics ist grad drauf wie ein 17-jähriger! Vielleicht ein letztes Aufbäumen, aber das macht eindeutig mehr Spass als rumzujammern.
Hast du schon eine Idee, wo du dich zu deinem Geburtstag versteckst? Nein. Ich hatte auch da meinen Stress, ob ich überhaupt feiere oder nicht. Bisher hab ich meine runden Geburtstage immer fett gefeiert, mit Bühnenshow und Tuntenparty, das waren unvergessliche Nächte. Die 60 ist mir aber noch suspekt, und der Aufwand, und das kostet, die Comics verkaufen sich ja im kränkelnden Buchmarkt auch nicht mehr wie in den 90ern. Und dann kam Corona und ich musste mir auch über Partys keine Gedanken mehr machen. Was ansteht, ist die grosse Ausstellung in Berlin zu meinem 40. Zeichnerjubiläum, das wird nun wegen Corona auf 2021 verschoben, samt Lesungen. Dass ich das jetzt nicht feiern konnte, ist ein bisschen schade.
Gibt es jemanden, von dem du sagen würdest, er (oder sie) geht cool und entspannt und irgendwie vorbildhaft (für dich) mit seinem oder ihrem Alter um? Vielleicht sogar ein schwuler Mann?
Schwuler Mann … weiss ich nicht. Ich seh die Leute eher in der Musikecke, Iggy Pop hat sicher alles mit seinem Körper gemacht, was machbar war, Patti Smith hat auch dieses Charisma. Sich dem thematisch zu stellen ist gut, glaube ich, Phillip Roth fällt mir ein oder auch Woody Allen. Am Besten macht es natürlich Cher! Ich hätte auch gern eigene Beleuchter und Visagisten, wenn ich durch die Fussgängerzone latsche.
In deinen Comics lässt sich immer auch neue deutsche Schwulengeschichte ablesen und verfolgen, sei es HIV/AIDS oder die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft. du wirst oft als «Chronist der deutschen Schwulenbewegung» bezeichnet. Gefällt dir das oder setzt dich das manchmal auch unter Druck? Ich hab das ja nie angestrebt, es kam von allein, weil ich durch die Jahrzehnte diese Comics gezeichnet habe. Ich hatte tatsächlich vor Corona Druck, die verschiedenen neueren Strömungen in der queeren Szene auch noch verknollnasen zu müssen, aber inzwischen denke ich, warum eigentlich? Ich bin ein schwuler Mann, von mir aus auch ein alter weisser schwuler Mann, ich zeichne das, was ich sehe und erlebe und das nicht, um aufzuklären, sondern um zu unterhalten. Also wenn mir was einfällt zu Queerfeminismus und Transgender, gerne, aber Erwartungsdruck lehne ich ab. Da ginge mir der Spass flöten.
Ich werde auf dem Sterbebett nicht jammern, dass ich im Leben zu wenig online war!
Du veröffentlichst gerade viele Comics bei Facebook, neulich gab es einen zu Julia Klöckner und Corona in der Fleischindustrie. Solche Kommentare zur tagespolitischen Lage sind neu bei König. Normalerweise sitze ich an so einem 250 Seiten-Buch viel Monate, da sind tagespolitische Kommentare kaum möglich. Und ich fand das auch nie so interessant, weil übermorgen keiner mehr weiss, wer Julia Klöckner war. Aber jetzt machen mir diese 4-Bilder-Comics total Spass, man kann mal eben einen raushauen. Ich werde das im Auge behalten, auch nach Corona. ich hab dieser Krise einiges an Erkenntnissen zu verdanken.
Wenn man bei Facebook unterwegs ist, bekommt man unweigerlich die ganzen Verschwörungstheoretiker mit. Wie gehst du mit solchen Leuten um? Augen rollen? Diskutieren? Aus der Freundesliste löschen? Ich kriege die nicht mit. Im Internet rumklicken und lesen, was irgendwelche Hirnis von sich geben, verstört mich nur. Da lese ich lieber ein gutes Buch. Hey, ich werd 60, die Zeit läuft! Und ich werd auf dem Sterbebett nicht jammern, dass ich im Leben zu wenig online war!
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