Lesbische Liebe und ein schwuler Prinz: Webber wird 75
Dem Musical-Giganten verdankt Madonna auch ihren Golden Globe für «Evita»
Seit mehr als einem halben Jahrhundert dominiert Musical-Papst Andrew Lloyd Webber mit seinen Shows die grossen Bühnen am Broadway und im Londoner West End. Seine Kreativität scheint auch mit 75 Jahren noch längst nicht erschöpft.
Von Christoph Meyer, dpa
Das Geheimnis seines Erfolgs sind gute Geschichten: Das verriet Andrew Lloyd Webber einmal in einem Interview. «Man muss immer mit der Story beginnen», sagte der britische Musical-Komponist, der am Mittwoch seinen 75. Geburtstag feiert, dem US-Sender NBC vor einigen Jahren. Er muss es wissen: «Jesus Christ Superstar», «Evita», «Cats» und «Phantom der Oper» – die Liste seiner Hit-Musicals, die schon seit Jahrzehnten Menschen begeistern, ist lang.
Seine Stücke sind nicht umsonst auch in der queeren Community beliebt: In «Aspect of love» etwa geht es u.a. um lesbische Liebe zwischen Rose, der Schauspielerin, und Giulietta, der Bildhauerin. Diese drückt sich in dem Song «There is more to love (so much more than simply making love)» aus. Das Stück war in dieser Spielzeit in Münster Teil eines LGBTIQ-Schwerpunkts, der sich um die Produktion von «Das Vermächtnis» drehte.
Und «I don’t know how to love him» aus «Jesus Christ Superstar», das Judas am Ende für Jesus singt, wurde in der Serie «Glee» interpretiert – von Tina, einem heterosexuellen Mädchen, gesungen, für ihren Schwarm Blaine, der aber schwul ist.
1948 im schicken Londoner Viertel Kensington geboren, wächst Lloyd Webber in einem musikalischen Haushalt auf. Sein Vater ist Komponist und Lehrer am Londoner Royal College of Music, die Mutter ist Pianistin. Schon im Grundschulalter beginnt Andrew, der noch einen jüngeren Bruder hat, Musik zu schreiben und im Familienkreis Musicals aufzuführen. Diese seien allerdings «schrecklich, schrecklich» gewesen, gesteht er später ein.
Doch es ist nicht nur die klassische Musik seines Elternhauses, auch Rock und Pop beeinflussen den jungen Andrew stark. Schließlich verschmilzt er alles zu einem unverkennbaren Stil.
Der Durchbruch gelingt ihm in einer jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Textschreiber Tim Rice, aus der sowohl «Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat» (1968) als auch «Jesus Chris Superstar» (1970) hervorgehen. Die Kooperation endet aber mit dem Musical «Evita» über die frühere argentinische Präsidentengattin und Schauspielerin Eva Perón. Der Song «Don’t Cry for Me, Argentina» stürmte in Grossbritannien und weiteren Ländern an die Spitze der Charts. Später wurde das Musical erfolgreich mit Madonna verfilmt – für die Titelrolle erhielt die Schwulen-Ikone sogar den Golden Globe.
«Tim hatte meine Wutanfälle satt. Meine Verteidigung ist, dass es mir so wichtig ist, den Sound richtig hinzukriegen», gesteht Lloyd Webber in seinen Memoiren «Unmasked» (dt: Entblösst), die zum 70. Geburtstag erscheinen.
Selbst überrascht ist Lloyd Webber über den grossen Erfolg von «Cats» (1981), das zum Musical mit der längsten Laufzeit am Broadway wird, bevor es von «Phantom der Oper» (1986) abgelöst wird. Auch «Starlight Express» (1984), von der Kritik nicht geschätzt, wird ein kommerzieller Erfolg. Das rasante Rollschuh-Musical wird in Bochum bereits seit 1988 in einem eigens dafür gebauten Theater aufgeführt, das kürzlich die Marke von 18 Millionen Besucher*innen feierte.
Lloyd Webber wird im Jahr 1992 von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagenen und 1997 als Baron Lloyd-Webber of Sydmonton in den höheren Adel erhoben. Längst gilt er als Musical-Papst. Er gehört zu einem kleinen Kreis von Menschen, die mindestens jeweils eine der begehrten Auszeichnungen Emmy, Grammy, Oscar und Tony gewinnen.
Später wird es etwas ruhiger um ihn. Er kämpft mit Prostatakrebs und Rückenbeschwerden. «Ich nahm so viel Morphium und Schmerzmittel – und offen gesagt, ich trank zu viel – dass ich ehrlich dachte, alles ist vorbei», sagt er der Theaterzeitung «The Stage». Doch er kämpft sich zurück. Mit «School of Rock» (2015) und «Bad Cinderella» (2021) beweist er, dass er an Kreativität nichts eingebüsst hat. Im Jahr 2017 laufen gleich vier seiner Musicals gleichzeitig am Broadway.
Hart treffen ihn Lockdowns in der Corona-Pandemie. Er setzt sich vehement für eine Öffnung der Theater und Konzertsäle in Großbritannien ein und ärgert sich öffentlich über feiernde Fußballfans bei der Europameisterschaft im Jahr 2021. Sollte die Regierung nicht rechtzeitig Aufführungen vor vollen Rängen erlauben, werde er sich notfalls über die Regeln hinwegsetzen, kündigt er an. Sogar festnehmen lassen will er sich – doch das bleibt ihm erspart.
Trotzdem muss sein jüngstes Musical «Cinderella» im West End schon nach weniger als einem Jahr dichtmachen. Corona-Fälle im Ensemble und immer neue Lockdowns führen dazu, dass wiederholt Aufführungen abgesagt werden müssen. Inzwischen sind am Broadway Previews einer neuen Inszenierung des Stücks mit neuer Besetzung unter dem Titel «Bad Cinderella» gestartet.
Hier stellt sich der Prinz am Ende als schwul heraus. Für das Original Cast-Album (aus London) singt Adam Lambert «The Vanquishing Of The Three-Headed Sea Witch» sehr effektvoll als Coming-out-Song.
Die offizielle Premiere des Musicals am Donnerstag, einen Tag nach seinem Geburtstag, verpasst Lloyd Webber aus privaten Gründen. Am Wochenende hatte er bekanntgegeben, dass sein ältester Sohn Nicholas schwer erkrankt ist. «Wie meine Freunde und Familie wissen, kämpft er seit 18 Monaten gegen Magenkrebs, und jetzt ist Nick im Krankenhaus.» Deshalb sei sein Platz gerade an der Seite seines Sohns.
Ganz in seinem Element ist Lloyd Webber, als er zur Feier des 70. Thronjubiläums von Queen Elizabeth II. im Sommer 2022 vor dem Buckingham-Palast am Keyboard im purpurnen Anzug den Titelsong von «Phantom der Oper» begleitet. Für die Krönung von König Charles III. im Mai dieses Jahres wird er sogar mit dem Komponieren einer Hymne beauftragt (MANNSCHAFT berichtete). Er sei «unglaublich geehrt», teilt er mit. «Ich hoffe, meine Hymne wird diesem freudigen Anlass gerecht», so Lloyd Webber. An Ruhestand scheint der quirlige Brite auch im Alter von 75 Jahren noch lange nicht zu denken.
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