Machtmissbrauch und Mahler: Cate Blanchett brilliert im Drama «Tár»
Achtung, Spoiler!
In «Tár» bekommt Cate Blanchett die Möglichkeit, all ihr Können zu zeigen. Das psychologische Drama verhandelt das aktuell so gegenwärtige Thema des Machtmissbrauchs in der Kulturwelt, aber im Fokus bleibt immer die Hauptfigur.
Text: Lisa Forster
Diese Rolle konnte nur Cate Blanchett spielen. Der Regisseur Todd Field hat «Tár», dieses furiose psychologische Drama über den Zusammenbruch einer Stardirigentin, auf Blanchett zugeschrieben, wie er in Interviews erzählt hat. Die 53-Jährige spielt die fiktive Figur Lydia Tár, eine weltberühmte und hoch angesehene Dirigentin. Wir begegnen ihr erst als Genie, das über das Orchester herrscht wie eine Göttin über die Sterblichen. Am Ende werden wir Zeugen ihres Untergangs.
Dieser Film erzählt von Macht – wie sie einen selbst, aber auch das Umfeld verändert. Und was passiert, wenn man sie missbraucht. Blanchett steht ganz im Zentrum von «Tár». Lydia dabei zuzusehen, wie sie ihre Macht ausspielt, ihre Impulse nicht immer kontrollieren kann, immer stärker erschüttert wird und sich letztlich selbst zerstört, hinterlässt einen atemlos. Dieser Film dauert über zweieinhalb Stunden – zum Glück.
Die Geschichte beginnt mit einem Gespräch auf einer Bühne, das Lydia Tár mit einem Reporter führt. Sie arbeitet als Chefdirigentin eines grossen Orchesters in Berlin. Im Gespräch wird klar: Sie hat alles erreicht, was möglich ist. Sie hat mit den grössten Sinfonieorchestern der Welt gearbeitet, alle renommierten Preise gewonnen, veröffentlicht nun ein Buch über sich selbst. Bald wird sie ausserdem mit ihrem Orchester Gustav Mahlers 5. Sinfonie live aufnehmen. Ihre gesamten Mahler-Aufnahmen sollen dann als Box-Set erscheinen – ein weiterer Meilenstein in ihrer Karriere.
Doch eine Sache in diesem makellosen Leben läuft nicht so glatt, auch wenn wir erstmal nicht erfahren, was es ist. Eine Frau, die in der Vergangenheit Kontakt mit der Dirigentin hatte, schreibt ihr verzweifelte Emails. Ob sie wirklich nicht antworten solle, fragt Lydias Assistentin Francesca (Noémie Merlant) sie. Lydia verneint – was sie später bereuen dürfte.
Irgendetwas verfolgt Lydia. Auf verschiedenen Gegenständen, zum Beispiel einem Buch oder einem Metronom, sieht sie ein wiederkehrendes geometrisches Muster, das sie zu verstören scheint. Nachts schreckt sie auf und hört Geräusche, die vielleicht gar nicht da sind. Die Kontrolle, die sie im öffentlichen Raum so gut beherrscht, verliert sie im Privaten.
Privates und Berufliches trennt Lydia aber nicht so ganz. Es klingt an, dass sie wohl schon häufiger mit Frauen, die ihr beruflich unterstellt waren, angebandelt hat. Im Orchester bevorzugt sie eine junge Cellistin, die sich bewirbt, weil sie sie attraktiv findet. Mit ihrer Partnerin Sharon (Nina Hoss), die Konzertmeisterin im Orchester ist, läuft es währenddessen nicht so gut. Sharon wirkt verbittert, während Lydia etwa auf einer New-York-Reise mit einer jungen Frau flirtet.
Nur bei Sharons junger Tochter Petra und Lydias Vorgänger in Berlin, einem alten Dirigenten namens Andris Davis, zeigt die Dirigentin ihre sanfte, liebevolle Seite.
Ganz anders sehen wir sie etwa während einer Master Class an der renommierten Juilliard School in New York. Ein Student probiert sich dort im Dirigieren eines Stücks der isländischen Komponistin Anna Thorvaldsdottir – eine musikalische Auswahl, über die Tár sich lustig macht. Warum er es nicht lieber mit einer kanonischen Figur wie Johann Sebastian Bach probieren möchte, fragt sie den schwarzen Studenten. Dieser antwortet, dass er als «BIPOC, pangender Person» mit diesem misogynen weissen Mann nichts anfangen könne.
Tár spottet über diese Ansicht, die den Autor nicht vom Werk trennt, und setzt zu einem spontanen Vortrag darüber an. Ein Video-Mitschnitt, der ihre Aussagen verkürzt und überzogen wiedergibt, wird später durch die Sozialen Medien geistern und Társ Untergang mit vorantreiben.
Ihr Machtmissbrauch holt die Dirigentin ein. Es stellt sich heraus: Die mysteriöse Frau mit den Emails ist ein ehemaliger Schützling von Tár, den sie wohl nicht gut behandelt hat. Das hat nun Konsequenzen.
«Tár» verhandelt das aktuell so gegenwärtige Thema des Machtmissbrauchs in der Kulturwelt, aber im Fokus bleibt immer die Hauptfigur. Cate Blanchett bekommt in dem Film die Möglichkeit, all ihr Können zu zeigen – das hat ihr unter anderem schon Preise als beste Hauptdarstellerin bei den Golden Globes (MANNSCHAFT berichtete), den Baftas und den Filmfestspielen Venedig eingebracht. Bei den Oscars könnte eine weitere Auszeichnung folgen.
Gleichzeitig bekommt man als Zuschauer*in einen Einblick in die Welt der klassischen Musik. Die Ausstattung und Verweise in «Tár» sind so spezifisch, dass die Frage, ob «Lydia Tár eine wirkliche Person ist», bei Google schon häufig eingetippt wurde.
Gespickt ist das Drama ausserdem mit einigen fast spukhaften Elementen. Nicht immer ist klar, was wirklich passiert ist, und was sich Lydia vielleicht nur eingebildet hat. Todd Field hat einen vielschichtigen Film geschaffen – weswegen schon einige Kritiker*innen empfohlen haben, «Tár» mehrmals anzuschauen.
Hier kann der Film kostenpflichtig gestreamt werden.
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