«Queere Schauspielende wollen nicht bloss Queers spielen»

Interview mit Antonije Stankovic

Hugo – gespielt von Antonije Stankovic (rechts) – kämpft um ein authentisches Leben als junger schwuler Mann. (Bild: Prime Video, Marc Reimann)
Hugo – gespielt von Antonije Stankovic (rechts) – kämpft um ein authentisches Leben als junger schwuler Mann. (Bild: Prime Video, Marc Reimann)

Nächste Woche startet die neue Dramedy-Serie «Damaged Goods» auf Amazon Prime. Der Newcomer Antonije Stankovic spielt darin den schwulen Hugo, der sich mit seiner Chaos-Clique durch Herzschmerz, Existenzängste und andere Widrigkeiten des Lebens hilft.

Antonije, in der neuen Serie «Damaged Goods» spielst du Hugo, einen schwulen jungen Mann, der als Flugbegleiter jobbt und damit beschäftigt ist, seinen Platz im Leben zu finden. Wurde für diese Rolle explizit nach einem queeren Schauspieler gesucht? Das weiss ich ehrlich gesagt nicht genau. Die Diskussion, dass queere Rollen mit queeren Schauspieler*innen besetzt werden sollen, wurde zu dem Zeitpunkt noch nicht so lautstark geführt, wie es aktuell der Fall ist. Verpflichtend war eine solche Besetzung bei der Serie definitiv nicht, denn es gibt auch queere Nebenfiguren, die von nicht-queeren Menschen verkörpert werden. Ich habe mich einfach über die Casting-Einladung gefreut, denn die kam, als ich bei einigen Rollen in die Endrunden gekommen war und es dann doch nicht geklappt hat.

Du stehst noch ziemlich am Anfang deiner Karriere; die Serie ist deine erste grosse Rolle vor der Kamera. Stimmt, das ist das erste Mal, seit ich als freischaffender Schauspieler arbeite, dass ich entspannt meine Miete bezahlen kann (lacht). Als ich mit meinem Studium fertig war, war schon Corona, und natürlich habe ich mich da gefragt, ob ich nicht doch besser zum Theater gehe. Aber dann habe ich für mich selbst gemerkt, dass ich keine Lust habe auf ein Festengagement. Ich bin also etwas planlos nach Berlin gegangen, doch dann öffneten sich schnell ein paar Türen. Ich fand eine Agentur, die zu mir passte, und es kamen direkt einige Anfragen rein. Und zwar für unterschiedliche Rollen, was ich schön fand, denn ich fühlte mich nicht so, als ob ich in einer bestimmten Schublade stecke.

Hattest du dieses Gefühl denn im Studium oder bei deinen ersten Bühnenrollen? Tatsächlich eher. Da hatte ich den Eindruck, ein bisschen festgelegt zu sein darauf, was ich spielen darf. Oder dass es zumindest bestimmte Muster gibt, wie andere mich sehen.

Diese Sorge haben viele Schauspieler*innen, wenn sie ihre Queerness öffentlich machen. Hast du gezögert, das #ActOut-Manifest zu unterzeichnen? In der ersten Runde, als die Aktion losging mit den Unterschriften, habe ich davon noch nichts mitbekommen. Aber als das Manifest veröffentlicht wurde, fand ich das unglaublich. Diese Sichtbarkeit hat viel Mut gemacht. Zu sehen, dass man als junger Schauspieler mit vielen anderen im gleichen Boot sitzt, hat mich so beeindruckt, dass ich mich direkt gemeldet habe, um zu den nachträglichen Unterzeichner*innen zu gehören. Über irgendwelche Konsequenzen für meine Arbeit habe ich nicht lange nachgedacht. Es war eher ein Gefühl, dass ich das einfach machen muss.

Hattest du um das Thema vorher einen Bogen gemacht? Es gab innerlich schon oft diese unbestimmte Angst, dass es ein Problem werden könnte, wenn ich meine Queerness anspreche. Leider kann das negative Konsequenzen haben. Aber am Ende war ich froh, dass ich mich an einer so wichtigen Aktion wie #ActOut beteiligen konnte. Von vielen Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen, von denen die Kolleg*innen da berichteten, fühlte ich mich anfangs nicht so krass betroffen. Bis ich vergangenes Jahr selbst in eine Situation geraten bin, die mir gezeigt hat, wie viel in unserer Branche noch im Argen liegt.

Was ist denn passiert? Ich wurde in einem Fernsehfilm besetzt, für eine Nebenrolle, die schwul und vom Balkan war. Als ich das komplette Drehbuch bekam, habe ich gemerkt, dass es mir zu klischeehaft war. Darüber wollte ich mit der Regisseurin reden, war aber aufgeregt, schliesslich war ich neu in der Branche und nicht sicher, wie offen sie dafür sein würde, wenn ich anspräche, dass ich queere Figuren anders erzählen würde.

Und sie war es nicht? Das erste, was mich diese Frau, die ich noch nie im Leben getroffen hatte, am Telefon fragte, war: «Was bist du eigentlich privat? Bist du auch schwul?» Davon war ich total vor den Kopf gestossen und verstand nicht, was das mit der Figur zu tun hatte. Sie fand, ich hätte in meinem Casting-Video schwul «gewirkt». Kein Wunder, schliesslich war es meine Aufgabe, eine Flirtszene mit einem anderen Mann zu spielen. Über die Rolle sagte sie nur, ich solle sie möglichst macho-mässig und männlich spielen. Und als ich sagte, dass ich mich darauf freue, meinen Filmpartner kennen zu lernen, meinte sie: «Ich kann dir gleich sagen, dass der straight ist.» Als wäre es mir nur darum gegangen, mich an ihn heranzumachen. Nach dem Gespräch brodelte es in mir und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.

Antonije Stankovic («Damaged Goods») ziert die aktuelle MANNSCHAFT (Bild: Fabian Raabe)
Antonije Stankovic («Damaged Goods») ziert die aktuelle MANNSCHAFT (Bild: Fabian Raabe)

Mit wem konntest du darüber sprechen? Als am nächsten Morgen meine Agentin anrief, platzte alles aus mir heraus. Ich hatte Angst, dass das ein Fehler war, schliesslich war das mein erster Job mit ihr, und als junger Schauspieler hatte ich indoktriniert bekommen, niemandem eine Last zu sein und mich anzupassen. Aber sie hat sich sofort bei der Produktionsfirma beschwert, dass es nicht gehe, ihrem Klienten solche Fragen zu stellen. Die Casterin hat sich im Namen der Produktion entschuldigt, aber die Regisseurin selbst behauptete, ich hätte gelogen und wolle nur Aufmerksamkeit erregen. Ich hatte noch überlegt, ihr eine E-Mail zu schreiben, doch dann habe ich die Rolle abgesagt – und dabei weniger an meinen Weg als Schauspieler gedacht als daran, wofür ich als Mensch stehen will. Einen Tag später kam stattdessen die Zusage für «Damaged Goods». Das hat sich ein wenig angefühlt, als würde ich belohnt fürs Mutigsein.

Bleiben wir bei der Serie und deiner Rolle. Hattest du die Möglichkeit, diesen Hugo mitzugestalten? Und wie. Es war nicht so, dass wir vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, sondern konnten Vorschläge einbringen. Ich hatte zum Beispiel eine Idee für Hugos Haare, die wurde sofort umgesetzt. Auch wie er tickt, durfte ich mitbestimmen. Meine Kolleg*innen und ich hatten viel Freiraum und Vertrauen, das uns die Regisseurin Anna-Katharina Maier entgegenbrachte. Schon in der Drehbuchvorlage war bereits viel vorhanden. Dass unser Head-Autor Jonas Bock selbst queer ist, habe ich meiner Figur enorm angemerkt. Da war das Anliegen zu erkennen, mit den üblichen Klischees zu brechen, und gleichzeitig authentisch davon zu erzählen, wie schwierig es für einen jungen schwulen Mann sein kann, seinen Platz zu finden und mit den ganzen Codes, die es in der Gay-Welt gibt, zurechtzukommen.

«Queere Schauspieler*innen wollen nicht bloss queere Menschen spielen»

Wenn man sich in seine Rolle derart einbringt, liegt darin nicht eine Gefahr, dass zu viel Privates hineinschwappt? Wir fünf Hauptdarsteller*innen haben schnell gemerkt, dass es fast gruselig ist, wie nah diese Figuren an uns dran sind. Für mich manchmal zu nah. Ich suchte nach Abgrenzung. Denn bei einer Rolle darf es nicht um mich persönlich gehen – und sie tut es auch nicht. Was man in «Damaged Goods» sieht, sind Hugos Erfahrungen, nicht meine. Aber es hat mir geholfen, dass ich zu vielem, was er erlebt oder worüber er nachdenkt, einen Bezug hatte.

Womit wir wieder bei der Frage sind, ob queere Figuren am besten von queeren Schauspieler*innen verkörpert werden sollten. Die Tendenz, Leute als das zu besetzen, was sie sind, finde ich in der Sache schwierig, denn wie gesagt: Es geht nicht darum, dass Schauspieler*innen sich selbst spielen sollen oder wollen. Aber natürlich verstehe ich gleichzeitig, warum man sagt, dass queere Rollen queer besetzt werden sollten. Ich sehe das als Zwischenschritt, um Menschen überhaupt erst in diesen Beruf zu bekommen und einen Hauch von Chancengleichheit herzustellen. Es gibt noch ein wahnsinniges Ungleichgewicht, welche Leute besetzt werden und welche nicht. Aber in einer noch fernen, idealen Zukunft sollte es darum nicht mehr gehen. Schliesslich wollen queere Schauspieler*innen nicht bloss queere Menschen spielen, sondern einfach spielen. Genauso, wie trans Menschen auch cis Männer und Frauen spielen wollen. Das ist doch unser Beruf. Und das Tolle daran ist gerade, dass ich mich dabei selbst loswerden kann.

Antonije Stankovic Wurde 1996 in München geboren und besuchte die «Staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst» in Stuttgart. In der deutschen Dramedy-­Serie «Damaged Goods» spielt er Hugo, der um ein authentisches Leben als junger schwuler Mann kämpft. Ab dem 11. Juli gibt es die Serie auf Amazon Prime Video. Es geht um die Freundschaft einer Münchner Chaos-­Clique von Endzwanzigern. Alle acht Episoden des Amazon-Originals stehen dann auf dem Streamingdienst in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Verfügung.

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