Olly Alexander: «Meine queere Identität ist mir extrem wichtig»
Frisch erschienen: Das neue Album «Night Call» von Years & Years
Als Gesicht und mittlerweile alleiniges Mitglied des Projekts Years & Years eroberte Olly Alexander die Charts und schaffte es, selbst Kylie Minogue und Elton John von sich zu überzeugen. Für viele LGBTIQ erfüllt der Sänger und Schauspieler zudem eine wichtige Vorbildfunktion.
Mit seinen 31 Jahren gehört Olly Alexander zu den wichtigsten queeren Künstler*innen der Popbranche und ist doch ferner von jedweden Allüren, als man es nur sein kann. Der Brite ist charmant und um keine Antwort verlegen. Alexander war auch in der Serie «It’s a Sin» zu sehen, die vom Beginn der AIDS-Pandemie erzählt (MANNSCHAFT berichtete).
Wir sprachen mit ihm über sein neues Album «Night Call», die Sehnsucht nach ausgedehnten Partynächten und eine Ehre, die schnell zur Bürde werden kann, nämlich als Vertreter unserer Community wahrgenommen zu werden.
Olly, worauf freust du dich am meisten, wenn du ein neues Album veröffentlichst, und gibt es auch Befürchtungen, die du in diesem Zusammenhang hast?
Da ist vor allem Vorfreude, wenn man lange an etwas gearbeitet hat. An dieser Platte tat ich das mehrere Jahre und sie durchlief verschiedenste Stadien, weshalb es einfach schön ist, sie endlich da draussen zu wissen. Nun darf ich jenes Kapitel schliessen, auch wenn die Geschichte rundum «Night Call» noch weitererzählt werden wird.
Ich bin aufgeregt, dass Menschen die Songs hören werden. Mein Grund für dieses Album war, mich gut fühlen zu wollen und auch anderen dazu die Chance zu geben. Diese Hoffnung habe ich. Natürlich fragt man sich auch, ob es floppen könnte oder Leute zu der Erkenntnis kommen, dass das nicht an frühere Sachen heranreicht.
In einer Zeit, in der das Clubleben erneut zum Erliegen gekommen ist, wie kann «Night Call» da Perspektiven offerieren?
Club- und Discomusik haben mich stark inspiriert. Ausserdem spiele ich ja in der TV-Serie «It’s A Sin», die in den Achtzigern verortet ist, weswegen ich viele Songs aus dieser Zeit hörte. Während der Pandemie war ich oft alleine und entdeckte meine Liebe zu besagter Musik wieder. Die Up-Tempo-Beats machten mir gute Gefühle. Und das beeinflusste den Vibe der Platte.
Die Nacht- und Klubkultur haben mich und viele Queers geprägt. Früher traf man sich dort und kam in Kontakt. Das Album ist eine Ode daran, wie fantastisch unsere Community ist.
Welchen Herausforderungen sahst du dich während der Arbeiten an dem neuen Album ausgesetzt?
Mein eigener Verstand war vermutlich mein grösster Feind. Ich überdenke vieles zu sehr und bin super selbstkritisch. Da ich grösstenteils auf mich alleine gestellt war und ausser über Zoom-Gespräche nur wenig Leute gesehen habe, hatte ich öfter den Eindruck, ich würde an der Gesamtsituation scheitern und einfach nur im Bett bleiben müssen. Als ich dann aber langsam in den Groove kam, machte mir das derart Vergnügen, dass die Arbeit an dem Album zu einer Art Rettungsseil wurde. Und so blickte ich irgendwann der Zeit im Studio entgegen, wo ich mich wieder frei fühlen konnte.
Glaubst du, dass es insgesamt an queeren Zufluchtsorten fehlt?
Queere Orte sind bedroht. Es gibt zu wenige von ihnen. Vieles findet nur noch online statt, was natürlich auch der Zeit geschuldet ist, da Kommunikation und Vernetzung generell oft virtuell ausgelebt werden. Das hat sicher auch Vorteile, aber wahrhaftige Kontakte bleiben unabdinglich. Als menschliche Wesen brauchen wir sie. Auszugehen, Fremde kennenzulernen und bekannte Gesichter auf der Tanzfläche zu sehen, daraus habe ich viel für mich gezogen. Das hilft herauszufinden, wer du bist und wie du dich ausdrücken willst. Wie schade wäre es, das zu verlieren?
Warst du denn schon wieder feiern?
Ja, ein-, zweimal. Aber es ist anders. Und irgendwie auch verrückt, viele Leute gleichzeitig an einem einzigen Ort zu sehen, wie sie Party machen und Spass haben. Da werde ich fast emotional.
Erzeugt deine Rolle als Idol für viele LGBTIQs manchmal Druck bei dir? Oh Gott! Ich möchte unserer Community auf jeden Fall den Rücken stärken und schätze mich absolut glücklich, in der Position zu sein, in der ich bin. Eine Plattform zu haben und meine Erkenntnisse bezüglich meiner Sexualität offen teilen zu können. Deswegen nutze ich jedwede Möglichkeit, Menschen zu ermutigen, vor allem queere oder trans Personen. Aber irgendwie ist das auch – mir fehlen die Worte dafür – nun ja, verrückt. Ich will nicht scheitern oder jemanden enttäuschen. Das erzeugt tatsächlich Druck. Nur wäre es seltsam anzunehmen, ich könne all die unterschiedlichen Charaktere repräsentieren. Eine unmögliche Aufgabe. Also gebe ich schlicht mein Bestes, wo und wann immer ich darf.
Wie sehr beeinflusst deine Identität als queerer Mann dein Songwriting? Das ist, wer ich bin. Seit ich Musik mache oder auch schon meine Kunstprojekte in der Schule, alles war immer eine Suche nach mir selbst. Ergibt das Sinn? Je älter ich werde und je mehr Einflüsse ich von aussen verarbeite, umso mehr möchte ich authentisch sein. Deswegen ist mir meine queere Identität auch extrem wichtig.
Meine queere Identität ist mir extrem wichtig.
Olly Alexander
Öffentlich unterstützt du immer wieder Safer-Sex und HIV- Prävention. Warum ist dir das ein Anliegen?
Es ist wichtig, offen über Sex zu sprechen. Sex ist ein Vergnügen. Deswegen sollte man sich austauschen, wie man dieses Vergnügen sicher gestalten kann. Manchmal ist es schwierig, an die wichtigen Fakten zu kommen. Auch, weil man gar nicht immer weiss, was gut für einen sein könnte. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, dass ich selbst Zeit brauchte, um mich ausreichend über sexuell übertragbare Krankheiten zu informieren und mich beispielsweise mit HIV oder der Prep auseinanderzusetzen. Nun möchte ich dieses Wissen gern teilen.
Erlebst du aufgrund deiner recht extrovertierten Art auch Ablehnung? Überwältigenderweise ist da draussen viel Support. Dafür bin ich dankbar. Aber wenn ich zum Beispiel über Transthemen spreche oder auch nur über genderunkonforme Kleidung gibt es Leute, die in ihren Kommentaren homo- oder transphobe Reaktionen zeigen. Das ist vermutlich am ehesten das, was du meinst. Ansonsten überwiegt das Positive.
Also liest du noch Kommentare?
Ja, klar. Manche schon. Wobei ich besser werde, das zu begrenzen. Wenn ich es aber gar nicht mache, denke ich in meinem Kopf, da stünden nur gemeine Dinge. Zu merken, dass das nicht so ist, hilft. Man fokussiert sich viel zu sehr auf das Negative.
Als ausgebildeter Psychologe darf ich dir da zustimmen. Leider funktioniert unser Gehirn so. Hast du irgendwelche Ratschläge für Leute, die sich mit Selbstzweifeln herumplagen?
Mir hat immer geholfen, nach anderen queeren Menschen zu suchen und mir deren Sichtweise anzuhören. Zum Beispiel las ich James Baldwins Buch «Giovannis Zimmer», als ich ein Teenager war. Es hat mich umgehauen zu erfahren, wie sich zwei Männer lieben können. So eine tragische Geschichte, die mir aber zeigte, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine auf dieser Welt bin.
Oft fühlen wir uns einsam, aber wir können uns mit anderen verbinden. Auch, wenn es nicht immer Menschen in unserem direkten Umkreis sind. Dann eben ein Künstler oder eine Künstlerin, die einem gefällt, oder ein Schriftstück oder ein Film. Ich liebe zum Beispiel die Filme von Gus van Sant. Doch jeder von uns ist einer einzigartigen, sehr persönlichen Realität ausgesetzt. Das macht es durchaus herausfordernd, wobei ich fest daran glaube, dass sich die Verbindung zu anderen unterstützend auswirken kann.
Du nennst auch Kylie Minogue gern als eine deiner Inspirationsquellen. Wie war es, mit ihr zu arbeiten?
Grossartig! Das beste Gefühl aller Zeiten! Ich wuchs mit ihrer Musik auf und liebte sie schon immer. Sie ist eine Ikone, aber auch extrem freundlich, lustig und warmherzig. Ich kann gar nicht gut genug von ihr sprechen. Sie ist die Beste! Manchmal zwicke ich mich noch, um zu prüfen, ob es wahr ist, dass wir kollaboriert haben.
Wie kam es dazu?
Wir haben sie mit Years & Years 2015 bei einer Show im Londoner Hyde Park supportet. Irgendwann bat sie mich, bei ihrer Weihnachtsshow aufzutreten, dann haben wir öfter als ihre Vorband bei Festivals gespielt und schliesslich fragte ich sie, ob sie bei dem Remix für «Starstruck» dabei sein würde. Und so ging es weiter.
Gibt es queere Popstars, die man deiner Meinung nach gehört haben muss? Oh ja! Es gibt da diesen Jungen aus UK, er heisst Julez Lorenzo. Den sollte man sich anhören!
Kommen wir zur letzten Frage. Wie sieht die perfekte Klubnacht für dich aus? Viel Cheryl Lynn, Kylie Minogue, Donna Summer, Britney, Rihanna...
...Years & Years?
Years & Years! Popmusik, R’n’B und ein inklusiver Ort, an dem wir zusammenkommen können, um Spass zu haben und zu tanzen.
Es gibt was Erlesenes auf die Ohren: Die besten queeren Alben der Saison – und obendrauf unsere MANNSCHAFT-Playlist mit passendem Vibe, Drück auf Play, Baby!
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