Lulas Comeback in Brasilien: Ex-Präsident schlägt Bolsonaro
Der schwulenfeindliche Amtsinhaber unterlag knapp
Als erster demokratisch gewählter Präsident erkämpft sich der frühere Gewerkschafter eine dritte Amtszeit. Während er international viele Bewunderer hat, ist der wegen Korruption verurteilte Ex-Häftling zu Hause sehr umstritten. Jetzt gilt es, das Land wieder zu versöhnen.
Nach einem erbittert geführten Wahlkampf hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Präsidentenwahl in Brasilien knapp gewonnen. Der frühere Staatschef kam in der Stichwahl auf 50,90 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt in Brasília in der Nacht zum Montag nach Auszählung der Stimmen bekanntgab. Der rechte, offen schwulenfeindliche Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt demnach 49,10 Prozent.
Nun will Lula ein extrem gespaltenes Brasilien versöhnen. «Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren», sagte er in seiner ersten Rede nach der Wahl in São Paulo. «Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.» Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wieder herzustellen. Tausende Anhänger*innen des Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) feierten Lulas Sieg auf der Prachtstrasse Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo.
Der frühere Gewerkschafter Lula hatte das mit mehr als 210 Millionen Einwohner*innen grösste Land in Lateinamerika bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist nun der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht. Ausser dem Staatschef wurden am Sonntag auch Gouverneur*innen in einem Dutzend Bundesstaaten gewählt.
Auf Twitter veröffentlichte Lula am Sonntag ein Bild der brasilianischen Flagge mit einer Hand. Darüber stand «Demokratie.»
Der französische Präsident Emmanuel Macron gratulierte Lula umgehend zur Wahl. «Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte Brasiliens aufgeschlagen», schrieb er auf Twitter. «Wir werden unsere Kräfte bündeln, um die vielen gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen und das Band der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern zu erneuern.» Macron war in den vergangenen Jahren mit dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vor allem in der internationalen Umweltpolitik heftig aneinandergeraten. Auch der deutsche Botschafter Heiko Thoms gratulierte Lula via Twitter.
Bolsonaro äusserte sich auch zwei Stunden nach Lulas Wahlsieg noch nicht. Aber Verbündete des Amtsinhabers erkannten Lulas Wahlsieg an. Es war befürchtet worden, dass es vor allem nach einem knappen Wahlausgang zu Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen (MANNSCHAFT berichtete).
Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Erst am Samstag verfolgte eine Abgeordnete von Bolsonaros Liberalen Partei (PL) einen Mann nach einem Streit mit vorgehaltener Waffe. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch. Experten sehen dafür in Gesellschaft und den Streitkräften allerdings keine ausreichende Unterstützung.
Die Präsidentenwahl hat die grösste Volkswirtschaft Lateinamerikas extrem gespalten. «Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann», sagte Lula in seiner Rede. «Wir können sogar den Frieden zwischen denen, deren Meinungen auseinander gehen, wiederherstellen.»
Der ohnehin erbittert geführte Wahlkampf war im Endspurt immer schmutziger geworden. Die Brasilianer wurden vor allem in sozialen Medien und Whatsapp-Gruppen von einer Flut von Falschinformationen überschwemmt. Die Fernsehdebatten, in denen Lula und Bolsonaro sich gegenseitig mit Vorwürfen überzogen, wirkten dagegen geradezu gesittet.
Viele Anhänger*innen des 77-Jährigen verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund der hohen Rohstoffpreise boomte und die Regierung mit Hilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Vetternwirtschaft.
2018 war Lula selbst wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden und verbrachte 580 Tage im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil aus formalen Gründen auf. Lula erhielt seine politischen Rechte zurück und kehrte bald auch wieder auf die politische Bühne zurück.
Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde.
Die Unterstützer von Bolsonaro sehen ihren Staatschef als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit und als Bollwerk gegen den angeblich drohenden Kommunismus. Allerdings stiess er mit seinen zum Teil vulgären Ausfällen gegen Frauen, Homosexuelle und Indigene auch viele Menschen vor den Kopf (MANNSCHAFT berichtete). Unter anderem sagte er in einem Interview mit dem Playboy: «Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde.»
Durch seine Blockade beim Klimaschutz, seine eigenwillige Corona-Politik – Masken nannte er «Schwuchtelzeug» (MANNSCHAFT berichtete) –, und seine Angriffe auf demokratische Institutionen wie den obersten Gerichtshof isolierte er Brasilien auf der Weltbühne immer mehr. «Brasilien ist zurück», sagte Lula. Es sei zu gross, um zum Paria der Welt herabgestuft zu werden.
Die Wahl in Brasilien hat auch international eine wichtige Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Zudem ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen, dem hohen Anteil an grüner Energie und der grossen Agrarwirtschaft ein potenziell wichtiger Handelspartner.
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