Pronomen sind politisch – Tagung befasst sich mit er, sie & they
Mit den grammatischen Eigenschaften von Personalpronomen haben sich die allermeisten Leute wohl zuletzt im Deutschunterricht bewusst befasst. Dabei sind die Wörtchen hochpolitisch – mit ihnen lassen sich unterschiedliche Geschlechtsidentitäten ausdrücken.
Von Gregor Bauernfeind, dpa
Sie gehören zu den kürzesten Wörtern der deutschen Sprache. Und doch herrscht um sie immer wieder grosse Aufregung. Die Rede ist von Personalpronomen: «Er», «sie» und «es» kennen viele noch als «Fürwörter» aus dem Deutschunterricht – hochpolitisch wird es aber, wenn etwa von «they/them» die Rede ist. Mit Pronomen wie diesen lassen sich unterschiedliche Identitätskonzepte von non-binären Menschen ausdrücken. Gerade vielen Jüngeren ist die richtige Bezeichnung ein wichtiges Anliegen, Kritikern treiben die «Gender Pronouns» dagegen regelmässig die Zornesröte ins Gesicht.
In Bielefeld haben jetzt Wissenschaftler*innen den nur scheinbar unscheinbaren Personalpronomen eine ganze Konferenz gewidmet.
«Es ist eigentlich eine unauffällige Wortgruppe. Aber sehr, sehr bedeutsam», sagt Mona Körte, Professorin für Literaturwissenschaft und Organisatorin der Tagung mit dem Titel «Personalpronomen: Grammatik im Wandel?». Wer einen genaueren Blick auf Texte zu Personalpersonen werfe – von Humboldt über Grimm bis ins 20 Jahrhundert hinein – stelle fest, «dass diese Theorietexte das Phänomen gar nicht zu bändigen helfen, sondern im Gegenteil eher Verwirrung stiften. Und das hat uns sehr interessiert.»
Vor allem bei jüngeren Menschen ist es in den vergangenen Jahren gängiger geworden, in E-Mail-Signaturen oder auf Profilen in sozialen Medien ihre Personalpronomen anzugeben. Die Bewegung stammt aus den USA. Bei vielen nicht-binären Menschen – die sich nicht oder nur teilweise in die Kategorie Frau oder Mann einordnen – hat sich «they/them» etabliert. Aber auch viele «Cisgender» – so werden jene Menschen genannt, bei denen das bei der Geburt festgestellte Geschlecht mit der später entwickelten Identität übereinstimmt – geben etwa «she/her» oder «sie/ihr» an. Sie wollen damit zeigen, dass sie die Geschlechtsidentität anderer respektieren. So soll von Nicht-Binären der Druck genommen werden, sich immer wieder erklären zu müssen.
«Die Anforderungen, dem Zwang zu genügen, sich in die binäre Ordnung einzufügen – das wird von vielen Menschen verstärkt als Zumutung erlebt», erklärt die auf der Konferenz vertretene Professorin für Geschlechtersoziologie, Tomke König, die Anfänge der Bewegung. Je vielfältiger die geschlechtlichen Lebensweisen würden, umso lauter werde auch die Kritik an der alten binär-hierarchischen Ordnung. «Boykott dem binären Komplott!» – so drückt es die Band Drangsal in einem Songtext aus.
Personalpronomen seien derzeit «hochgradig politisch aufgeladen», sagt Körte. «Wir nehmen die politische Debatte nur zum Anlass, um uns dann tatsächlich wissenschaftlich über diese interdisziplinären Ansätze zu verständigen.» So waren auf der Tagung am Mittwoch und Donnerstag neben der Sprachwissenschaft auch Philosophie, Biologie, Soziologie oder Tierethik vertreten. Es ging etwa um die «Konstruktion von Identität in der römisch-antiken Lebenswelt» oder die Verwendung von Pronomen in Tierenzyklopädien.
Das Thema zu kontextualisieren und zu historisieren, tue der politischen Debatte gut, ist sich Körte sicher. Dort spiele Wissenschaft nämlich kaum eine Rolle, sagt sie. «Unsere Tagung ist ein Ansatz, ein Versuch in diese Richtung.» Interessant sei, «dass die Wissenschaft bei den Pronomen nicht einhegt und befriedet». Sie mache vielmehr deutlich, dass Pronomen in ihrer Variabilität, ihren Schattierungen und Nuancen schon sehr lange ein Thema seien.
Im Englischen haben sich weitgehend die Pronomen «they/them» etabliert, im Deutschen gibt es dagegen bislang kaum adäquate Anreden abseits der männlichen und weiblichen Formen, die auch allgemein verständlich sind. «Ich beobachte, dass sich eher das Nennen des Namens durchsetzt», sagt König. «Und das finde ich eine sehr gute Lösung, weil wir dann keine neuen Worte erfinden müssen.» Ein Beispielsatz: «Steffi putzt sich die Zähne, bevor Steffi ins Bett geht.»
Wichtig wäre, dass niemand diskriminiert wird.
Befürchtungen von «Sprachverunstaltung» weist König zurück. «Wichtiger wäre, dass niemand diskriminiert wird», sagt sie. Es gehe gar nicht nur um Repräsentation, sondern auch um «Verantwortung, die ich dafür habe, respektvoll und anerkennend meinem Gegenüber zu begegnen, für den respektvollen Umgang miteinander.»
Über die Sprachkritik hinaus werden immer wieder – etwa in Kreisen, die Geschlecht für naturgegeben halten – Grundsatzdebatten über den sogenannten «Genderwahn» geführt. Das Thema polarisiert, wie das Beispiel von Kim de l’Horizon zeigt. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete, erreichen de l’Horizon nach dem Gewinn des Deutschen Buchpreises am Montag neben Glückwünschen auch queerfeindliche Angriffe (MANNSCHAFT berichtete). Kim de l’Horizon definiert sich als nicht-binär. Im Instagram-Profil steht: «keine pronomen oder dey/dem».
Aber warum provoziert die Verwendung von Pronomen wie «they/them» eigentlich so sehr? Geschlechtersoziologin König erklärt, die Empörung sei nicht überraschend. In diesen Debatten gehe es nicht nur um den Erhalt oder die Überwindung der Differenz zwischen den Geschlechtern, sondern um Lebensweisen, die für unsere Gesellschaft bislang wesentlich (konstitutiv) gewesen seien, allen voran die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.
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